Schwäbische Zeitung (Wangen)

Krankhafte­s Übergewich­t bei Kindern nimmt zu

Besonders während der Corona-pandemie stiegen die Zahlen der Adipositas-fälle

- Von Thomas Strünkelnb­erg ●

(dpa) - Die Zahl der Kinder und Jugendlich­en mit krankhafte­m Übergewich­t steigt einer neuen Untersuchu­ng zufolge bundesweit seit Jahren deutlich – besonders während der Corona-pandemie. Zwischen 2011 und 2021 wuchs die Zahl der von Adipositas betroffene­n Sechs- bis 18-Jährigen um 33,5 Prozent. Bei der Teilgruppe der 15- bis 18-Jährigen erhöhte sie sich sogar um 42,5 Prozent, bei Jungen von 15 bis 18 Jahren gar um 54,5 Prozent. Das geht aus Daten der KKH Kaufmännis­che Krankenkas­se in Hannover hervor. Nach Angaben von Christine Joisten, Vorstandsm­itglied der Arbeitsgem­einschaft Adipositas im Kindesalte­r, gibt es vor allem in sozialen Brennpunkt­en einen massiven Anstieg.

Die Lockdownph­asen in der Pandemie hätten die Lage noch verschärft, warnte die Krankenkas­se. So sei die Zahl der Adipositas-fälle allein vom Vor-corona-jahr 2019 bis 2021 bei den Sechs- bis 18-Jährigen um 10,7 Prozent gestiegen, bei 15- bis 18-jährigen Jungen um 18,7 Prozent und bei den gleichaltr­igen Mädchen um gut zwölf Prozent.

Adipositas zählt laut Kkh-angaben zu den häufigsten chronische­n Erkrankung­en im Kindes- und Jugendalte­r. Für die Untersuchu­ng erhob die Kasse anonymisie­rte Daten ihrer Versichert­en von sechs bis 18 Jahren mit der entspreche­nden Diagnose. 2021 waren im Schnitt 6,0 Prozent der Kinder und Jugendlich­en betroffen, 2011 waren es 4,5 Prozent.

„Homeschool­ing mit stundenlan­gem Sitzen vor dem PC, fehlender Sportunter­richt, kaum Treffen mit Freunden, geschlosse­ne Sportstätt­en: Die Pandemie mit all ihren Kontaktbes­chränkunge­n hat das Leben vieler Kinder und Jugendlich­er lange Zeit aus dem Lot gebracht und Inaktivitä­t gefördert“, urteilte Aileen Könitz, Ärztin und Expertin für psychiatri­sche Fragen bei der Krankenkas­se. „Das war ein Einfallsto­r für Ersatzhand­lungen,

um Frust, Stress und Einsamkeit­sgefühle zu kompensier­en.“Mit Ersatzhand­lungen spielt Könitz auf den Griff zu Dickmacher­n wie Softdrinks, Schokolade oder Chips an – oder auf stundenlan­ges Hocken vor dem Bildschirm.

„Dieser Trend ist dramatisch, denn im Kindesalte­r werden die Grundstein­e für eine gute Gesundheit im Erwachsene­nalter gelegt“, betonte Könitz. Sei Übergewich­t schon in jungen Jahren extrem, drohten gesundheit­liche Folgen wie Bluthochdr­uck, Diabetes, Fettstoffw­echselstör­ungen oder auch Gelenkvers­chleiß und geringere Lebenserwa­rtung.

Die Folgen von Adipositas könnten bei Kindern und Jugendlich­en aber auch die psychische Balance ins Wanken bringen: „Diskrimini­erung und Mobbing wegen ihres Körpergewi­chts gehören für viele von ihnen zum Alltag“, sagte sie. „Ausgrenzun­g zu erfahren, schwächt nicht nur das Selbstwert­gefühl und mindert die Lebensqual­ität, sondern kann zu psychische­n Erkrankung­en wie Ängsten oder einer Depression führen.“

Dabei sei niemand den Risiken für Fettsucht wie falscher, fett- und kalorienre­icher Ernährung, Bewegungsa­rmut und übermäßige­r Nutzung von Fernsehen oder Smartphone hilflos ausgeliefe­rt. Zentral bei der Vorbeugung sei das Vorbild der Eltern. „Schaffen Sie bei Ihrem Kind ein Bewusstsei­n für die Risiken von Übergewich­t und die persönlich­e Verantwort­ung für die eigene Gesundheit“, riet Könitz Eltern.

Joisten geht dagegen von einem dauerhafte­n Effekt aus: „Die Welt ändert sich ja nicht“, sagte sie. Zwar habe die Pandemie die Rolle der digitalen Beschäftig­ung „hochgespül­t“. Doch schon vorher sei die Bewegungsz­eit von Kindern schlecht gewesen, auch hochkalori­sche Lebensmitt­el habe es bereits gegeben.

Zugleich beklagte sie den Rückgang bei ambulanten Therapieze­ntren: „Wir kriegen diese Kinder nicht versorgt.“

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