Eine Hinrichtung wie ein Volksfest – und der Gestapo-mord an einem jungen Mann
Rund 10 000 Menschen jubelten 1790 in Kaufbeuren, als das scheinbar letzte Todesurteil vollstreckt wurde – Vor knapp 80 Jahren wurde in der Stadt erneut ein Galgen aufgebaut
- 153 Jahre liegen zwischen den Todestagen von Andreas Schwaiger und Stefan Smiglarski. Es sind zwei Hinrichtungen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Trotzdem gelten beide Männer als die letzten Menschen, die in Kaufbeuren hingerichtet wurden. Wie kann das sein?
29. Mai 1790. Ein junger Mann wird durch die Straßen geschleift. Eingewickelt in eine Kuhhaut, festgebunden auf einem flachen, schlittenartigen Holzgestell. Das Ziel ist der „Galgenberg“. Ein Flurname für die Anhöhe, auf der der Kaufbeurer Galgen steht – gehängt werden soll heute aber niemand.
Es herrscht reges Treiben: Händler verkaufen Essen und Getränke. Schausteller sehen ihre Chance auf Profit. Etwa 10 000 Menschen strömen zu dieser Hinrichtung. Sie alle wollen sehen, wie Andreas Schwaiger stirbt: Er soll gerädert werden. So beschreibt Autor Jürgen Kraus den Todestag von Schwaiger. Die Hinrichtung hatte „den Charakter eines Volksfestes“, steht in seinem Werk „Stadtgeschichte Kaufbeuren“.
Dr. Peter Keller leitet das dortige Stadtarchiv und weiß: „Andreas
Schwaiger war nicht gerade unbekannt. Er war schon Monate und Jahre zuvor immer wieder in den Stadtchroniken aufgetaucht.“Er sei eine Art Berühmtheit gewesen – seine Hinrichtung „ein Spektakel“. Dem gebürtigen Steingadener wurden 43 Verbrechen zugeschrieben: darunter Diebstähle, Einbrüche und Brandstiftungen. Für die Tat, die ihn letztendlich zum Galgenberg geführt hat, findet Kraus deutliche Worte: Es sei „der schrecklichste Kriminalfall in der Geschichte der Freien Reichsstadt Kaufbeuren“gewesen.
23. Dezember 1789. Der Händler Andreas Schwaiger befindet sich im Laden der Jungfer Catharina Elisabetha Heinzelmann. Er möchte Waren bezahlen. Heinzelmann sieht vermutlich die Chance auf ein weiteres Geschäft: Sie könne ihm noch mehr Waren zeigen. Ein fataler Fehler. Andreas Schwaiger tötet zunächst die Magd Sabrina Lechner und dann auch Heinzelmann selbst mit einem Beil. Er flüchtet mit nur sehr wenig Diebesgut und wird bald darauf geschnappt – so steht es in den Stadtchroniken.
Schwaigers Hinrichtung stand seinen Morden in Grausamkeit keineswegs nach: Das Todesurteil lautete „Rädern von unten herauf“. Dabei
zertrümmerte der Scharfrichter dem Verurteilten alle Gliedmaßen. Nach dem „Gnadenstoß“– einem Stich durch das Herz – wurde er auf das Rad geflochten und neben dem Galgen am „Galgenberg“aufgestellt. Dort waren seine Überreste 15 Jahre lang zu finden, bis der Galgen 1805 aus Kaufbeuren verschwand. Schwaigers Hinrichtung war die letzte in der Freien Reichsstadt Kaufbeuren.
Doch Jahrzehnte später bekam das Stadtbauamt Kaufbeuren einen erschreckenden Auftrag: Erneut sollte ein Galgen errichtet werden – und das möglichst schnell. „Es hat nur die Anordnung der Gestapo aus München gebraucht“, sagt Petra Weber, Leiterin des Stadtmuseums Kaufbeuren. Die „Geheime Staatspolizei“der Nationalsozialisten hatte entschieden: Der polnische Zwangsarbeiter Stefan Smiglarski soll eine „Sonderbehandlung“bekommen – und das nur, weil er heim wollte. 22. November 1943. An der Weinhalde in Kaufbeuren sind nur wenige Menschen versammelt. Was hier passiert, soll nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Stefan Smiglarskis Hinrichtung ist einzig für die Augen ein paar weniger Männer gedacht. Eine unterschwellige Drohung für jeden anderen Zwangsarbeiter:
„Wagt nicht, es ihm gleich zu tun.“Der 19-jährige Smiglarski war vier Jahre zuvor vom Nazi-regime verschleppt worden, um in Deutschland zu arbeiten. Das tat er: In Marktoberdorf war Smiglarski Knecht auf einem Bauernhof, in Kaufbeuren Gehilfe eines Schuhmachers. Die Rückkehr nach Polen wurde ihm untersagt. Also versuchte der junge Mann mehrmals, zu fliehen. „Bei seinem letzten Fluchtversuch stahl er das Fahrrad seines Arbeitgebers, wurde aber gefasst und in das Kaufbeurer Gefängnis eingesperrt“, heißt es in den Unterlagen des Stadtarchivs. Es sollte ein Exempel statuiert werden: Smiglarski wurde an einem Galgen gehängt, der eigens für ihn gebaut wurde.
Dieser „tragische Fall“, wie ihn Weber bezeichnet, ist faktisch die letzte Hinrichtung von Kaufbeuren. Das ist vielen Menschen aber nicht bewusst: Die Gestapo hat ihre Spuren gründlich verwischt. Auf der Sterbeurkunde von Stefan Smiglarski steht eine falsche Todesursache, Gerichtsakten sind schwer aufzufinden. Petra Weber geht im Moment nochmal vertieft in die Recherche: Sie arbeitet an einem ausführlichen Aufsatz zu Smiglarskis Geschichte.