Einkaufen bis in den späten Abend ist passé
Immer mehr Geschäfte kehren zu früheren Ladenschlusszeiten zurück – Experten sehen Gefahr für Innenstädte
- Diskutiert wird es schon länger, doch nur wenige Einzelhändler trauen sich, damit an die Öffentlichkeit zu gehen: Einkaufen von früh bis in den späten Abend war gestern. Viele Geschäfte schließen nachmittags früher oder machen vormittags später auf. Meistens wird das mit den hohen Energiekosten erklärt. Doch es hat auch andere Gründe. Der Handelsverband Badenwürttemberg spricht von einem „schmalen Grat“.
Der Wettbewerb unter den Lebensmittelhandelsketten ist hart. Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarzgruppe (Lidl, Kaufland) teilen den Markt im Wesentlichen unter sich auf. Wer früher schließt, könnte Kunden an die Konkurrenz verlieren. Deshalb wohl winken die Konzerne auf die Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“ab, ob sie nach dem Vorbild von Aldi Nord ihre Supermärkte künftig früher schließen oder später öffnen wollen.
Einige selbstständige Edekahändler scheren allerdings aus. So machte es der Kaufmann Dieter Hieber publik, dass seine 16 Märkte in der Region um Lörrach im August bis Anfang September mittwochnachmittags ab 13 Uhr geschlossen waren. Dem Beispiel folgten die Edekahändler Staufers, Gebauer und Daiber, die unter anderem Märkte in Göppingen und Filderstadt betreiben. Seit Mitte Oktober schließen ihre Märkte eine Stunde früher, um 20 Uhr, in kleineren Orten sogar schon um 19 Uhr.
Die Händler wollen laut offizieller Begründung damit einen Beitrag zum Energiesparen leisten. Ein Markt, der nur eine Stunde weniger geöffnet ist, kann seine Energiekosten nach Ansicht von Experten um zwei Prozent senken.
Doch nicht nur große Lebensmittelmärkte treibt die Sorge um die explodierenden Kosten um. Auch Mode-, Buch- und andere Fachhändler denken über kürzere Öffnungszeiten nach oder setzen sie schon um. Der Handelsverband Baden-württemberg (HBW) hat rund 300 Händler dazu befragt. Demnach hat bereits jeder Fünfte die Öffnungszeiten eingeschränkt.
Ein weiteres Drittel ist noch am Überlegen.
Kommen damit die früheren Ladenschlusszeiten wieder zurück, als der Einzelhandel um 18.30 Uhr schließen musste? So sieht es der Verband zumindest nicht: „Die aktuellen Anpassungen der Öffnungszeiten hängen hauptsächlich mit den explodierenden Energiepreisen zusammen“, sagt Hauptgeschäftsführerin Sabine Hagmann.
Selten nur fallen Namen, welche Händler denn nun früher zumachen. Bekannt ist, dass der Buchhändler Osiander, zu dem auch Ravensbuch gehört, einige Filialen um 30 bis 60 Minuten früher schließen will. Es sei ein Schritt, den er den Kunden gegenüber vertreten könne, sagte Osiander-chef Christian Riethmüller kürzlich der „Stuttgarter Zeitung“. Seine Beobachtung: „Seit Corona kaufen die Menschen ohnehin nicht
mehr so spät ein.“Tatsächlich haben viele Kaufleute dem Einkaufen bis in die späten Abendstunden bereits nach den Corona-lockdowns einen Riegel vorgeschoben. Häufig wegen fehlendem Personal.
So machen etwa Lebensmittelmärkte, die vormals bis 24 Uhr geöffnet hatten, seither um 22 Uhr zu. Fachgeschäfte, die nach 20 Uhr noch geöffnet sind, finden sich selbst in größeren Innenstädten kaum noch.
Die Krise im Einzelhandel zwinge zu neuen Maßnahmen, sagt Hermann Hutter, Präsident des Handelsverbands, der 40 000 Unternehmen im Land vertritt. „Es sind nicht nur die Energiekosten. Es ist die Mischung aus den horrenden Kosten, gleichzeitiger Kaufzurückhaltung der Kunden und Personalmangel“, sagt Hutter im Gespräch
mit der „Schwäbischen Zeitung“. Der Facheinzelhandel brauche für 1000 Quadratmeter Fläche zehn bis 15 Mitarbeiter, ein Supermarkt oder Discounter dagegen nur drei. Gerade für kleinere Läden könnten angepasste Schließzeiten, eine „sinnvolle Strategie sein, um durch die Krise zu kommen“.
Doch viele Händler befürchten eine Abwärtsspirale, wenn Läden in der Innenstadt früher schließen. Das könnte Kunden abschrecken, überhaupt noch in die Stadt zu fahren, meinen Experten. „Das ist ein schmaler Grat“, sagt ein Sprecher des Einzelhandels dazu.
Friedrich Werdich (Foto: Margit Fröhle), Chef des gleichnamigen Schuhhauses, das 36 Filialen in der Region betreibt, findet frühere
Schließzeiten grundsätzlich nicht schlimm. In kleineren Städten könnten die Geschäft früher zumachen, weil dort ohnehin abends nicht viel los sei. „In größeren Innenstädten wie Ravensburg wäre 19 Uhr ideal, in Ulm eher 20 Uhr“, sagt der Kaufmann. Problematisch sei es, wenn der Kunde in einer Stadt unterschiedliche Öffnungszeiten vorfinde. „Ich bin ein großer Verfechter von einheitlichen Kernöffnungszeiten“, sagt der Werdich-geschäftsführer im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Dagegen sei er noch nie ein Freund „überlanger Einkaufszeiten“gewesen. „Shopping“bis 22 Uhr sei nur im Zusammenhang mit Veranstaltungen in der Innenstadt sinnvoll. „Dauerhaft ist die Belastung für die Mitarbeiter zu hoch“, sagt der Kaufmann.
Die Absage an den Späteinkauf ist aus Sicht der Gewerkschaft Verdi zu begrüßen. Ein früherer Feierabend mache den Einzelhandel für Fachkräfte attraktiver. Die Gewerkschaft hatte jahrelang gegen die Freigabe der Ladenöffnungszeiten gekämpft. Seit 2007 darf in Baden-württemberg rund um die Uhr geöffnet werden, außer sonntags. In Bayern dürfen Händler dagegen nur von 6 bis 20 Uhr im Laden verkaufen.
Ob es an den langen Öffnungszeiten liegt, wenn die Geschäfte keine Mitarbeiter finden, ist umstritten. Experten sehen auch Vorteile darin, wenn Verkäuferinnen und Verkäufer in Früh- oder Spätschichten arbeiten können. Insider meinen, der Rückbau bei den Öffnungszeiten komme kleinen Geschäften entgegen. Der Fall des Ladenschlussgesetzes hätte immer nur Kaufhauskonzernen und großen Filialisten genützt, weil damit kleinere Anbieter aus dem Markt gedrängt werden konnten.
Die Ladenöffnungszeiten sind aus Sicht von Friedrich Werdich letztlich nur ein Baustein, der entscheide, ob die Kunden nach der Krise wieder „mit Lebensfreude“in die Innenstädte kommen. „Wichtig ist, dass die Menschen hier eine Vielfalt aus Geschäften, Gastro und Kultur vorfinden.“Innenstädte seien Orte der Begegnung: „Diese müssen wir erhalten“, sagt Werdich.