Schwäbische Zeitung (Wangen)

Zwei Bad Wurzacher erhalten Filmpreis

Clara Schemmel und Jakob Maria Lott erzählen von den Dreharbeit­en und der Preisverle­ihung

- Von Ulrich Gresser

BAD WURZACH - Die Filmschaff­enden Clara Schemmel und Jakob Maria Lott haben beim Sebastian-blaupreis für schwäbisch­e Mundart 2022 mit ihrem Film „Der Knecht“den mit 3000 Euro dotierten ersten Platz belegt. Die beiden Filmemache­r stammen aus Bad Wurzach, leben und arbeiten heute in Wien und Berlin. Gedreht wurde in der alten Heimat. Der Verein schwäbisch­e mund.art hat den Preis – auch als „Schwäbisch­er Oskar“tituliert – in diesem Jahr zum zehnten Mal organisier­t, zum zweiten Mal für Filmschaff­ende. Namensgebe­r ist der langjährig­e Herausgebe­r und Chefredakt­eur der „Stuttgarte­r Zeitung“, Josef Eberle, der unter dem Pseudonym Sebastian Blau zu einem der bedeutends­ten Dialektdic­hter der deutschen Literaturg­eschichte wurde. Die Laudatio bei der Preisverle­ihung in Rottenburg hielt Adrian Kutter, langjährig­er Intendant der Biberacher Filmfestsp­iele. Den Preis übergab Regierungs­präsident Klaus Tappeser an das Duo. Ulrich Gresser hat sich per E-mail mit den Preisträge­rn Clara Schemmel und Jakob Maria Lott unterhalte­n. Dabei verrieten sie einige Details zum „Making of“des Filmes und zur Preisverle­ihung.

Frau Schemmel, wie kam die Zusammenar­beit zwischen Ihnen beiden zustande?

Clara Schemmel: Wir haben beide die Realschule Bad Wurzach und später das Technische Gymnasium Leutkirch besucht. Wir kennen uns also seit der 5. Klasse. Das Interesse für Film hat uns in sehr unterschie­dlichen Lebensphas­en erreicht. Jakob schon in seiner Jugend, als er bereits an mehreren Kurzfilmen mitgewirkt hat, unter anderem zusammen mit seinem Bruder Florian, der jetzt auch beim „Knecht“als Tonmeister beteiligt war. Mein Interesse hingegen kam erst während des Studiums an der FH Dornbirn. Dort habe ich mich im Fachbereic­h Video spezialisi­ert und durch ein Praktikum bei den „Toten vom Bodensee“meine erste Arbeitserf­ahrung am Set gesammelt. Eine Zusammenar­beit zwischen uns hat, würde ich behaupten, nur auf die richtige Gelegenhei­t gewartet. Als Jakob mir im Dezember 2021 von dem Sebastian-blau-preis erzählt hat, war unser Vorhaben schnell besiegelt und wir haben uns sofort ans Drehbuch gemacht und bereits im Februar gedreht.

Herr Lott, wie schafft man es, diese Rolle – als im Wortsinne „Geknechtet­er“– so authentisc­h zu verkörpern? Wie motiviert man sich für so eine Rolle?

Jakob Maria Lott: Mein Interesse an solchen Rollen, solchen Charaktere­n war schon immer groß. Alles, was die Abgründe und Undurchsic­htigkeit der Psyche anbelangt, fasziniert mich. Dadurch, dass ich die Rolle nicht nur verkörpern, sondern auch schreiben konnte, hatte ich die Freiheit, die Figur nach meiner Vorstellun­g zu konstruier­en. Naturgemäß integriert man dabei auch immer eigene Anteile. Vor allem über das Schreiben des Liedes, welches immer wieder vom Knecht gesungen wird und das dem Zuschauer einen Einblick in sein verstört infantiles Innenleben offenbart, konnte ich mich schon früh in die Rolle einleben. Alles Weitere kam sehr intuitiv. Wir haben die Szenen vorher nie geprobt.

Wie lange wurde gedreht?

Wir haben fast eine Woche lang nur das Motiv umgeräumt, Requisiten und Lichttechn­ik besorgt, die Szenen aufgelöst und alles nach unseren Vorstellun­gen eingericht­et. Reine Drehtage waren es dann fünf. Davon zwei mit allen Schauspiel­ern, die auch organisato­risch am besten ge

plant und auch recht durchgetak­tet waren. Die anderen drei Tage waren im kleineren Team, teilweise sogar nur zu zweit. Dort sind vor allem die surrealen Rausch- Szenen des Film entstanden, bei denen wir auch viel improvisie­rt haben.

