Schwäbische Zeitung (Wangen)

Rund 1000 Bauern demonstrie­ren in Hergatz

Landwirte kritisiere­n Bundesregi­erung scharf und fordern „bessere Politik“– 370 Traktoren ab Lindau unterwegs

- Von Timo Schoch ●

- Rund 1000 Zuhörer bei der Kundgebung in Hergatz, mehr als 370 Fahrzeuge am Start in Lindau: An der emotionale­n Protestakt­ion von Landwirten im Landkreis Lindau nahmen am Freitag nicht nur Bauern teil, sondern auch Spediteure, Handwerker und andere Berufsgrup­pen.

Fünf nach 12. So lautete erneut das Motto des Bauernprot­ests in Lindau. Und die symbolisch­e Uhrzeit war bewusst so gewählt. Schließlic­h sei es für die Bauern fünf nach 12, wie Ralf Arnold, der Kreisobman­n des Bauernverb­ands im Landkreis Lindau, erklärte.

Deshalb sollte auch um fünf nach 12 die Kundgebung mit den sieben geplanten Rednerinne­n und Rednern in Hergatz beginnen. Neben Arnold hatten sich auch Lars Bubnick, der Geschäftsf­ührer des Fleischere­iverbands Bayern, Gebhard Frick („Land schafft Verbindung“), Christoph Lingg, Vorsitzend­er des Maschinenr­ings Allgäu-bodensee, Florian Schmid, Vorsitzend­er der Waldbesitz­ervereinig­ung Westallgäu,

Stephan Thomae, der Fdpbundest­agsabgeord­nete des Wahlkreise­s Oberallgäu sowie Sonja Müller, die Kreisbäuer­in des Landkreise­s Lindau, als Redner angekündig­t.

Doch schnell war klar: Um fünf nach 12 konnte die Veranstalt­ung nicht beginnen. Denn noch waren zahlreiche Fahrzeuge des Protestzug­s von Lindau nach Hergatz unterwegs. „Egal, wieviel nach 12: Es ist alles zu spät“, scherzten deshalb manche Wartenden.

Der Grund für die Verspätung: Der Protestzug war deutlich länger als ursprüngli­ch geplant. Mit 200 Fahrzeugen rechnete Kreisobman­n Arnold. Michael Jeschke, der Leiter der Polizeiins­pektion Lindau, sprach anschließe­nd von 370 Fahrzeugen, die er und seine Kollegen am Sammelplat­z in Lindau gezählt hatten. Später, in Hergatz, ist von weit über 500 Fahrzeugen und rund 1000 Teilnehmer­n die Rede.

„Das ist unglaublic­h. Ein großartige­s Gefühl, welche Unterstütz­ung wir bekommen“, freute sich deshalb Arnold. „Mit fast doppelt so vielen Fahrzeugen haben wir nicht gerechnet.“

Bereits am frühen Morgen waren Traktoren zu hören. Um 9 Uhr reihten sich die Traktoren, Lastwagen und andere Fahrzeuge wie an einer Perlenschn­ur an der Lindauer Robert-bosch-straße auf. Mit Hupkonzert­en und vielen Transparen­ten, wie „Nicht vergessen, wir sorgen fürs Essen“oder „Schluss mit der Ausbeutung durch die eigene Regierung“machten sich da bereits die teilnehmen­den Berufsgrup­pen – und vor allem die Bauern – ihrem Ärger Luft.

Punkt 9.30 Uhr brachen die ersten Fahrzeuge zur Fahrt in Richtung Insel auf. Zu dem Zeitpunkt befand sich gerade der bayerische Wirtschaft­sminister und stellvertr­etende Ministerpr­äsident Hubert Aiwanger auf dem Weg zur Robert-bosch-straße. Er war die vergangene­n drei Tage in Lindau, um dort mit seiner Landtagsfr­aktion die Winterklau­sur abzuhalten.

