Ruf nach mehr Tempo bei Notfalleinsätzen
Verwaltungsgerichtshof rügt Rettungsdienstplan des Landes – Kritiker befürchten schlechtere Versorgung
(dpa) - Bei der mündlichen Verhandlung über den neuen Rettungsdienstplan in Badenwürttemberg hat das Land herbe Kritik vom Verwaltungsgerichtshof (VGH) geerntet. Der 6. Senat bemängelte in einem Normenkontrollverfahren, dass in dem Plan Dinge geregelt worden seien, die eigentlich durch das Parlament hätten beschlossen werden müssen.
Das gelte vor allem für die Hilfsfristen, die bis vor Kurzem noch bei „möglichst nicht mehr als zehn, höchstens 15 Minuten“betrugen. Dass dieser Wert nun gar keine Rolle mehr spiele, sei „grenzwertig“, sagte einer der Richter am Freitag in Mannheim. Der Anwalt der 15 Antragsteller sieht sich in seiner Haltung bestätigt: „Die Zahl 10 ist bewusst ausgeblendet worden.“Die als Ausnahme gedachten 15 Minuten seien zur Regel geworden. Überdies bedurften solche Veränderungen der Zustimmung des demokratisch gewählten Landtags. Die Vertreter des Landes sprachen von einer Konkretisierung im bisherigen Rahmen, die keine Gesetzesnovelle brauche.
Der Vorstellung, dass Hilfsfristen reine Planungsinstrumente seien, folgten weder die Antragsteller noch der VGH. Schnellere
Versorgung sei auch ein Qualitätskriterium. Die antragstellenden Stadträte und Ärzte befürchten – ganz im Gegensatz zum Land – eine schlechtere rettungsdienstliche Versorgung der Patientinnen und Patienten. Chris Rihm, einer der Initiatoren des Antrags, zeigte sich zuversichtlich, den Prozess zu gewinnen.
Das Innenministerium will die rettungsdienstlichen Voraussetzungen im Land überprüfen lassen. „Wichtig ist vor allem, dass Synergien erkannt werden und durch eine bessere Zusammenarbeit der Rettungsdienstbereiche Optimierungspotenzial genutzt wird“, heißt es aus dem Ressort. Ein Auftragnehmer für ein landesweites Strukturgutachten werde in Kürze bestimmt. Es wird noch keine Entscheidung des 6. Senats unmittelbar nach der Verhandlung erwartet.
„Ich mache mir damit keine Freunde“, sagt der Grünen-stadtrat, der sich damit auch gegen die grün geführte Landesregierung richtet. Aus Sicht des ehemaligen Rettungsassistenten und aktiven Einsatzleiter im Rettungsdienst hat sich die Versorgung der Patienten mit den neuen Vorgaben eher verschlechtert als verbessert. Ein Dorn im Auge ist ihm und seinen Mitstreitern vor allem die Reform der Hilfsfrist, die das Land auf zwölf Minuten in 95 Prozent der Fälle festgelegt hat. Bislang galt laut Rettungsdienstgesetz: „Die Hilfsfrist soll aus notfallmedizinischen Gründen möglichst nicht mehr als zehn, höchstens 15 Minuten betragen.“Maßgeblich dafür war die Zeitspanne vom Eingang der Notfallmeldung in der Integrierten Leitstelle bis zum Eintreffen der Hilfe am Notfallort an Straßen. Jetzt läuft die Stoppuhr vom Ende der Annahme durch den Disponenten bis zum Eintreffen der Hilfe am Notfallort – für Rihm ein „Taschenspielertrick“, der die Hilfsfrist faktisch um ein bis zwei Minuten verlängere.
Bislang scheiterten die meisten der Rettungsdienstbereiche an den vorgeschriebenen Werten: Bei den Rettungswagen erreichten oder übertrafen im vergangenen Jahr nur Mannheim, Böblingen, Göppingen, Ludwigsburg und Rems-murr die Marke von zehn bis 15 Minuten in 95 Prozent aller Fälle. Mannheim kam auf 95,6 Prozent. In den meisten anderen Bezirken waren 2022 die Werte gesunken. Insofern sieht Notfallsanitäter Victor Durek die neue Frist von zwölf Minuten für seinen Bereich nicht kritisch. In ländlichen Gebieten müssten Kollegen aber bis zu 20 Minuten bis zum Einsatzort fahren oder Fahrzeuge würden aus anderen Rettungsbereichen abgezogen, wo dann aber neue Lücken entstehen. „Ein Grund ist, dass es immer weniger aufnehmende Kliniken gibt“, sagt Durek.