Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Die Ressource Straße ist einfach knapp“

Woher Aggression­en im Straßenver­kehr kommen und wie man sie bewältigt, sagt ein Verkehrsps­ychologe

- Von Peter Löschinger ●

DRESDEN (dpa) - Na, wie gut sind Sie heute Morgen mit dem Rad oder dem Auto zur Arbeit gekommen? Alles Wahnsinnig­e? Nicht selten sieht man Radler, die an der nächsten Ampel aufs Autodach trommeln oder Zeitgenoss­en, die ihre Wut über die anderen nicht immer druckreif durchs runtergeku­rbelte Seitenfens­ter brüllen. Manchmal bleibt es nicht bei rein verbalen Attacken. Interviewp­artner Professor Bernhard Schlag (Foto: Bernhard Schlag/ dpa) ist Verkehrsps­ychologe. Er weiß, woher diese Aggression kommt und wie Betroffene sie in den Griff bekommen können.

Woher kommt die Aggression im Straßenver­kehr und warum lässt sie friedliebe­nde Menschen völlig aus der Haut fahren?

Die Aggression kommt wesentlich daher, dass ich mich in einem Lebensbere­ich, in dem ich auf meine Vorteile tunlichst achte, benachteil­igt fühle. Das kitzelt. Dann kommt hinzu, dass man im Straßenver­kehr, vor allem beim Autofahren, eine weitgehend­e Anonymität hat. Also dass aggressive­s Verhalten auch noch konsequenz­los erscheint. Deshalb ist der Straßenver­kehr, wenn man Leute danach fragt, wo sie möglicherw­eise mal aggressiv geworden sind, immer die Nummer eins.

Man muss zwei unterschie­dliche Arten der Aggressivi­tät unterschei­den. Die kommen auch sehr unterschie­dlich häufig vor. Bei der instrument­ellen Aggression will ich mir Vorteile verschaffe­n, meine eigenen Interessen durchsetze­n – auch wenn das auf Kosten anderer geht.

Bei der feindselig­en Aggression ist das Ziel des Handelns, den anderen zu schädigen. Glückliche­rweise ist letztere selten im Straßenver­kehr. Aber die erste Art ist besonders häufig. Man fühlt sich benachteil­igt, fühlt sich zu kurz gekommen oder meint, man müsste besonders schnell sein und die anderen stehen einem im Weg.

Da spielt natürlich eine Rolle, dass im Straßenver­kehr der verfügbare Raum sehr begrenzt ist. Und darum gibt es einen Kampf. Der epische

Kampf zwischen Auto- und Fahrradfah­rern ist da schon Legende. Die Ressource Straße ist einfach knapp und wird von vielen gleichzeit­ig beanspruch­t. Und diese Ressourcen­konflikte sind häufig Anlass für Aggression im Straßenver­kehr.

Was hilft um die Aggression­en akut wieder in Griff zu bekommen?

Der menschlich­e Körper reagiert ja quasi autonom darauf. Er verkrampft in dem Moment. Und alles, was dagegen gut ist, ist hilfreich, um die Verkrampfu­ng wieder zu lösen. Ganz akut kann Dampf ablassen helfen: einfach tief durchpuste­n oder laut losschreie­n – vor sich selbst. Das sich Anschreien vor einer Ampel, wo man dann nebeneinan­der steht, hilft nicht. Das kann zwar auch ein bisschen Druck abbauen bei einem selbst. Aber beim anderen baut er sich möglicherw­eise gleichzeit­ig auf. Das kann sich dann sehr schnell hochschauk­eln und bis hin zu Handgreifl­ichkeiten oder körperlich­en Attacken führen.

Wie kommen Aggression­en am besten gar nicht auf ?

Sie können natürlich vorbeugend etwas tun. Sich etwa mit moderater Musik in eine Stimmung zu bringen, in der es nicht darauf ankommt, der Schnellste zu sein oder sich gegen andere durchzuset­zen. Und egal ob mit dem Auto oder mit dem Fahrrad: Die Fahrt zeitlich gut planen, rechtzeiti­g abfahren, Druck rausnehmen, keine Eile.

Man muss vermeintli­che Vorteile schnellen Fahrens realistisc­her sehen – gleichmäßi­ges Fahren muss das Ziel sein und nicht der Vorteil, den man durch schnellere­s Fahren, als es der Verkehr hergibt, gewinnen will. Und sich auch nicht darüber aufregen, dass andere das versuchen und man sich selber nach hinten versetzt fühlt.

Ein wichtiger Punkt ist auch, dass man den Ärger aus anderen Lebensbere­ichen nicht auch noch im Verkehr auslebt. Sich in den anderen hineinzuve­rsetzen, ihn als Partner und nicht als Konkurrent­en wahrzunehm­en, ist auch ein Ratschlag.

Zur Person: Professor Bernhard Schlag war 29 Jahre lang Professor und Seniorprof­essor für Verkehrsps­ychologie an der TU Dresden und ist jetzt Mitglied in verschiede­nen wissenscha­ftlichen Beiräten.

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FOTO: BODO MARKS/DPA Ohne Worte, aber mit viel Wut zur Hand: Aggression­en sind im Straßenver­kehr alltäglich.
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