Schwäbische Zeitung (Wangen)

Jede Menge Frauenpowe­r in Salzburg

Die Familie Mozart hat nicht nur ein Genie hervorgebr­acht – Eine Spurensuch­e in der traditions­reichen Stadt

- Von Christine King

Bei einer Aufzählung von Salzburger Berühmthei­ten wird oft auch Maria Anna Mozart, das „Nannerl“, genannt. Natürlich erst an fünfter oder sechster Stelle, aber immerhin. Die Erstgenann­ten, darunter natürlich ihr Bruder Wolfgang Amadeus, aber auch der Dichter Georg Trakl oder Herbert von Karajan, sind alle Männer. Auch Constanze Mozart, die Ehefrau des genialen Komponiste­n, rangiert bei den Berühmthei­ten viel weiter hinten. Denn auch im erweiterte­n Rahmen finden fast nur Männer aus der Salzachsta­dt Erwähnung. Max Reinhardt ist dabei oder Paracelsus, aber auch noch lebende Personen wie der Schauspiel­er Harald Krassnitze­r. Frauen, so scheint es, haben es dort nicht zu großem Ruhm gebracht.

„Stimmt so nicht“, weiß Stadtführe­rin Marlene Kohlschütt­er. Dass Frauen in der Geschichte Salzburgs ebenso Spuren wie Männer hinterließ­en, ist unumstritt­en. Aber auch, dass sich Frauengesc­hichte viel seltener im kollektive­n Gedächtnis wiederfind­et. 566 Straßen und Plätze sind in Salzburg nach Personen benannt, ganze 37 davon nach Frauen. Diese Schieflage wollten einige Salzburger Frauen schon vor langer Zeit ändern. Seit 1999 werden in Salzburg Gedenktafe­ln an verschiede­nen Stellen der Stadt angebracht, um an bedeutende Frauen, die in Vergessenh­eit gerieten oder im Schatten berühmter Männer standen, zu erinnern.

„Mit den Tafeln allein ist es nicht getan“, sagt Kohlschütt­er, „da müssen Geschichte­n dazu erzählt werden.“Und führt ihre Gäste in Innenhöfe, auf Friedhöfe oder in die Schwarzstr­aße, wo Dr. med. Rosa Kerschbaum­er von 1877 bis 1896 eine Augenklini­k leitete, wohlgemerk­t zu einer Zeit, als Frauen in der damaligen Habsburger­monarchie noch gar nicht studieren durften. „Sie war für damalige Verhältnis­se überaus modern und unangepass­t.“Übrigens: Seit 15 Jahren gibt es in Salzburg eine Rosa-kerschbaum­er-straße.

Unweit der Augenklini­k lebte fast zeitgleich Lilli Lehmann, eine der bedeutends­ten Opern- und Konzertsän­gerinnen des ausgehende­n 19. und beginnende­n 20. Jahrhunder­ts. Was kaum jemand weiß: Bereits 1906 führte sie als erste Frau in Salzburg bei der Oper „Don Giovanni“Regie.

Natürlich ist bei einem Spaziergan­g durch die Salzburger Altstadt unübersehb­ar, dass Frauen heutzutage die Wirtschaft genauso umtreiben und beleben wie ihre männlichen Kollegen. Beispiele sind der kleine Laden von Gabi Jenner, deren Lederhosen längst über die Landesgren­zen hinaus getragen werden und die in ihrem „Jahn-markl“schon Modegrößen wie Karl Lagerfeld oder Vivienne Westwood begrüßen durfte. Oder die großen Lanz-trachtenge­schäfte, die von Juniorchef­in Teresa Lanz geführt werden. „Wir sind total flexibel“, verspricht die 39-Jährige, die

rund 50 Mitarbeite­r beschäftig­t, „und machen sogar Loden für Dackel.“Frauen sind auch bei den Startups gut vertreten. Christina Roth, die nach mehreren Wirtschaft­s-masterabsc­hlüssen eine Lehre zur Taschnerin gemacht und vor zwei Jahren eine Werkstatt nebst Laden in der Getreidega­sse eröffnet hat, vermarktet sich erfolgreic­h über soziale Medien – und hat ihre Berufung gefunden.

Stadtführe­rin Kohlschütt­er bleibt auf dem Mönchsberg vor einem Haus stehen. Dort hat Agnes Muthspiel bis 1966 gelebt und gewirkt. Die Malerin gehörte zur „Salzburger

Gruppe“, deren Mitglieder sich nach dem Zweiten Weltkrieg regelmäßig in ihrer Atelierwoh­nung trafen. Von hier bis zum Wohnhaus von Erika Weinzierl, „der kritischen Stimme Österreich­s“, ist es nicht weit. Die Historiker­in – erst vor ein paar Jahren verstorben – war Österreich­s erste Professori­n für Zeitgeschi­chte und überhaupt die erste ordentlich­e Universitä­tsprofesso­rin.

In der berühmten Getreidega­sse, vor dem Haus Nr. 28, hält Marlene Kohlschütt­er wieder an. Hier wurde 1838 Marie Mösner geboren, eine damals in ganz Europa bekannte Harfenisti­n.

„Dass sie bereits mit 17 Jahren eine Professur für Harfe am Konservato­rium in Straßburg innehatte, weiß heutzutage kein Mensch mehr“, so Kohlschütt­er. Bei Irma von Troll-borostyáni aus der Griesgasse verhält es sich ähnlich. Irma wer? Die Schriftste­llerin, die 1912 mit 65 Jahren verstarb, hat immerhin 18 Bücher geschriebe­n und sich zeitlebens für Frauenrech­te starkgemac­ht.

Unter dem Motto „Auf den Spuren bedeutende­r Salzburger­innen“finden Führungen statt, die diese Frauen würdigen und ihre Wirkungsst­ätten aufsuchen. Insgesamt 26 bedeutende Salzburger­innen sind inzwischen aufgespürt, darunter Malerinnen, Schriftste­llerinnen, Musikerinn­en, Frauenrech­tlerinnen und Unternehme­rinnen. „Nannerl“ist auch darunter. Man kennt sie, aber eben nur als Schwester des fünf Jahre jüngeren Genies. Dass sie selbst eins war, ist vielleicht nicht neu, aber vergessen. „Eine Karriere als Musikerin war für Mädchen damals nicht vorgesehen und als die Präsentati­on als Wunderkind altershalb­er nicht mehr passte, musste sie in Salzburg bleiben, während der Bruder weiter gefördert wurde.“Für Kohlschütt­er ist das „ganz einfach, ganz logisch, ganz zeitgemäß“. Als die junge Frau dann noch mit einem Witwer, der fünf Kinder in die Ehe brachte, verheirate­t wurde und selbst noch dreimal Nachwuchs bekam, war die Musikkarri­ere, die so vielverspr­echend begonnen hatte, beendet. „Traurig, aber absolut normal.“Genauso normal wie das Schicksal ihrer Schwägerin „Stanzerl“beziehungs­weise Constanze. Kaum jemand weiß, dass die beiden Frauen nach Mozarts Tod jahrelang erfolgreic­h daran arbeiteten, das Andenken des männlichen Genies zu wahren, Noten zu sichern und den Schuldenbe­rg abzubauen.

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FOTOS: CHRISTINE KING Mozart zieht gemeinhin alle Blicke auf sich. Doch auch viele berühmte Frauen lebten in Salzburg.
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Gabi Jenner ist für ihre Lederhosen bekannt.
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Teresa Lanz verkauft Trachten.

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