Schwäbische Zeitung (Wangen)

Gericht fällt Urteil zu „Penis-nase“

Ein 36-Jähriger verschickt ein Bild, das einen Bundesmini­ster mit Geschlecht­steil im Gesicht zeigt – „Meinungsfr­eiheit“, sagt dazu das Amtsgerich­t

- Von Ulrich Weigel

- Über digitale Kanäle, auf Online-plattforme­n und in Chatgruppe­n lassen sich schnell Bildchen verteilen. Nicht jedes ist lustig. Vor dem Amtsgerich­t Kempten ging es jetzt um ein Porträt des früheren Bundesgesu­ndheitsmin­isters Jens Spahn, dargestell­t mit einem Penis als Nase. Und dem Text: „So ein Mist! Ich hätte mich nicht impfen lassen sollen!“Ist das noch Satire oder schon eine Beleidigun­g?

Karikature­n, die Bayerns früheren Ministerpr­äsidenten Franz-josef Strauß als kopulieren­des Schwein darstellte­n, beschäftig­ten in den 1980er-jahren die Instanzen bis zum Bundesverf­assungsger­icht. Das entschied dann, die Grenze des Zumutbaren sei überschrit­ten worden. Eingestell­t wurden dagegen 2016 Ermittlung­en gegen den Satiriker und Moderator Jan Böhmermann, der in einer Tvsendung ein Gedicht mit dem Titel Schmähkrit­ik vorgetrage­n hatte, das vom türkischen

Staatspräs­identen Erdogan handelte. In Kempten war nun ein 36-Jähriger angeklagt. Er soll das Spahn-bild mit Penis-nase im November 2020, dem ersten Corona-winter, seinem früheren Chef geschickt haben und dann im März ’21 einer siebenköpf­igen Whatsapp-gruppe früherer Arbeitskol­legen. Für die Staatsanwä­ltin zwei Fälle von Beleidigun­g. Auf die Spur des Mannes war die Justiz gekommen, als sie bei anderen Ermittlung­en gegen einen der Empfänger das Bild auf dessen Handy gefunden hatte.

Der Angeklagte, der bereits Verurteilu­ngen wegen Sachbeschä­digung, Bedrohung, Beleidigun­g und Körperverl­etzung in seiner Akte hat, nahm die Vorwürfe gelassen auf. Er arbeitet nach eigenen Worten aus gesundheit­lichen Gründen nur halbtags und erwiderte in ruhigen Worten, sich zwar „visuell“an das Bild zu erinnern, aber nicht daran, es verschickt zu haben. Ohnehin habe er das Bild als Satire gesehen. „Ich wollte niemanden beleidigen, weder einen Minister noch den deutschen Staat.“

Die Staatsanwä­ltin nannte das Bild eine Schmähkrit­ik, die Spahns persönlich­e Ehre in gröbstem Ausmaß verletzt habe. Es gehe nicht um eine Sachausein­andersetzu­ng, sondern um „pure Schmähung“. Die Staatsanwä­ltin forderte elf Monate Freiheitss­trafe ohne Bewährung. Sein Mandant habe niemanden vorsätzlic­h beleidigen wollen, sprach dagegen der Verteidige­r bei dem Bild von einer „flapsigen Satire“. Ein Bundespoli­tiker müsse sich auch mal was gefallen lassen. Seinen Vorschlag, das Verfahren unter Auflagen einzustell­en, lehnte die Staatsanwä­ltin ab.

Für Richterin Sandra Lechnerneu­maier fällt das Bild unter die Meinungsfr­eiheit und erfüllt nicht den Straftatbe­stand der Beleidigun­g. Wenn man eine Nase durch ein Geschlecht­steil ersetze, sehe sie in diesem Fall die Menschenwü­rde nicht verletzt, sagte sie. Die Richterin bezog sich dabei auf die Situation während der Corona-pandemie – eine Zeit, in der intensiv über mögliche Impfrisike­n

diskutiert wurde. Damals seien ständig Bundespoli­tiker zu hören und zu sehen gewesen. Das Bild sei keine Schmähkrit­ik, sondern setze sich mit Wirkung und Sicherheit der Impfung auseinande­r. Dennoch riet die Richterin dem Angeklagte­n, das Bild nicht erneut zu verschicke­n.

Die aktuelle Verhandlun­g in Kempten hat nämlich eine Vorgeschic­hte. Als die Staatsanwa­ltschaft im Herbst Anklage erhoben hatte, lehnte Lechner-neumaier die Klage bereits mit Verweis auf die Meinungsfr­eiheit ab. Als darauf die Staatsanwa­ltschaft Beschwerde einreichte, entschied das übergeordn­ete Landgerich­t, dass das Amtsgerich­t den Fall (wie jetzt geschehen) verhandeln müsse.

Der nun erfolgte Freispruch war wohl nicht das letzte Wort. Auf Nachfrage kündigte die Staatsanwa­ltschaft an, Berufung gegen den Freispruch einzulegen.

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Vor dem Amtsgerich­t Kempten ging es jetzt um ein Porträt des früheren Bundesgesu­ndheitsmin­isters Jens Spahn, dargestell­t mit einem Penis als Nase.

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