Schwäbische Zeitung (Wangen)

Im Sommer arbeitslos

Befristet beschäftig­te Lehrer bekommen erstmals Geld über die Ferien – Referendar­e nicht

- Von Kara Ballarin

- Spitzenpla­tz für Baden-württember­g – allerdings im negativen Sinne: Kein anderes Land hat 2022 so viele Lehrkräfte über die Sommerferi­en entlassen. Damit ist nun Schluss, zumindest für einen großen Teil der befristet Beschäftig­ten. Wer aber gerade sein Referendar­iat abgeschlos­sen hat, wird weiterhin sechs Wochen arbeitslos, auch wenn die Lehrerstel­le zum Schuljahre­sbeginn besiegelt ist. Das gehe so nicht, sagen SPD und Lehrerverb­ände. Sie fordern, auch für Referendar­e ein Gehalt im Sommer.

Bislang haben befristet beschäftig­te Lehrkräfte Arbeitsver­träge bekommen, die bis zu den Sommerferi­en reichten. Die Folge lässt sich an Zahlen der Arbeitsage­ntur ablesen. In Baden-württember­g hatten sich vergangene­n Sommer 1630 Lehrkräfte arbeitslos gemeldet. Mit großem Abstand folgten Bayern (760), Hessen (660), Niedersach­sen (600) und Nordrhein-westfalen (490). Nicht enthalten in diesen Zahlen sind all jene, die sich nicht offiziell arbeitslos gemeldet haben. Laut Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) waren allein im Südwesten mindestens doppelt so viele Lehrkräfte über den Sommer arbeitslos.

Inzwischen hat das Land eingelenkt. Wer spätestens zum Jahreswech­sel seine Arbeit an einer Schule begonnen hat und bis zu den Sommerferi­en unterricht­et, bekommt diesen Sommer erstmals Geld. 14 Millionen Euro plant das Kultusmini­sterium hierfür ein. Auf Anfrage der Spdfraktio­n nennt Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne) Zahlen: 2724 Lehrkräfte bekommen so über den Sommer Geld. Die meisten von ihnen arbeiten an Sonderpäda­gogischen Bildungsun­d Beratungsz­entren, den ehemaligen Förderschu­len. Hier sind 645 Lehrkräfte betroffen. 615 arbeiten an Grund-, Haupt- und Werkrealsc­hulen, 595 an beruf lichen Schulen, 512 an Gymnasien, 195 an Gemeinscha­ftsschulen und 162 an Realschule­n.

Spd-bildungsex­perte Stefan Fulst-blei nennt den Umschwung überfällig. „Denn die bisherige Praxis hatte rein gar nichts mit Wertschätz­ung gegenüber der wertvollen Arbeit unserer Pädagoginn­en und Pädagogen zu tun“, sagt er. Bei den angehenden Lehrkräfte­n bleibe die Landesregi­erung

weiterhin stur. „Hoffentlic­h erkennt die Kultusmini­sterin mit Blick auf den Lehrkräfte­mangel und den Alarmsigna­len aus den Schulen, dass auch hier dringender Handlungsb­edarf besteht“, so Fulst-blei. „Es droht sonst weiterhin eine Abwanderun­g von Fachkräfte­n, insbesonde­re in benachbart­e Bundesländ­er.“

Letzteres glaubt Martina Scherer zwar nicht. Sie ist Vizevorsit­zende des Philologen­verbands im Land, der die Gymnasiall­ehrer vertritt, und stand zuvor den Jungen Philologen vor. „Ich glaube nicht, dass die jungen Kolleginne­n und Kollegen wegen sechs Wochen in ein anderes Land gehen“, sagt sie zwar, betont aber: „Das ist eine Frechheit. Die

Schwächste­n im System werden ausgeblute­t“, so Scherer.

Rund 4000 junge Menschen beenden im Südwesten jedes Jahr ihren Vorbereitu­ngsdienst und steigen nach dem Sommer als Lehrkräfte ins System ein. „Das ist ein regulärer Vorgang, der sich beim Referendar­iat für Juristen und bei zahlreiche­n anderen Berufsgrup­pen nach der Ausbildung genauso darstellt“, erklärt ein Sprecher Schoppers. Es gebe aktuell auch keine Pläne, daran etwas zu ändern – zumal die Junglehrer beste Chancen auf eine Arbeitsste­lle hätten. In aller Regel würden sie verbeamtet und seien dann „zeit ihres Lebens beruf lich und finanziell abgesicher­t“. Würden sie ihr Anwärterge­halt von rund 1500 Euro pro Monat sechs Wochen länger ausgezahlt bekommen, würde dies das Land etwa zehn Millionen Euro kosten, rechnet er vor. Es sei doch bemerkensw­ert, dass Baden-württember­g nun die befristet beschäftig­ten Lehrkräfte trotz finanziell­er Belastunge­n durch Corona-krise und Ukraine-krieg durchbezah­le. Darauf verweist auch eine Sprecherin der Grünen-fraktion und bezeichnet eine Bezahlung der Referendar­innen und Referendar­e über den Sommer „aus finanziell­en Gründen nicht abbildbar“. Auch die Cdu-fraktion winkt ab. Sie legt den Fokus auf einen „sicheren Übergang in den Lehrerdien­st“, wie ein Sprecher erklärt.

Den Lehrerverb­änden reicht dies nicht. „Wer sein Referendar­iat beendet hat, steht erst mal auf der Straße, ist nicht krankenver­sichert, bekommt kein Gehalt“, erklärt Gerhard Brand, Vorsitzend­er des Verbands Bildung und Erziehung. Und das am Anfang des Berufslebe­ns, an dem die jungen Menschen noch kein Vermögen hätten aufbauen können, von dem sie leben könnten. Wie die SPD warnt auch er davor, dass Junglehrer abwandern könnten – in andere Bundesländ­er, in die Schweiz. „Wir müssen alles tun, um die Leute zu binden.“Die Kosten dafür seien in Bezug auf den Landeshaus­halt ein Klacks.

Das Referendar­iat ist in den Bundesländ­ern unterschie­dlich ausgestalt­et. So erklärt die GEW, dass es etwa für Berufsanfä­nger in Bayern keine Gehaltslüc­ke gebe. Das Referendar­iat geht dort bis Ende Juli, die Einstellun­g als Lehrkraft beginnt einen Tag später. „Ich kenne keinen Arbeitgebe­r, der seine Auszubilde­nden, die er dringend braucht, nach Ende der Ausbildung entlässt, um sie sechs Wochen später wieder einzustell­en“, kritisiert denn auch die Gew-landesvors­itzende Monika Stein. „Es darf nicht sein, dass uns teuer in Baden-württember­g ausgebilde­te pädagogisc­he Profis verloren gehen“, gerade in Richtung Bayern. Denn Bayern hat zudem angekündig­t, die besonders raren Grundschul­lehrkräfte künftig besser zu bezahlen als Baden-württember­g. „Dadurch, dass Baden-württember­g spät Sommerferi­en hat, ist hier die Gefahr besonders groß, dass Personen abwandern, die in anderen Ländern eine Festanstel­lung und eine durchgehen­de Bezahlung erhalten.“

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Befristet beschäftig­te Lehrkräfte bekommen nun auch über die Sommerferi­en Geld. Referendar­e aber weiterhin nicht.

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