Schwäbische Zeitung (Wangen)

Eine Legende kehrt zurück

Das Flugschiff Do X wird am Bodensee nachgebaut. Und zwar dort, wo in den 1920er-jahren das Original entstanden ist.

- Von Hildegard Nagler ●

- Es ist eine ganz besondere Feierstimm­ung an diesem Tag am Bodensee. In den frühen Morgenstun­den war es im Schweizer Altenrhein, das einen eigenen Flughafen hat, noch frostig kalt. Jetzt, da die Do-x-liebhaber aus Deutschlan­d angereist sind, beginnt die Sonne zu scheinen. Ein Bild mit Symbolchar­akter: Seit 2014 hat der Friedrichs­hafener Peter Kielhorn mit den Mitglieder­n seines Freundeskr­eises Do X manchen Rückschlag verkraften müssen. Niemand wollte am Bodensee den Nachbau des Giganten haben. Durch eine Kooperatio­n mit Schweizer Do-x-freunden, die vor Kurzem ebenfalls einen Verein ins Leben gerufen haben, gibt es jetzt eine Heimat für die neue Do X – wie erhofft am Bodensee. „Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann die komplette Do X nachgebaut ist“, sagt Diplom-ingenieur Peter Kielhorn, ein ehemaliger Dornianer.

Iren Dornier, Enkel des Flugzeugpi­oniers Claude Dornier, ist ein erfahrener Pilot und Besitzer des Flugboots Do 24 ATT, des Nachfolger­s der Do X. Auch er ist von der Strahlkraf­t des legendären Flugschiff­s überzeugt: „Für die Entwicklun­g der Flugverbin­dungen zwischen den Kontinente­n ist die Bedeutung der Do X nicht hoch genug einzuschät­zen.“

Die Mitglieder des alten und des neuen Vereins stoßen auf die Do X an. „Als der Flugplatz Altenrhein vor 98 Jahren entstand, war er die größte Baustelle ganz Europas“, sagt Bruno Scherrer, Präsident des „Do X-vereins Altenrhein“und ehemaliger Direktor bei der Flug- und Fahrzeugwe­rke Altenrhein FFA und schwärmt: „Und jetzt kommt die Do X zurück. Das ist traumhaft. Ich finde das verrückte und ehrgeizige Projekt von Peter Kielhorn großartig und bin nun selber darin ein Rädchen geworden“, fügt der bestens vernetzte Ostschweiz­er an, der seit Jahrzehnte­n auch ehrenamtli­ch im Aviatik-bereich engagiert ist. Peter Kielhorn, sein Stellvertr­eter im neuen Verein, ergänzt: „Wir freuen uns riesig, dass hier unser Nachbau entsteht.“Dann machen sich die Dox-liebhaber im Ffa-museum an die Arbeit.

Vor Kurzem haben sie die ersten in der Aviators Farm in Hildesheim zwischenge­parkten bereits fertigen Teile für das Do-x-vorschiff nach Altenrhein gebracht. Spant 44, mit rund sechs Meter Höhe und 4,62 Meter Breite einer der größten und komplexest­en Rumpfspant­e des Riesenflug­schiffes, wird jetzt zusammenge­schraubt und aufgericht­et. Dann wird der Mittelläng­sträger auf eine Helling gehievt, zuletzt wird der Spant aufgesetzt – eine schwierige Aufgabe. Obwohl bald nur ein Teil der Umrisse des Vorschiffs zu sehen ist, wird klar: Hier entsteht etwas Gigantisch­es. Vorläufig werden die Verbindung­en verschraub­t. In absehbarer Zeit soll aber alles genietet werden, weil das Vorschiff im Ffamuseum in Altenrhein seinen endgültige­n Platz haben soll. Insgesamt ist es zehn Meter lang, fünf Meter breit und sechs Meter hoch.

Schafft es der neue Verein, den unweit stehenden Original-hangar aus dem Besitz von Stadlerwag­gonbau herauszulö­sen, soll dieser abgebaut und in geringer Entfernung am Bodensee neu aufgebaut werden. Genau in diesem Hangar soll dann das gesamte Riesenf lugschiff entstehen – zwar nicht f lug-, dafür aber schwimmfäh­ig, wie Bruno Scherrer und Peter Kielhorn betonen. Zu unrealisti­sch

und zu teuer wäre es angesichts der sich immer mehr verschärfe­nden Vorschrift­en in der Luftfahrt, den Riesenvoge­l wie einst in die Luft bekommen zu wollen.

Die Do X, 40 Meter lang, 10,1 Meter hoch, Spannweite: 48 Meter. Abfluggewi­cht: 52.000 Kilogramm, Höchstgesc­hwindigkei­t: 210 Kilometer pro Stunde – das größte Flugzeug seiner Zeit, der erste „Jumbo“der Lüfte. „Ich hatte einen Ausf lug (…) gemacht, als ich plötzlich am blauen Himmel ein großes Gefährt sich im langsamen Flug nähern sah. Ich blieb stehen, um die Erscheinun­g besser betrachten zu können. Langsam kam das Gebilde auf mich zu, um, als es senkrecht über mir stand, sich in nichts aufzulösen (…) Die Erscheinun­g glich einem riesengroß­en fliegenden Schiff, dessen Seitenfläc­hen in silbrigen Tönen glänzten.“Jahre später sollte die Vision von Flugzeugpi­onier Claude Dornier, festgehalt­en

in seiner Biografie „Aus meiner Ingenieurl­aufbahn“, Wirklichke­it werden – mit dem Erstflug der Do X am 12. Juli 1929. Der soll sich laut Angaben von Flugkapitä­n Richard Wagner, Chefpilot bei Dornier, unbeabsich­tigt vollzogen haben. Zum offizielle­n Erstf lug hebt die Maschine am 15. Juli 1929 ab. Der Gigant sorgt für Furore. Wer die Maschine mit eigenen Augen gesehen hat, vergisst sie nicht mehr: „Sie war eine Sensation. Wir konnten kaum glauben, dass es so etwas gab!“, erinnerte sich vor fünf Jahren der seinerzeit 93-jährige Günter Lutz aus Reutlingen.

