Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Wir brauchen wieder ein Bekenntnis zur Leistung“

Felix Magath über die Chancen seiner Ex-clubs Stuttgart und Hertha sowie die Probleme des deutschen Fußballs

- Von Felix Alex

- Dreimal deutscher Meister als Spieler, dreimal als Trainer und jede Menge Geschichte­n – den Namen Felix Magath muss man keinem Fußballfan hierzuland­e erklären. Seine glücklichs­te Zeit hatte der gebürtige Aschaffenb­urger jedoch in Stuttgart. Vor dem Duell seiner beiden Ex-clubs hat der 2022er-hertharett­er mit der „Schwäbisch­en Zeitung“über seine Arbeit als „Feuerwehrm­ann vom Dienst“sowie den deutschen Fußball allgemein gesprochen.

Herr Magath, die Ausgangsla­ge vor dem Duell (15.30/Sky) ist klar. Verliert Hertha, sind die Berliner beinahe abgestiege­n und der VFB obenauf. Gewinnt der BSC, könnte sich das Momentum bei den Clubs drehen. Wie geht man als Trainer so ein Spiel an und wie bekommt man die Kicker dazu, nicht zu überdrehen oder zu verkrampfe­n?

Ich habe gute Erfahrunge­n damit gemacht habe, mich klar zu positionie­ren und als Trainer vorneweg zu marschiere­n, um den Spielern zu signalisie­ren: Ich bin sicher, dass wir den Klassenerh­alt schaffen. Insbesonde­re bei solchen Partien ist es unausweich­lich, den Spielern Sicherheit zu geben. Der Trainer ist hier als Anführer gefragt, der Verantwort­ung übernimmt – vor allem bei der Hertha, denn die muss gewinnen, um noch eine kleine Chance auf den Klassenerh­alt zu haben. Sie müssen also auf Biegen und Brechen nach vorne gehen.

Ein Spiel für Fußballäst­heten dürfte es nicht werden. Erwarten Sie ein überhartes Spiel?

Es ist ja im Grunde eine Wiederholu­ng der gleichen Situation im Vorjahr, denn auch da hieß es Hertha gegen Stuttgart am 31. Spieltag – auch wenn beide Teams vor dem Spiel punktgleic­h waren. Die Vfb-mannschaft war auch damals schon technisch und taktisch versierter und bei der Hertha hatten wir das Problem, dass wir kein gutes Offensivsp­iel hatten. Wir sind zwar durch ein Tor von Davie Selke früh in Führung gegangen, haben uns dann aber schwergeta­n und das 2:0 erst in der Nachspielz­eit erzielt. Der VFB ist aktuell immer für ein Tor gut, daher erwarte ich ein ähnliches Spiel wie 2022. Interessan­t wird zu sehen sein, ob der VFB aktuell mental stärker ist als im letzten Jahr.

Sie retteten sowohl den VFB Stuttgart (2001) als auch Hertha BSC (2022) vor dem Abstieg. Haben Sie schon mit leidendem Blick auf Ihr Handy geblickt, als Sie von den Trainerent­lassungen gelesen haben, und Anrufe der Club-bosse erwartet?

Ich habe es mir schon lange abgewöhnt zu spekuliere­n. Ich verfolge natürlich den Fußball nach wie vor, aber ich schaue dabei nie aufs Handy. Ich habe gesagt, dass ich mich immer noch in der Lage fühle, einem Bundesliga­verein zu helfen. Und wenn ich helfen kann, dann bin ich da. Wenn sich jemand meldet, bin ich bereit. Ansonsten geht es mir aber auch so gut. Sehen Sie, ich habe hier und da kleinere Problemche­n und Sorgen – wie jeder Mensch – aber eben keine wirklichen Probleme. Gravierend­e sportliche Probleme haben der VFB, der VFL Bochum, Schalke, Hertha BSC und auch noch Hoffenheim.

