Aus Liebe zur Geometrie
Die Sammlung Weishaupt gibt mit „Reine Formsache“einen umfassenden Einblick in die Konstruktiv-konkrete Kunst
- Dreieck, Viereck, Kreis oder Linie: Die Loslösung vom abzubildenden Gegenstand ist eine der wichtigsten Errungenschaften der Kunst des 20. Jahrhunderts. Solche Werke, die auf geometrischen Formen beruhen, sind erstaunlich vielschichtig. Wie sehr, das kann man jetzt in der neuen Ausstellung „Reine Formsache“in der Kunsthalle Weishaupt in Ulm erleben. Der Rundgang vereint erstmals 63 Werke aus 100 Jahren, die allesamt aus dem Fundus der Sammlung Weishaupt stammen. Ist doch die Konstruktiv-konkrete Kunst eine Herzensangelegenheit für Siegfried Weishaupt.
Los geht es mit Piet Mondrian, der ja eigentlich aus der Landschaftsmalerei kam, dann aber die Geometrie anstelle von Abbildung der Natur setzt. Seine Rasterbilder mit streng rechtwinkligen Strukturen aus schwarzen Linien mit weißen Flächen und Farbfeldern in Rot, Blau und Gelb sind weltberühmt. In der Sammlung Weishaupt findet sich eine Komposition aus dem Jahr 1922 – ein Gemälde, das bis heute Ruhe und Harmonie ausstrahlt.
Voller Energie sind im Vergleich dazu die Arbeiten der Zürcher Konkreten, die etwa mit Werken von Max Bill oder Richard Paul Lohse vertreten sind. „Ziel der konkreten kunst ist es, gegenstände für den geistigen gebrauch zu entwickeln, ähnlich wie der mensch sich gegenstände schafft für den materiellen gebrauch“, schrieb Max Bill einmal 1949. Tatsächlich sind ihre Arbeiten unabhängig von Vorwissen individuell erfahrbar. Die Farbflächen werden rational, ja fast schon mathematisch eingesetzt, haben aufgrund ihrer Farbintensitiät
aber eine enorm emotionale Wirkung auf den Betrachtenden. Sie wirken ausgelassen, entfesselt, fröhlich. Unter den Zürcher Konkreten findet sich übrigens auch die erste Leinwandarbeit der Sammlung Weishaupt: „Acht Farbgruppen mit hellem Zentrum“, das Lohse 1954/61 gemalt hat.
Eigentlich wollte der Sammler, dessen Interesse für die Konstruktivkonkrete Kunst durch die Hochschule für Gestaltung (HFG) in Ulm geweckt wurde, damals eine Farbkomposition von Josef Albers kaufen. Die grau-weiße Hommage an das Quadrat war aber bereits vergeben. Erst viele Jahre später fand „Opal“dann doch noch Eingang in die Sammlung. Mit allein 13 Arbeiten aus der Serie „Hommage to the Square“gilt die Kollektion Weishaupt in Bezug auf Josef Albers bundesweit als auch international als herausragend.
Albers zentrales Anliegen war die Untersuchung der Beziehung von Farben zueinander. Die nachfolgenden Generationen schlugen durch die Nutzung weiterer Materialien neue Wege ein. Da wäre zum Beispiel Peter Waibel mit seinen Lichtfarben, Peter Halley mit seinen fluoreszierenden Acrylbildern, Gerold Miller mit seinen makellosen Lacken auf Aluminium oder Heinrik Eiben mit seinen Collagen aus Filz, Autolack,
Leder und Holz. Die Schichtungen von Beat Zoderer, die Wandobjekte von Imi Knoebel sowie die pastellfarbenen Skulpturen von Gerwald Rockenschraub erweitern die künstlerischen Möglichkeiten in den dreidimensionalen Raum hinein. Denselben Ansatz hat auch der neueste Zugang – ein Relief von Wolfram Ullrich in grellem Gelb, das vor der großen Stirnwand zu schweben scheint. Bei John Armleder oder François Morellet spielt dann das Neonlicht eine zunehmend wichtige Rolle, während Niko Luoma mit Mehrfachbelichtungen experimentiert. Und Op-artkünstler wie Victor Vasarely oder Philippe Decrauzat sorgen für überraschende Effekte in Form von optischer Täuschung.
Was alle diese Werke eint, ist „ihre Liebe zur Geometrie, der Vorrang von Struktur und Ordnung, die systematische Verwendung von Farben und die Vermeidung gestisch-expressiver Ausdrucksmittel“wie Martin Mäntele im Ausstellungsmagazin treffend schreibt. Unter diesem Gesichtspunkt können auch Werke von Farbfeldmaler Frank Stella oder Popart-künstler Roy Lichtenstein neu betrachtet werden. Lichtensteins „Perfect Painting“(1985) und Stellas „Sidi Infni I“(1965) bestehen tatsächlich aus rein geometrischen Formen und hart Kante an Kante gesetzten Farbfeldern. In diesem Zusammenhang hat man jene Gemälde wohl noch nie gesehen. Die Liebe zur Geometrie hat eben viele Gesichter.