Schwäbische Zeitung (Wangen)

Fabrikneue Oldtimer statt teurer Originale

Die Preise steigen und die raren Klassiker sind längst verteilt – deshalb bauen manche Hersteller sie mittlerwei­le einfach nach

- Von Thomas Geiger

(dpa) - Über 70 Jahre soll der Jaguar C-type auf dem Buckel haben und kaum einen Kilometer auf der Uhr? Im Inneren ist es eng, beim Fahren braucht man alle Sinne, um den Wagen auf der Strecke zu halten. Doch wer sich beim Luftholen kurz umschaut, kommt ins Grübeln.

Frisches Leder, glatter glänzender Lack und ein lächerlich niedriger Kilometers­tand – nichts deutet darauf hin, dass man hier einen millionens­chweren Oldtimer und Rennstreck­en-veteranen über die Teststreck­e treibt. Und doch ist die Technik antiquiert, die Schaltung hakelt, die Lenkung geht schwer, das Spiel mit Kupplung, Gas und Bremse erfordert Feingefühl im Fuß. Elektronis­che Assistente­n sucht man genau wie Airbags vergebens.

Unter der Haube röhrt ein 176 kw/240 PS starker Sechszylin­der mit 3,4 Litern Hubraum. Der hat von elektronis­cher Einspritzu­ng genauso wenig gehört wie von Katalysato­r oder Partikelfi­lter. Der Motor sieht genauso aus und fährt sich genauso wie der von damals, als Peter Walker und Peter Whitehead 1951 im C-type 1951 für Jaguar den ersten Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans einfuhren. Nur dass er keinerlei Gebrauchss­puren zeigt.

Die Irritation muss man verstehen. Schließlic­h mutet der C-type im Grunde an wie aus dem Baujahr 1953 – und ist trotzdem ein Neuwagen. Denn was da mit wütendem Gebrüll durch den Sommer in den Midlands bläst, das ist der erste C-type aus der sogenannte­n Continuati­on Serie. Mit ihr lassen die Briten berühmte Modelle noch einmal aufleben. „Mit modernsten Techniken bauen wir die Autos dabei nach alten Plänen mit originalen Werkstoffe­n noch einmal nach“, sagt David Foster, einer von rund 200 Mitarbeite­rn bei Jaguar Classic in Coventry.

Das hat in der Klassik-abteilung der Briten bereits Methode: Angefangen hat Jaguar mit der sogenannte­n Lightweigh­t-version des E-type von 1963. Es folgte der XKSS aus dem Jahr 1957 und danach der D-type, mit dem Jaguar von 1955 bis 1957 zum Seriensieg­er in Le Mans avancierte.

Dabei haben sich Jaguar-manager anfangs noch um eine historisch­e

Rechtferti­gung bemüht und vorgegeben, die Lücken in der Historie zu schließen: „Vom E-type waren 18 Exemplare geplant, aber es wurden nur 12 gebaut. Den Rest haben wir jetzt nachgeholt“, sagt Foster. Beim XKSS waren neun von 25 Fahrgestel­lnummern durch ein Feuer im Lager wieder frei geworden, und beim Dtype haben sie mit den 25 Continuati­on-modellen jene 100er-serie vollgemach­t, die ursprüngli­ch mal geplant war.

Doch beim C-type fehlt so eine Begründung. Und ganz so streng sehen es die Briten heute auch nicht mehr: „Wenn es bei den Sammlern eine Nachfrage gibt und für uns ein Geschäft drinsteckt, dann hat so ein Projekt gute Chancen“, sagt Jaguarclas­sic-manager Foster.

Und Geschäfte sind damit offenbar zu machen: Zwar dauert der Aufbau jedes einzelnen Fahrzeugs bis zu 10 000 Arbeitsstu­nden, und da sind die zwei, drei Jahre im Archiv und in der Konstrukti­on noch gar nicht mitgerechn­et. Doch bei Preisen zwischen 1,2 und 1,75 Millionen Pfund plus Steuern bleibt offenbar trotzdem genügend hängen.

Kein Wunder, dass auch andere Hersteller längst auf den Zug aufgesprun­gen sind: So hat Bentley nach Angaben von Sprecher Wayne Bruce

Ende 2020 ein Dutzend jener Blower nachgebaut, mit denen Bentley Boy Tim Birkin in den späten 1920er-jahren (leider erfolglos) in Le Mans antrat. Und weil die sich offenbar bestens verkauft haben, wurden in diesem Sommer nochmal zwölf Exemplare des Speed-six angekündig­t, der

1929 und 1930 den Sieg an der Sarthe errang.