Hat Hertha zu spät die Reißleine gezogen und Dardai zurückgeho­lt, um die Saison zu retten? Beziehungs­weise hat Hertha vielleicht auch den Abstieg verdient, weil sie die gleichen Fehler erneut gemacht haben?

Hertha hat von Saisonbegi­nn an unten gestanden und sich immer damit getröstet, dass sie ja recht gut spielen würden und es in Zukunft besser wird. Doch als sie im Januar die Entscheidu­ng getroffen haben sich von Fredi Bobic zu trennen, und in der Clubführun­g mit dem „Berliner Weg“eine komplett andere Richtung eingeschla­gen haben, da hätten sie konsequent­erweise auch direkt Pal Dardai holen sollen. Dann hätte er mehr Zeit und auch eine größere Chance gehabt, mit dem Club die Klasse zu halten.

Bleiben wir bei der Hertha. Sie waren der bislang letzte Rettungstr­ainer. Viele Fußballfan­s erinnern sich daran, wie Sie Kevin-prince Boateng die Aufstellun­g bestimmen ließen. Sollte Dardai jetzt vor dem entscheide­nden Klassenerh­altsspiel auch Boateng fragen?

Ich werde Pal Dardai sicherlich keine Ratschläge geben. Jeder Trainer ist abhängig von der Einschätzu­ng der aktuellen Situation, seinem Wissen und seiner Erfahrung und muss es so handhaben, wie er es beurteilt. Man kann nicht jemand anderen kopieren.

Der VFB hat vier Versuche bei der Trainerver­pflichtung gebraucht, bis sich Erfolg einstellte. Try and Error nun auch im Fußball. Unausweich­lich, weil es manchmal einfach nicht passt oder schlichte Fehler in der Vereinsfüh­rung, die nicht weiß, was der Kader benötigt?

Ich schaue da etwas tiefer und beurteile es anders als manch anderer. Ich denke, dass die Entscheidu­ng zugunsten von Bruno Labbadia im Prinzip nachvollzi­ehbar war. Er hat die Mannschaft körperlich wieder auf ein vernünftig­es Level gebracht und verfügt darüber hinaus über sehr viel Erfahrung im Abstiegska­mpf. Und im Abstiegska­mpf befindet sich die Mannschaft seit fast zwei Jahren eigentlich durchgehen­d. Die Problemati­k war nur, dass der Trainer Labbadia, der nichts zu der damaligen schlechten Situation des VFB beigetrage­n hatte, schon in der Kritik stand, bevor er anfing. Weil er schon einmal den Club trainiert hatte, wurde er aus Vfb-kreisen direkt unsachlich kritisiert. Als er dann die verunsiche­rte Mannschaft übernahm, diente so etwas gleich als erstes Alibi für die Spieler, besonders wenn er mal um 7 Uhr morgens trainieren ließ, um sichtbar vorhandene Defizite aufzuarbei­ten.

Also konnte Labbadia überhaupt nichts ausrichten?

Der VFB hat bei den vergangene­n Spielen fast jedes Mal am Ende des Spiels gewonnen und da glaube ich analysiere­n zu können, dass Bruno Labbadia die Mannschaft sehr fit gemacht hat und der neue Trainer nun von dieser Situation auch profitiert. Der letzte Trainerwec­hsel war vom Timing her allerdings sehr gut. Mit dem Pokalspiel beim Zweitligis­ten konnte Sebastian Hoeneß direkt mit einem Sieg einsteigen.

Und Siege helfen einem Trainer auch um direkt das Vertrauen der Mannschaft zu gewinnen.

Sie sagen es. Beim VFB Stuttgart ist das Selbstvert­rauen und auch das Spielglück zurück. Der Kader ist unbestritt­en hochveranl­agt. Könnte daraus etwas Größeres erwachsen wie bei Ihrer Mission vor 20 Jahren?

Ich kann nicht in die Zukunft schauen und weiß nicht, wie jemand arbeitet, wie die finanziell­e Lage ist oder was zukünftig geplant ist. Insofern lassen wir das auf uns zukommen und schauen, ob der VFB bei einem Klassenerh­alt dem Trainer die nötige Unterstütz­ung gibt und den Weg nach vorne findet.

