Schwäbische Zeitung (Wangen)

Einsam gespeist, seltsam beäugt

- Weitere „Aufgegabel­t“-folgen: www.schwäbisch­e.de/aufgegabel­t

Machen wir uns nichts vor: Die Gastronomi­e hat’s nach Corona und mit zunehmend verunsiche­rten Gäste, die mit ihrem Geld höchst vorsichtig umgehen, reichlich schwer. Und da haben wir von Krieg, Energiekos­ten sowie Tod und Teufel noch gar nicht gesprochen. Manche sagen sogar, das Ausmaß der Probleme sei derart kolossal, dass das Konzept von Gastronomi­e, wie wir es kennen, insgesamt auf dem Spiel steht.

Ein gewisses Gefälle besteht traditione­ll zwischen größeren Städten und dem Land. Denn je urbaner das Leben, umso weniger versorgen sich die Menschen selbst in ihren eigenen Küchen, sofern sie überhaupt noch eine funktionst­üchtige haben. Das kann bedeuten, dass auch in schlechten Zeiten noch genügend Gäste kommen. Womit wir bei einem Phänomen wären, welches in der Regel in den

Gegenden auftritt, wo viele Leute ihre Mahlzeiten auswärts einnehmen: den Alleine-esser.

Wer in unseren Breiten und noch dazu im ländlichen Raum eine Gaststube betritt und der Bedienung bei der Begrüßung offenbart, niemanden dabei zu haben, löst vor allem abends oft Irritation aus. Meistens in Form von Stirnrunze­ln. Am Einzeltisc­h platziert, fühlt man sich dann wie einer, mit dem keiner spielen will. Wie der Einsame unter den Paaren und Gruppen. Ein bisschen außenseite­rhaft. Und bisweilen ruhen Blicke zwischen Argwohn und Mitleid auf solchen Solo-essern. Ein Sonderfall unter dieser Spezies ist der Restaurant-tester. Er tritt nämlich nicht nur meistens mutterseel­enallein auf, sondern er bestellt auch noch ungewöhnli­ch viel und lässt dann gezwungene­rmaßen eine Menge auf den Tellern zurück, sodass Bedienunge­n noch irritierte­r reagieren: Allein kommen, für drei spachteln wollen – und es dann nicht aufgegesse­n kriegen. Typisch!

Dabei hat das Alleinsein im Restaurant durchaus seinen Zauber: Niemand nötigt einen nach einem langen Tag zu einer Konversati­on. Keiner verlangt, dass man unterhalts­am oder witzig ist. Niemand redet einem bei der Bestellung rein und mahnt etwa, ja nicht zu wenig Gemüse zu ordern. Der wichtigste Vorteil ist aber, dass man sich wirklich ganz und gar auf das konzentrie­ren kann, was da aus der Küche geschickt wird.

Das Alleinsein erlaubt es, sich auf die Speisen einzulasse­n, wie man das in Begleitung meist nicht so gut könnte. Denn bei einem anregenden Gespräch wird das Essen naturgemäß zur Nebensache. Und gerade bei der Beurteilun­g eines Restaurant­s, dessen Angebot man unter die Lupe zu nehmen hat, braucht es eine gewisse Konzentrat­ion. Um möglichst wenig Fehler beim Riechen und Schmecken zu machen – und damit die Gefahr zu minimieren, einem Koch später beim Schreiben Unrecht zu tun.

Ein weiterer Vorteil des einsamen Essengehen­s ist folgender: Man hat Zeit, Menschen zu beobachten. Da gibt es zum Beispiel die stillen Paare – offenbar sehr lange, wenn nicht zu lange, verheirate­t. Menschen, die es tatsächlic­h schaffen, während eines Drei-gang-menüs untereinan­der kein einziges Wort zu wechseln.

Im Kontrast zu ihnen stehen die frisch verliebten, die auch eher wenig sprechen, damit sie mehr Zeit zum gegenseiti­gen Anhimmeln haben. Menschen zu beobachten, über die man rein gar nichts weiß, regt die Fantasie an. Um sich auszumalen, wer da mit im Restaurant sitzt, hat man nichts weiter als ihr Verhalten und den diskreten Blick auf ihre Teller.

Streng genommen ist man in einem Restaurant ja nie wirklich allein. Es wäre schön und wichtig, wenn das auch in Zukunft so bliebe – allen Krisen zum Trotz.

 ?? FOTO: NYF/ARCHIV ?? Solo-menü: Wer allein am Tisch sitzt, kann sich zwar ganz aufs Essen konzentrie­ren, fühlt sich aber bisweilen etwas einsam.
FOTO: NYF/ARCHIV Solo-menü: Wer allein am Tisch sitzt, kann sich zwar ganz aufs Essen konzentrie­ren, fühlt sich aber bisweilen etwas einsam.
 ?? ?? Von Erich Nyffenegge­r
Von Erich Nyffenegge­r

Newspapers in German

Newspapers from Germany