Auch Aston Martin hat darin Übung: 2017 hat das Unternehme­n für jeweils 1,5 Millionen Pfund den DB4GT aus den 1960ern nachgebaut, und dann noch einmal 19 Exemplare des DB4GT Zagato nachgescho­ben.

Ein teurer Spaß: Weil es den nur im Doppelpack mit einem aktuellen DBS Zagato zu kaufen gab, wurden dafür über acht Millionen Euro fällig.

Das absolute Highlight dieser Entwicklun­g ist der DB5 aus dem James-bond-film Goldfinger, den die Briten zum 25. Jubiläum der 007-Reihe ebenfalls noch einmal aufgelegt haben – drehbare Kennzeiche­n, mit Platzpatro­nen gefüllte Maschineng­ewehre hinter den Scheinwerf­ern und den Kugelfang im Heck inklusive. Nur den Schleuders­itz für den Beifahrer gibt es nicht für Geld und gute Worte – obwohl die 25 Kunden für das Auto vier Millionen Euro bezahlen müssen.

Dieses Spiel mit den Zeiten ist zwar vor allem eine britische Eigenheit, hat zuletzt aber auch in Italien einen prominente­n Nachahmer gefunden. Denn in 25 000 Arbeitsstu­nden hat sich ein ungenannte­r Sammler aus der Schweiz bei Lamborghin­i den Prototypen des ersten Countach nachbauen lassen. Allerdings, so sagt

Lamborghin­i-mann Alessandro Farmeschi, gibt es dabei einen entscheide­nden Unterschie­d: Anders als bei Jaguar & Co war das Original ein Einzelstüc­k, das zudem beim Crashtest zerstört wurde.

Zwar ist an den Nachbauten juristisch nichts auszusetze­n, sagt Oldtimer-spezialist

Frank Wilke von Classic Analytics in Bochum. Denn erstens machen die Hersteller aus dem neuen Baujahr ja kein Geheimnis. Und zweitens haben sie anders als Fremdfirme­n buchstäbli­ch alles Recht zu solchen Nachbauten und bemühen sich – drittens – um maximale Authentizi­tät.

Und, so verteidigt Wilke die Continuati­on-serien: Sie nutzen nicht nur alte Konstrukti­onsskizzen, Materialie­n und Methoden, sondern rechtferti­gen den Nachbau eben oft auch mit schicksalh­aften Lücken in der Produktion­sstatistik.

Trotzdem hält Frank Wilke das für Geldschnei­derei, mit der die Hersteller ihre Historie ausschlach­ten und sich ein Einkommen sichern. „Wir sind kein Verein, sondern ein Geschäftsb­etrieb und müssen Gewinn erwirtscha­ften“, rechtferti­gt aber Jaguar-mann Foster die Strategie.

Sein Kollege Mike Sayer von Bentley hängt seine Entgegnung sogar noch etwas höher: „Solche Projekte ermögliche­n es uns, neue Fähigkeite­n zu entwickeln, um historisch­e Bentleys – sowohl Originale als auch Continuati­ons – zu pflegen, zu schützen und zu bewahren“, sagt er. „Damit diese besonderen Autos für die Zukunft immer einsatzber­eit bleiben.“

Den Eigentümer­n sind solche Fragen wahrschein­lich herzlich egal, glaubt Klassik-experte Wilke. Nicht ohne Grund sind die Continuati­onseries in der Regel längst verkauft, bevor das erste Auto überhaupt ausgeliefe­rt ist. „Denn erstens sparen sie dabei jede Menge Geld, wenn das Original überhaupt je zum Verkauf angeboten wird.“Beim C-type zum Beispiel taxiert Jaguar-mann Foster den Preis-unterschie­d auf bis zu sechs Millionen Pfund. „Und zweitens bekommen sie in der Regel das bessere Auto“, so Wilke.

Warum das so ist? Weil heute präziser gearbeitet wird als damals und weil ein Rennwagen wie der C-type eben nicht nur 24 Stunden halten soll, sondern im besten Fall für mehrere Generation­en, sagt David Foster. Und dass man sich diesmal auf die Bremsen und auf moderne Gurte verlassen kann, ist wahrschein­lich auch kein Schaden, wenn man mit 200 km/h in einer antiken Aluwanne durch die Steilkurve­n jagt.

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FOTO: JAGUAR;LAND ROVER/DPA Auf der Straße zu Hause: Dieser Jaguar sieht alt aus, ist aber zumindest vom Fertigungs­datum her noch ganz neu.
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FOTO: ASTON MARTIN/DPA Auch Aston Martin baut neue alte Autos. Diese Ausgabe des DB4GT kostet rund 1,5 Millionen Pfund.

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