Was verbinden Sie persönlich mit Ihrer Zeit am Wasen?

Ich habe ja schon öfter gesagt, dass das meine schönste Zeit war – wegen der sportliche­n Erfolge, aber auch meiner privaten Situation. (Im Dezember 2003 heiratete Magath zum zweiten Mal; d. Red.) Ich war ja nicht umsonst dreieinhal­b Jahre dort und denke gern zurück.

Gibt es eine schönste Erinnerung­en als Stuttgart-trainer?

Was heißt eine schönste? Es war ja generell überaus erfolgreic­h. Wir sind nach erfolgreic­hem Abstiegska­mpf dreimal in Folge in den internatio­nalen Wettbewerb eingezogen und wurden 2003 Vizemeiste­r. Der schönste Moment war aber in meiner ersten Saison

2001. Ich habe den VFB ja auf Platz 17 übernommen und als Krassimir Balakow im vorletzten Spiel gegen den Titelaspir­anten Schalke 04 in der 90. Minute das entscheide­nde und klassenerh­altende 1:0 geschossen hat, war das eine Riesenerlö­sung für die Spieler, für mich und den ganzen Verein, es war ein Grundstein für die Entwicklun­g der folgenden Jahre.

Anschließe­nd gingen Sie zum FC Bayern, holten zweimal das Double. Von so einer Ausbeute ist man dort aktuell weit entfernt, auch wenn der FCB die Tabelle anführt. Wenn die Bayern selbst in dieser Chaossaiso­n den Titel holen, ist das dann ein Armutszeug­nis für die Liga?

Der deutsche Fußball ist europäisch nur noch durch Bayer Leverkusen vertreten und auch die Fußballnat­ionalmanns­chaft in der Fifa-weltrangli­ste irgendwo auf Platz 14 – hinter der Schweiz und den USA. Da brauchen sie mich also nicht zur Lage des deutschen Fußball fragen. Das sind die Fakten und es braucht eine große Anstrengun­g aller die den Fußball wirklich lieben, um diese Situation zu ändern. Wir brauchen wieder ein Bekenntnis zur Leistung, zu harter Arbeit auf dem Platz und vor allem den Willen, Kindern und Jugendlich­en ohne taktische Zwänge wieder den Spaß am Spiel zu vermitteln.

Oben Ex-club (Bayern), unten ebenso (Stuttgart, Hertha, Schalke) und auch in der Mitte Ex-vereine (Frankfurt, Bremen, Wolfsburg). Ist man da besonders emotional oder neutral?

Was heißt denn emotional oder neutral? Ich habe immer gesagt: „Ich bin Profitrain­er.“Ich habe mich weder in Stuttgart, Wolfsburg, München oder Frankfurt hingestell­t, aufs Wappen geklopft und gesagt „Ich bin Bayer“, „Ich bin Vfbler“, „Ich bin Wolfsburge­r“. Nein, ich habe gesagt: „Ich gebe mein Bestes FÜR den VFB, München oder Wolfsburg.“Und das habe ich gemacht.

Wenn jedoch der Hamburger SV, der Verein, für den Sie zehn Jahre als Spieler aufliefen, in der Relegation gegen Stuttgart oder Hertha spielt, wären dann Ihre Sympathien klar verteilt? Da könnte es allerdings schon sein, dass ich aufs Wappen, also auf die Raute klopfe.

 ?? ??
 ?? FOTO: IMAGO SPORTFOTOD­IENST ?? Felix Magath umarmt Krassimir Balakov (li.) nach dem Sieg gegen Schalke 2001 und brüllt 2022 seinen Unmut als Hertha-trainer heraus.
FOTO: IMAGO SPORTFOTOD­IENST Felix Magath umarmt Krassimir Balakov (li.) nach dem Sieg gegen Schalke 2001 und brüllt 2022 seinen Unmut als Hertha-trainer heraus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany