„Viele Menschen mit Post-covid sind von Depressionen betroffen“
Herzprobleme, Atemnot und Nebel im Gehirn: Yesim Erim, Fachärztin für Psychosomatische Medizin, über das Post-covid-syndrom
- Herzprobleme, Atemnot, Schmerzen im Brustkorb und Nebel im Gehirn: Wenn Patienten drei Monate nach einer Coronainfektion noch bestimmte gesundheitliche Probleme haben, spricht man von Post-covid. Professorin Dr. Yesim Erim, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, ist Sprecherin des Post-covid-zetrums der Universität Erlangen – und war in Lindau, um bei den Psychotherapiewochen einen Vortrag zu halten. Im Interview mit Julia Baumann spricht sie über Diagnose und Heilungschancen – und darüber, warum es wichtig ist, dass sich Psychotherapeuten mit den körperlichen Beschwerden des Syndroms auskennen.
Wie wird Post-covid diagnostiziert und wie sehen die Symptome aus?
Diagnostiziert wird es anhand einer Ausschlussdiagnostik. Ich muss also erst ausschließen, ob es andere Ursachen für die Symptome gibt. Die Symptome selbst sind sehr vielfältig. Da sind zum Beispiel Husten und Atemnot, viele Patienten leiden auch unter Herzproblemen, manche haben Schmerzen im Brustkorb. Und dann gibt es noch das, was als Brainfog, also Nebel im Gehirn, bezeichnet wird: Konzentrationsprobleme und Wortfindungsstörungen. Und das so genannte Fatigue-syndrom, bei dem Menschen schnell ermüden. Wenn dieses Syndrom ausgeprägt ist, sind sie nicht in der Lage zu arbeiten und zum Teil auch nicht in der Lage, ihre häuslichen Arbeiten zu erledigen. Manche Patienten sind so sehr betroffen, dass sie selbst die Körperpflege nicht mehr richtig erledigen können.
Wie groß ist denn die Nachfrage bei Ihnen im Post-covid-zentrum?
Wir haben im Moment 1200 Patienten auf der Warteliste und wir können in der Woche ungefähr 25 behandeln. Sie durchlaufen eine Menge Untersuchungen, um andere Krankheiten auszuschließen, das braucht viel Zeit. Das Universitätsklinikum hat für das Post-covid-zentrum zwei Stellen bereitgestellt. Doch wir bräuchten eigentlich viel mehr.
Post-covid bringt man eher mit körperlichen Beschwerden in Verbindung. Warum arbeitet im Post-covid-zentrum in Erlangen eine Ärztin, die auf Psychosomatik spezialisiert ist?
Viele Menschen mit Post-covid sind von Depressionen und Angstzuständen betroffen. Dazu muss man sagen, dass alle chronischen Krankheiten in der Regel zu psychischen Problemen führe können, etwa bei 20 Prozent der Betroffenen. Allerdings sind bei Post-covid viel mehr Menschen von einer psychischen Erkrankung betroffen als bei anderen chronischen Krankheiten. Ich denke, das hat damit zu tun, dass Patienten bei anderen chronischen Erkrankungen wenigstens einen Behandlungspfad vor sich sehen. Doch bei Post-covid scheitern wir ja oft schon bei der Diagnostik, und ursächlich Behandlungsmöglichkeiten gibt es nicht. Man kann nur die Symptome behandeln. Aus meiner Sicht ist Post-covid auch ein Krankheitsbewältigungsproblem.
Sind Depression und Angstzustände dann eher eine Folge der Post-covid-symptome oder auch direkte Symptome des Syndroms?
Beides. Und je mehr wir über die Zusammenhänge auf der molekularen Ebene erfahren, desto mehr kommen wir zu dem Schluss, dass körperliche und psychische Probleme miteinander einhergehen.
Der Vortrag, den Sie bei den Lindauer Psychotherapiewochen gehalten haben, trug den Titel: „Post-covid-sydnrom: Diagnostik der körperlichen Beschwerden“. Warum müssen Psychotherapeuten Ahnung haben von den körperlichen Post-covid-symptomen?
Weil es wichtig ist, den Verlauf der Krankheit zu verstehen. Viele Symptome greifen in einander und bedingen sich gegenseitig. Wer Angst hat, bekommt Atemnot. Wer Atemnot hat, bekommt
aber auch Angst. Ich muss einordnen können, ob Probleme psychologisch ausgelöst sind und wann biologische Veränderungen für Patienten gefährlich werden.
Sie arbeiten an der Uniklinik in Erlangen multidisziplinär zusammen, zum Beispiel mit Augenärzten. Welche Rolle spielen diese Kollegen?
Im Augenhintergrund gibt es Bereiche, die sehr gut mit Gefäßen versorgt sind. Augenärzte haben ihre Patienten auch in der Pandemie
untersucht und später gesehen, dass sich bei Post-covid-patienten die Gefäßversorgung verschlechtert, die Gefäßdichte nimmt ab. Aus diesem Grund haben sie angefangen, sich mit dem Krankheitsbild zu beschäftigen.
Wie lange dauert denn Post-covid und wie sind die Chancen auf Genesung?
Es gab auch vorher schon postvirale Syndrome, zum Beispiel nach einer Infektion mit dem Epsteinbarr-virus, der Grippe oder früher mit Polio. Bei diesen Syndromen geht man davon aus, dass sie selbstlimitierend, also irgendwann vorbei sind. Aus diesem Grund haben wir unsere Post-covid-patienten nach fünf Monaten neu zu ihren Symptomen befragt. Es gibt welche, die besser werden, darunter Depressionen und Angstzustände. Aber das Fatiguesyndom zum Beispiel bleibt weitestgehend unverändert, wenn die Patienten nicht gezielt etwas dagegen tun.
Und was kann man tun?
Psychotherapie. Wir haben erste Hinweise aus verschiedenen Studien, das eine Psychosomatische Rehabilitation auch gegen das Fatigue-syndrom helfen kann. Das sind noch wenig Zahlen und die Ergebnisse sind auch noch nicht publiziert, aber ich glaube, dass man darauf Einfluss nehmen kann. Ob das Fatigue-syndrom ganz verschwindet, wissen wir noch nicht. Dafür ist noch nicht genügend Zeit verstrichen.
Haben Sie Fälle, die mit Post-covid zu Ihnen gekommen sind und jetzt wieder ganz gesund sind?
Patienten, die überhaupt keine Probleme mehr haben, haben wir nicht. Aber sie gehen nach Hause mit sehr viel mehr Zuversicht. Ein ganz wichtiges Thema in der psychosomatischen Medizin ist, dass wir ein Krankheitsverständnis entwickeln. Dazu gehört die Biologie und die psychische Lebenssituation. Wir haben zum Beispiel sehr viele Patienten gesehen, die sehr leistungsorientiert sind. Die sich keine Pausen gegönnt haben, Krankheiten nie auskuriert haben und ganz selbstverständlich mit 40 Grad Fieber in den Kuhstall arbeiten gegangen sind. Wenn wir mit solchen Patienten gemeinsam dahin kommen, dass sie sich ein bisschen mehr um sich kümmern, ist schon einiges gewonnen.