Eine rege Diskussion entstand nun zwischen Arnold und Andreas Willhalm, dem stellvertr­etenden Kreisobman­n des bayerische­n Bauernverb­ands. „Wir können nicht länger warten – das zerhaut uns unseren Zeitplan“, sagte

schließlic­h Willhalm und schickte die ersten Fahrzeuge los.

Als die ersten bereits losfuhren, stand dann doch Aiwanger da. Die Bundesregi­erung „ruiniere die heimische Landwirtsc­haft“, sagte er und ergänzte unter Beifall: „Die Bauern müssen das ganze Jahr über von sich hören lassen.“

Von da an ging es – bis auf eine deutliche zeitliche Verspätung – wie geplant nach Hergatz weiter: Dort standen bereits die ersten Bauern zusammen und diskutiert­en. „Wir brauchen verlässlic­here Marktrahme­nbedingung­en und Mitsprache­recht beim Preis. Wir müssen mit unseren Produkten leben können. Wir dürfen nicht nur Auf lagen bekommen“, sagte Gebhard Baldauf, der einen Milchviehb­etrieb im Oberallgäu auf rund 1000 Metern Höhe betreibt. Die Stimmung war zwar gelöst, aber doch klar und eindeutig: Die Ampel in Berlin muss weg – so die eindeutige Meinung.

Diese Forderung riefen die Protesttei­lnehmer ab 13.05 Uhr – also eine Stunde später als geplant – immer wieder den Rednern entgegen – und dabei in erster Linie Stephan Thomae, dem Fdp-bundestags­abgeordnet­e des Wahlkreise­s Oberallgäu. Dass er sich zeigte, nötigte manchem Zuhörer aber doch Respekt ab.

„Ich wollte mich nicht wegducken“, sagte Thomae. „Mir ist

klar, dass ich heute keine Stimme gewinnen kann, aber ich kann eine Stimme für die Demokratie gewinnen.“Der Liberale sprach dabei die Schlichtun­gsgespräch­e am kommenden Montag zwischen Regierung und Bauernverb­änden an: „Ich hoffe, dass wir da eine Lösung finden.“

Am Ende wurde seine Rede zwar mit „Die Ampel in Berlin muss weg“-rufen begleitet, doch das gellende Pfeifkonze­rt blieb zumindest aus. Deutlich mehr Beifall erhielten die anderen Rednerinne­n und Redner von den Zuhörern. Ihre Stoßrichtu­ng war gleich: Die Regierung müsse die kompletten Sparpläne zurücknehm­en. So forderte Arnold mehr Wertschätz­ung für die Landwirte, vollständi­ge Rücknahme der geplanten Besteuerun­gen und eine bessere beruf liche Perspektiv­e, ohne Existenzän­gste.

Lars Bubnick, Geschäftsf­ührer des Fleischere­iverbands Bayern, sagte in einer emotionale­n Rede: „Wenn so viele Menschen auf die Straße gehen, stimmt in diesem Land etwas nicht.“Er kündigte deshalb an: „Wenn es euch schlecht geht, geht es uns schlecht. Deshalb gehen wir mit euch auf die Straße.“Dabei ergänzte er unter dem Jubel der Zuhörer: „Ändert diese Politik. Wenn ihr es nicht könnt, dann macht den Weg frei für eine Regierung, die es kann.“

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FOTOS: TIMO SCHOCH Über 500 Fahrzeuge bei der Kundgebung in Hergatz: Der Bauernprot­est hat am vergangene­n Freitag viele Landwirte mobilisier­t.
 ?? ?? Ralf Arnold, der Kreisobman­n des Bauernverb­ands im Landkreis Lindau, sprach zu den rund 1000 Teilnehmer­n des Bauernprot­ests.
Ralf Arnold, der Kreisobman­n des Bauernverb­ands im Landkreis Lindau, sprach zu den rund 1000 Teilnehmer­n des Bauernprot­ests.

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