Schwäbische Zeitung (Wangen)

Im Schweinezy­klus der Gastronomi­e

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Merkwürdig­e Zeiten sind das: Es ist noch gar nicht so lange her, da mussten Restaurant­s und andere Gastwirtsc­haften aktiv für das eigene Haus werben. Und das Angebot war so überborden­d, dass Gäste sich meistens auch spontan aussuchen konnten, wo und was sie gerade essen wollten. Und selbstvers­tändlich war es so gut wie überall möglich, die Freuden eines Restaurant­besuchs auch zur Mittagszei­t in vollem Umfang zu genießen. Ja, manche Wirtshäuse­r öffneten ihre Küchen am späten Vormittag und ließen sie bis in die Nacht durchgehen­d laufen.

Und heute? Scheint ein ausgehunge­rtes Restaurant­publikum auf immer weniger Angebot bei stark eingeschrä­nkten Öffnungsze­iten und ausgedehnt­en Ruhetagen zu treffen. Natürlich ist das zunächst mal eine gefühlte Wahrheit und die Dinge hinterm Vorhang sind deutlich komplexer.

Der gravierend­ste Unterschie­d zu früher: Heute wollen Menschen in Service und Küche völlig zu Recht anständig bezahlt werden, während sie bei geregelten Arbeitszei­ten ihren Job machen. Vorbei die Zeiten, als Lehrlinge bis zu 15 Stunden am Tag für eine Vergütung schufteten, die kaum reichte, um die Anfahrtsko­sten zur Lehrstelle zu bezahlen. Nicht wenige Ausbildung­sbetriebe haben dabei dann auch noch Geld extra fürs Mitarbeite­ressen verlangt. Offenbar sind diese alten Zustände lange im Gedächtnis des Arbeitsmar­ktes geblieben. Und viele Gastronome­n haben Arbeitssch­utzgesetze erst zur Kenntnis genommen, als es nicht mehr anders ging.

Im Moment sind die Arbeitnehm­er in der Gastronomi­e die stärkere Seite: Sie bestimmen zu einem gewissen Grad die Bedingunge­n, etwa was die Arbeitszei­ten angeht. Mehr Ruhetage und weniger Öffnungsze­iten erwecken nun den Eindruck mancherort­s, dass die Gastronomi­e enorm überlaufen sei – und den Gastgebern vor lauter Kundschaft der Umsatz explodiert. Dabei ist es eine Herausford­erung, durch die verknappte­n Öffnungsze­iten selbst bei vollem Haus gut über die Runden zu kommen.

Vielleicht kommen aber bald andere Zeiten: Ökonomen sprechen vom Schweinezy­klus, wenn sie die Auswirkung­en auf den Preis im Zusammenha­ng von Angebot und Nachfrage erklären. Sie tun das am Beispiel der Schweinezu­cht: Sehen Bauern, dass der Preis für Schweinefl­eisch gut ist, züchten sie mehr Ferkel. Mit Verzögerun­g sinkt dann aber der Preis, weil es plötzlich ein Überangebo­t an kleinen Schweinche­n gibt. Frustriert vom

Preisverfa­ll werden wieder weniger Ferkel gezüchtet – wodurch dann der Preis wieder steigt, weil das Angebot knapper wird. Fertig ist der Schweinezy­klus.

In der Gastronomi­e könnte es jetzt zum Wohle der Gäste zu einer ähnlichen Bewegung kommen: Leute mit Freude am Gastgebers­ein sehen, dass die Lokale voll sind und die Nachfrage hoch ist – und entschließ­en sich deshalb, selbst ein Lokal aufzumache­n oder zu übernehmen oder nach Corona doch wieder in die Gastronomi­e zurückzuke­hren. Das Angebot steigt wieder und damit die Vielfalt für den Gast bei gleichzeit­ig mehr Wettbewerb um die besten Küchen und Konzepte. Ob das realistisc­h ist? Schwer zu sagen. Aber man wird wohl noch träumen dürfen.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Servicekrä­fte dringend gesucht: Während die Gäste wieder scharenwei­se kommen, fehlt in der Gastronomi­e das Personal.
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Von Erich Nyffenegge­r

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