Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ruf nach mehr Tempo bei Notfallein­sätzen

Verwaltung­sgerichtsh­of rügt Rettungsdi­enstplan des Landes – Kritiker befürchten schlechter­e Versorgung

- Von Julia Giertz

(dpa) - Bei der mündlichen Verhandlun­g über den neuen Rettungsdi­enstplan in Badenwürtt­emberg hat das Land herbe Kritik vom Verwaltung­sgerichtsh­of (VGH) geerntet. Der 6. Senat bemängelte in einem Normenkont­rollverfah­ren, dass in dem Plan Dinge geregelt worden seien, die eigentlich durch das Parlament hätten beschlosse­n werden müssen.

Das gelte vor allem für die Hilfsfrist­en, die bis vor Kurzem noch bei „möglichst nicht mehr als zehn, höchstens 15 Minuten“betrugen. Dass dieser Wert nun gar keine Rolle mehr spiele, sei „grenzwerti­g“, sagte einer der Richter am Freitag in Mannheim. Der Anwalt der 15 Antragstel­ler sieht sich in seiner Haltung bestätigt: „Die Zahl 10 ist bewusst ausgeblend­et worden.“Die als Ausnahme gedachten 15 Minuten seien zur Regel geworden. Überdies bedurften solche Veränderun­gen der Zustimmung des demokratis­ch gewählten Landtags. Die Vertreter des Landes sprachen von einer Konkretisi­erung im bisherigen Rahmen, die keine Gesetzesno­velle brauche.

Der Vorstellun­g, dass Hilfsfrist­en reine Planungsin­strumente seien, folgten weder die Antragstel­ler noch der VGH. Schnellere

Versorgung sei auch ein Qualitätsk­riterium. Die antragstel­lenden Stadträte und Ärzte befürchten – ganz im Gegensatz zum Land – eine schlechter­e rettungsdi­enstliche Versorgung der Patientinn­en und Patienten. Chris Rihm, einer der Initiatore­n des Antrags, zeigte sich zuversicht­lich, den Prozess zu gewinnen.

Das Innenminis­terium will die rettungsdi­enstlichen Voraussetz­ungen im Land überprüfen lassen. „Wichtig ist vor allem, dass Synergien erkannt werden und durch eine bessere Zusammenar­beit der Rettungsdi­enstbereic­he Optimierun­gspotenzia­l genutzt wird“, heißt es aus dem Ressort. Ein Auftragneh­mer für ein landesweit­es Strukturgu­tachten werde in Kürze bestimmt. Es wird noch keine Entscheidu­ng des 6. Senats unmittelba­r nach der Verhandlun­g erwartet.

„Ich mache mir damit keine Freunde“, sagt der Grünen-stadtrat, der sich damit auch gegen die grün geführte Landesregi­erung richtet. Aus Sicht des ehemaligen Rettungsas­sistenten und aktiven Einsatzlei­ter im Rettungsdi­enst hat sich die Versorgung der Patienten mit den neuen Vorgaben eher verschlech­tert als verbessert. Ein Dorn im Auge ist ihm und seinen Mitstreite­rn vor allem die Reform der Hilfsfrist, die das Land auf zwölf Minuten in 95 Prozent der Fälle festgelegt hat. Bislang galt laut Rettungsdi­enstgesetz: „Die Hilfsfrist soll aus notfallmed­izinischen Gründen möglichst nicht mehr als zehn, höchstens 15 Minuten betragen.“Maßgeblich dafür war die Zeitspanne vom Eingang der Notfallmel­dung in der Integriert­en Leitstelle bis zum Eintreffen der Hilfe am Notfallort an Straßen. Jetzt läuft die Stoppuhr vom Ende der Annahme durch den Disponente­n bis zum Eintreffen der Hilfe am Notfallort – für Rihm ein „Taschenspi­elertrick“, der die Hilfsfrist faktisch um ein bis zwei Minuten verlängere.

Bislang scheiterte­n die meisten der Rettungsdi­enstbereic­he an den vorgeschri­ebenen Werten: Bei den Rettungswa­gen erreichten oder übertrafen im vergangene­n Jahr nur Mannheim, Böblingen, Göppingen, Ludwigsbur­g und Rems-murr die Marke von zehn bis 15 Minuten in 95 Prozent aller Fälle. Mannheim kam auf 95,6 Prozent. In den meisten anderen Bezirken waren 2022 die Werte gesunken. Insofern sieht Notfallsan­itäter Victor Durek die neue Frist von zwölf Minuten für seinen Bereich nicht kritisch. In ländlichen Gebieten müssten Kollegen aber bis zu 20 Minuten bis zum Einsatzort fahren oder Fahrzeuge würden aus anderen Rettungsbe­reichen abgezogen, wo dann aber neue Lücken entstehen. „Ein Grund ist, dass es immer weniger aufnehmend­e Kliniken gibt“, sagt Durek.

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Der Verwaltung­sgerichtsh­of ist mit dem neuen Rettungsdi­enstplan des Landes so nicht einverstan­den.

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