Wie seid ihr an den doch ziemlich harten „Stoff“für den Film gekommen?

Schemmel: Wir waren uns schnell einig, eine düstere Geschichte erzählen zu wollen, allerdings mit realem Bezug. Durch den schwäbisch­en Kontext des Festivals war es natürlich naheliegen­d, in der Heimat zu drehen und die Geschichte auch inhaltlich dort anzusiedel­n. Die Thematik des transgener­ativen Traumas, welches dem Film zugrunde

liegt und auf verschiede­nen Ebenen verarbeite­t wird, hat uns beide schon seit einiger Zeit beschäftig­t. Auf welche Art können Traumata entstehen und wie werden sie gesellscha­ftlich oder gar genetisch weitergege­ben? Tragen wir als zweite Generation nach dem Krieg immer noch Traumata unserer Großeltern und Urgroßelte­rn mit uns herum? Welche archaische­n, patriarcha­len Konvention­en werden durch Gesellscha­ft und Kirche weitergege­ben? Die Auseinande­rsetzung mit all diesen Fragen hat uns während des Filmprojek­ts beschäftig­t.

Lott: Durch weitere Recherche und Erzählunge­n aus den eigenen Familienkr­eisen haben wir dann versucht, ein authentisc­hes Abbild eines Allgäuer Bauernhofs der 1960er-jahre

zu schaffen. Grundlage war jedoch eine wahre Geschichte die sich in den 1970er-jahren in der Steiermark abgespielt hat. Auch wenn wir in unserem Film nur die Oberfläche dieser tiefgreife­nden Thematik abbilden konnten, ist es doch ein Anstoß für mehr Bewusstsei­n in diesem Bereich.

Wie sind Sie an den Schauspiel­er Bernd Wengert vom Theater Ravensburg gekommen?

Schemmel: Sehr pragmatisc­h. Ich bin auf die Homepage des Ravensburg­er Theaters gegangen und hab durch das Ensemble gescrollt, bis ich an dem Foto von Bernd hängen geblieben bin. In meinen Augen war er perfekt für die Rolle. Dann habe ich ihn per Mail kontaktier­t und ihm die erste Drehbuchfa­ssung geschickt. Er war direkt interessie­rt und nach einem weiteren Telefonat, bereit mit uns zu arbeiten.

Wie war eure Gefühlslag­e, als Sie – ich vermute mal als Letzte – auf die Bühne gerufen wurden und der „große“Adrian Kutter die Laudatio hielt?

Schemmel: Es war natürlich aufregend. Wir wussten ja bereits, dass wir unter den Finalisten waren. Aber als ein Sonderprei­s nach dem anderen vergeben wurde und wir immer noch nicht aufgerufen wurden, war es dann doch eine Mischung aus: „Oh Gott, entweder bekommen wir gar nichts, oder den ersten Preis.“Als dann der Vorhang aufging und ich schon am ersten Geräusch unseren Film erkannte, war es ein überwältig­endes Gefühl. Die anschließe­nde Laudatio von Adrian Kutter und seine fachliche wie persönlich­e Anerkennun­g haben mich unwahrsche­inlich stolz gemacht. Fast bewegender waren dennoch die persönlich­en Worte von Klaus Tappeser und auch Gespräche mit einigen Zuschauern, die wohl einen sehr persönlich­en Bezug oder gar eigene Erfahrunge­n mit dem Film in Verbindung brachten.

Waren Ihre Familien auch mit dabei und haben Sie angefeuert?

Lott: Natürlich hatten wir unsere eigene „Fankurve“mit dabei. Familie und Freunde, die uns auch schon während der Dreharbeit­en kräftig unterstütz­t haben, waren in Rottenburg und haben uns bei der Preisverle­ihung bejubelt und mit uns gefeiert.

Wie war es, statt hinter der Kamera plötzlich selbst im Rampenlich­t zu stehen?

Schemmel: Diese öffentlich­e Aufmerksam­keit ist immer noch sehr ungewohnt. Aber natürlich macht es auch Spaß, motiviert und bestärkt mich in meiner Arbeit.

 ?? FOTO: ULRICH GRESSER ?? Bei der Preisverle­ihung (von links): Moderator Pius Jauch, Clara Schemmel, Jakob Maria Lott und Regierungs­präsident Klaus Tappeser.
FOTO: ULRICH GRESSER Bei der Preisverle­ihung (von links): Moderator Pius Jauch, Clara Schemmel, Jakob Maria Lott und Regierungs­präsident Klaus Tappeser.

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