Schwäbische Zeitung (Wangen)

Das Lachen ist zurück

Wie sich Radrennfah­rerin Laura Süßemilch nach ihrem schweren Sturz zurückkämp­ft

- Von Martin Deck

RAVENSBURG - Laura Süßemilch lächelt, als sie um die Ecke gebogen kommt. Gerade erst hat sie eine Radtour mit ihrer guten Freundin Liane Lippert (Team Moviestar) beendet, nun erscheint sie bestens gelaunt zum Interviewt­ermin. „Obwohl wir kaum etwas gesehen haben, hätten wir noch stundenlan­g weiterfahr­en können“, schwärmt die Radrennfah­rerin von ihrer verhältnis­mäßig kurzen Ausfahrt durch die vernebelte Landschaft Oberschwab­ens und lacht erneut.

Dann beginnt sie zu erzählen – vom schlimmste­n Tag ihrer bisherigen Karriere. Schnell wird klar: Werder ihr Lächeln noch die Radtour mit ihrer Freundin sind in diesen Tagen selbstvers­tändlich. Rückblick: Es ist der 25. Juli, die zweite Etappe der Tour de France Femmes steht an. Die Frankreich-rundfahrt der Frauen findet erstmals seit vielen Jahren wieder statt, ist das Highlight im Rennkalend­er – nicht nur für Laura Süßemilch, sondern für alle Starterinn­en im Feld. Dementspre­chend groß ist die Nervosität unter den Fahrerinne­n, alle wollen sich auf großer Bühne zeigen – das hat fatale Folgen. Immer wieder kommt es auf den acht Etappen zu schweren Stürzen. Besonders heftig ist aber der Massencras­h auf der zweiten Etappe.

Rund 22 Kilometer vor dem Ziel kommen gleich mehrere Fahrerinne­n bei mehr als 60 km/h zu Fall – mittendrin Laura Süßemilch. Die gebürtige Weingarten­erin, aufgewachs­en in Zollenreut­e bei Aulendorf, bleibt vorerst regungslos am Straßenran­d liegen. „Als Sportler hat man ein gutes Gefühl für den eigenen Körper. Als ich auf dem Boden lag, wusste ich sofort, da ist was gebrochen“, erzählt die 25-Jährige.

Die Rennärzte eilen zu ihr, wenig später wird sie in ein Krankenhau­s in der Nähe gebracht. Die erste Diagnose: Ein Hals- und ein Brustwirbe­l sind gebrochen. Nach der Verlegung in eine Klinik in Saarbrücke­n wird zudem eine kaputte Rippe entdeckt. Doch trotz einer Halskrause zur Stabilisie­rung verschwind­en die Schmerzen nicht, Süßemilch wird zunehmend schwindlig. Sie wird nach Tübingen verlegt. In der Bg-klinik stellen die Ärzte schließlic­h einen dritten Wirbelbruc­h und einen Bruch im Hinterkopf fest. „Ich werde die Momente nie vergessen, wie ich im Krankenhau­s lag und darauf gewartet habe, dass die Ärzte mir sagen, was ich habe“, erzählt die Ravensburg­erin. „Als dann die Untersuchu­ngsergebni­sse da waren, ist mir direkt schlecht geworden. Ich hatte panische Angst.“

Doch sie nimmt die Herausford­erung an, schenkt ihr volles Vertrauen

den Ärzten in der Bg-klinik Tübingen, die von einer Operation abraten – und macht schnell Fortschrit­te. Erstmals findet sie auch wieder Kraft, sich öffentlich zu äußern. „Die letzten Tage bin ich durch die Hölle gegangen“, schreibt sie eine Woche

nach ihrem Sturz auf Instagram. „Jetzt kann ich sagen: Gott sei Dank, dass ich noch lebe und in ein paar Wochen wieder 100 Prozent gesund werde.“

Doch zunächst folgt ein harter Weg zurück. Nach Monaten auf der

Euphoriewe­lle mit dem Gewinn des Weltmeiste­r- und Europameis­tertitels in der Teamverfol­gung auf der Bahn und der Wahl zur „Mannschaft des Jahres 2021“kommt für Laura Süßemilch die Vollbremsu­ng. Während ihre Teamkolleg­innen bei den European Championsh­ips den Em-titel verteidige­n, muss die 25-Jährige ihre Muskeln und Ausdauer ganz behutsam aufbauen – stets darauf bedacht, die verletzte Wirbelsäul­e nicht zu sehr zu belasten.

Seit drei Wochen darf Süßemilch wieder komplett auf ihre Halskrause verzichten. „Als die Ärzte bei der Kontrolle sagten, es sei alles bestens verheilt, war das ein unglaublic­her Moment.“Direkt im Anschluss ging es auf die erste Radtour seit Wochen. „Erst da habe ich gemerkt, dass sich alles wieder stabil anfühlt und ich meinen Kopf gut bewegen kann. Ab dann habe ich wieder Vertrauen in meinen Körper gehabt. Ich fühle mich sicher auf dem Rad.“

Geholfen haben ihr dabei auch die Unterstütz­ung der Familie und viele Gespräche, unter anderem mit der zweimalige­n Bahnrad-olympiasie­gerin Kristina Vogel, die seit einem Trainingss­turz 2018 im Rollstuhl sitzt. „Sie hat sich direkt bei mir gemeldet und mir Mut zugesproch­en. Das hat mich sehr gefreut.“Gemeinsam mit einer Mentaltrai­nerin hat Süßemilch in den vergangene­n Wochen den Sturz und die Folgen aufgearbei­tet. „Ich bin jetzt an dem Punkt, an dem ich sagen kann, ich hab mit dem, was passiert ist, abgeschlos­sen. Ich schaue nur noch nach vorne.“

Und dieser Blick ist durchweg positiv. Schon in der kommenden Woche geht es zu einem Trainingsl­ager auf Mallorca, im Dezember folgt ein weiteres auf dem spanischen Festland. Gemeinsam mit ihrem Team Plantur-pura, das ihren Vertrag trotz aller Ungewisshe­iten nach dem Sturz um ein weiteres Jahr verlängert hat, wird sie sich dort auf die kommende Saison vorbereite­n. Bei welchen Rennen die groß gewachsene Fahrerin an den Start gehen wird, ist aber noch offen. Zunächst gehe es nur darum, wieder vollkommen gesund zu werden und den Körper behutsam auf das alte Leistungsn­iveau zurückzubr­ingen. Dabei will sie sich Zeit lassen. „Ich gehe jetzt anders durchs Leben, weil ich es viel mehr genießen kann und vor allem große Freude daran habe, dass ich wieder Rad fahren kann. Das ist nicht nur mein Job, sondern meine Leidenscha­ft.“

Und die soll sie im besten Fall noch einmal zur Frankreich-rundfahrt führen. „Ich will auf jeden Fall noch einmal zur Tour. Ich habe noch eine Rechnung offen“, sagt Laura Süßemilch und lächelt erneut.

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FOTO: JEFF PACHOUD/DPA Auf der zweiten Etappe der Tour de France stürzte Süßemilch so schwer, dass sie sich drei Wirbel und eine Rippe brach. Später wurde zudem ein Bruch im Hinterkopf festgestel­lt.
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FOTO: ARNE MILL/IMAGO Kann mittlerwei­le wieder lachen: Laura Süßemilch.

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