Jede Menge Frauenpower in Salzburg
Die Familie Mozart hat nicht nur ein Genie hervorgebracht – Eine Spurensuche in der traditionsreichen Stadt
Bei einer Aufzählung von Salzburger Berühmtheiten wird oft auch Maria Anna Mozart, das „Nannerl“, genannt. Natürlich erst an fünfter oder sechster Stelle, aber immerhin. Die Erstgenannten, darunter natürlich ihr Bruder Wolfgang Amadeus, aber auch der Dichter Georg Trakl oder Herbert von Karajan, sind alle Männer. Auch Constanze Mozart, die Ehefrau des genialen Komponisten, rangiert bei den Berühmtheiten viel weiter hinten. Denn auch im erweiterten Rahmen finden fast nur Männer aus der Salzachstadt Erwähnung. Max Reinhardt ist dabei oder Paracelsus, aber auch noch lebende Personen wie der Schauspieler Harald Krassnitzer. Frauen, so scheint es, haben es dort nicht zu großem Ruhm gebracht.
„Stimmt so nicht“, weiß Stadtführerin Marlene Kohlschütter. Dass Frauen in der Geschichte Salzburgs ebenso Spuren wie Männer hinterließen, ist unumstritten. Aber auch, dass sich Frauengeschichte viel seltener im kollektiven Gedächtnis wiederfindet. 566 Straßen und Plätze sind in Salzburg nach Personen benannt, ganze 37 davon nach Frauen. Diese Schieflage wollten einige Salzburger Frauen schon vor langer Zeit ändern. Seit 1999 werden in Salzburg Gedenktafeln an verschiedenen Stellen der Stadt angebracht, um an bedeutende Frauen, die in Vergessenheit gerieten oder im Schatten berühmter Männer standen, zu erinnern.
„Mit den Tafeln allein ist es nicht getan“, sagt Kohlschütter, „da müssen Geschichten dazu erzählt werden.“Und führt ihre Gäste in Innenhöfe, auf Friedhöfe oder in die Schwarzstraße, wo Dr. med. Rosa Kerschbaumer von 1877 bis 1896 eine Augenklinik leitete, wohlgemerkt zu einer Zeit, als Frauen in der damaligen Habsburgermonarchie noch gar nicht studieren durften. „Sie war für damalige Verhältnisse überaus modern und unangepasst.“Übrigens: Seit 15 Jahren gibt es in Salzburg eine Rosa-kerschbaumer-straße.
Unweit der Augenklinik lebte fast zeitgleich Lilli Lehmann, eine der bedeutendsten Opern- und Konzertsängerinnen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Was kaum jemand weiß: Bereits 1906 führte sie als erste Frau in Salzburg bei der Oper „Don Giovanni“Regie.
Natürlich ist bei einem Spaziergang durch die Salzburger Altstadt unübersehbar, dass Frauen heutzutage die Wirtschaft genauso umtreiben und beleben wie ihre männlichen Kollegen. Beispiele sind der kleine Laden von Gabi Jenner, deren Lederhosen längst über die Landesgrenzen hinaus getragen werden und die in ihrem „Jahn-markl“schon Modegrößen wie Karl Lagerfeld oder Vivienne Westwood begrüßen durfte. Oder die großen Lanz-trachtengeschäfte, die von Juniorchefin Teresa Lanz geführt werden. „Wir sind total flexibel“, verspricht die 39-Jährige, die
rund 50 Mitarbeiter beschäftigt, „und machen sogar Loden für Dackel.“Frauen sind auch bei den Startups gut vertreten. Christina Roth, die nach mehreren Wirtschafts-masterabschlüssen eine Lehre zur Taschnerin gemacht und vor zwei Jahren eine Werkstatt nebst Laden in der Getreidegasse eröffnet hat, vermarktet sich erfolgreich über soziale Medien – und hat ihre Berufung gefunden.
Stadtführerin Kohlschütter bleibt auf dem Mönchsberg vor einem Haus stehen. Dort hat Agnes Muthspiel bis 1966 gelebt und gewirkt. Die Malerin gehörte zur „Salzburger
Gruppe“, deren Mitglieder sich nach dem Zweiten Weltkrieg regelmäßig in ihrer Atelierwohnung trafen. Von hier bis zum Wohnhaus von Erika Weinzierl, „der kritischen Stimme Österreichs“, ist es nicht weit. Die Historikerin – erst vor ein paar Jahren verstorben – war Österreichs erste Professorin für Zeitgeschichte und überhaupt die erste ordentliche Universitätsprofessorin.
In der berühmten Getreidegasse, vor dem Haus Nr. 28, hält Marlene Kohlschütter wieder an. Hier wurde 1838 Marie Mösner geboren, eine damals in ganz Europa bekannte Harfenistin.
„Dass sie bereits mit 17 Jahren eine Professur für Harfe am Konservatorium in Straßburg innehatte, weiß heutzutage kein Mensch mehr“, so Kohlschütter. Bei Irma von Troll-borostyáni aus der Griesgasse verhält es sich ähnlich. Irma wer? Die Schriftstellerin, die 1912 mit 65 Jahren verstarb, hat immerhin 18 Bücher geschrieben und sich zeitlebens für Frauenrechte starkgemacht.
Unter dem Motto „Auf den Spuren bedeutender Salzburgerinnen“finden Führungen statt, die diese Frauen würdigen und ihre Wirkungsstätten aufsuchen. Insgesamt 26 bedeutende Salzburgerinnen sind inzwischen aufgespürt, darunter Malerinnen, Schriftstellerinnen, Musikerinnen, Frauenrechtlerinnen und Unternehmerinnen. „Nannerl“ist auch darunter. Man kennt sie, aber eben nur als Schwester des fünf Jahre jüngeren Genies. Dass sie selbst eins war, ist vielleicht nicht neu, aber vergessen. „Eine Karriere als Musikerin war für Mädchen damals nicht vorgesehen und als die Präsentation als Wunderkind altershalber nicht mehr passte, musste sie in Salzburg bleiben, während der Bruder weiter gefördert wurde.“Für Kohlschütter ist das „ganz einfach, ganz logisch, ganz zeitgemäß“. Als die junge Frau dann noch mit einem Witwer, der fünf Kinder in die Ehe brachte, verheiratet wurde und selbst noch dreimal Nachwuchs bekam, war die Musikkarriere, die so vielversprechend begonnen hatte, beendet. „Traurig, aber absolut normal.“Genauso normal wie das Schicksal ihrer Schwägerin „Stanzerl“beziehungsweise Constanze. Kaum jemand weiß, dass die beiden Frauen nach Mozarts Tod jahrelang erfolgreich daran arbeiteten, das Andenken des männlichen Genies zu wahren, Noten zu sichern und den Schuldenberg abzubauen.