Am 21. Oktober 1929 stellt die Do X bei einem Rekordf lug ihre enorme Tragfähigk­eit unter Beweis: Sie transporti­ert zehn Crewmitgli­eder und 159 Fluggäste. Am 27. August 1931 findet der Transatlan­tikflug des Flugschiff­s Do X, des ersten Großraumf lugzeugs, mit einer Wasserung auf dem Hudson-river in New York seinen Höhepunkt. „Um 11.10 Uhr sind wir über New York, umfliegen die Freiheitss­tatue, dann geht es den Hudson aufwärts bis zur Hudson-brücke, im weiten Bogen zurück über die Stadt, vorbei an den Wolkenkrat­zern“, schrieb Maurice Dornier, Bruder von Flugzeugpi­onier Claude Dornier, dem Vater der Do X, über den triumphale­n Empfang in New York. „Dächer und Straßen sind schwarz von Menschen, die Sirenen der Dampfer dringen bis zu uns herauf, trotz unserer 12 Motoren. Am Hafen stehen Tausende und winken und warten auf die Landung. 11.30 Uhr landen wir vor der Battery …“Deutschlan­d ist im Flugfieber, steckt die ganze Welt an.

Zeitenspru­ng ins Frühjahr 2019. Im Dornier Museum in Friedrichs­hafen knien junge Maschinenb­au-studenten der Dualen Hochschule Baden-württember­g Mosbach vor einer Vitrine, in der ein Do-x-holm ausgestell­t ist.

Auf die Idee, Studenten der Fachrichtu­ngen Maschinenb­au und Fahrzeugte­chnik in das Mammutproj­ekt einzubinde­n, war Diplom-ingenieur Peter Kielhorn gekommen, als er für den Freundeskr­eis des Dornier Museums eine Studienarb­eit betreut hatte – nur mithilfe der Studenten, sagt er, sei die Wiederkehr der Do X überhaupt finanzierb­ar. Also betrieben und betreiben die Studenten auf Kielhorns Einladung hin „luftfahrth­istorische Archäologi­e“, wie dieser es formuliert. Denn obwohl dereinst drei Do-xmaschinen gebaut wurden, ist keine einzige mehr erhalten. Verscholle­n sind auch die Originalba­upläne – geblieben sind nur wenig Originalte­ile. Die Aufgabe der Studenten: Mithelfen bei der Rückkehr der Do X im Maßstab 1:1 in Form eines Computermo­dells, also in CAD, direkt in 3 D. Nur auf ein paar „grottensch­lechte Zeichnunge­n“aus dem Jahr 1956 und Hunderte von Fotos aus der Bauphase der Do X in Altenrhein, die Peter Kielhorn im Staatsarch­iv in St. Gallen aufgetrieb­en hat, können sich die Studenten bei ihrer Rekonstruk­tion stützen. Eine knifflige Aufgabe, wie seinerzeit ihr Betreuer Professor Gangolf Kohnen von der DHBW Mosbach sagt, denn die jungen Leute brauchen auch detektivis­chen Spürsinn. Ein Student zeigt auf ein u-förmiges Profil des ausgestell­ten Do-x-holmes. „Das kann man auf dem Foto nicht erkennen.“

Mittlerwei­le haben 123 Studentinn­en und Studenten 36.900 Stunden damit verbracht, die am Reißbrett konstruier­te Do X mit modernen Hilfsmitte­ln nachzukons­truieren – die Stunden der Mitglieder des deutschen Freundeskr­eises sind in der Rechnung nicht berücksich­tigt. Nach der Veröffentl­ichung des Romans „Das f liegende Schiff – Eine Reise durch die Welt“von Michael Ott scheint das Do-x-fieber zu grassieren. Warum? Der Schweizer Bruno Scherrer erzählt, dass er in den 1980er-jahren für Justus Dornier, einen der Söhne von Flugzeugpi­onier Claude Dornier, gearbeitet hat. Bekannt war damals, dass Do X 1 in der Deutschen Luftfahrts­ammlung in Berlin im Frühjahr 1944 durch eine englische Luftmine, die das Hallendach über der Do X durchschla­gen hatte, zerfetzt wurde. Doch was war mit den beiden für Italien gebauten Do X 2 und Do X 3 passiert? „Meine Sekretärin war zur Hälfte ihrer Arbeitszei­t damit beschäftig­t, im Auftrag von Justus Dornier den Verbleib der für Italien gebauten Maschinen zu recherchie­ren“, berichtet Bruno Scherrer. Dieser ist zwar mittlerwei­le dank der Recherche des Luftfahrt-experten Franz Selinger geklärt – Do X 2 und Do X 3 wurden 1937 verschrott­et. Die Faszinatio­n und die Begeisteru­ng für die Do X, „ein fast unglaublic­hes Projekt“, ist Bruno Scherrer und anderen Dornier-liebhabern aber geblieben. Vor der Arbeit von Peter Kielhorn hat er große Hochachtun­g. „Gäbe es Peter nicht, gäbe es dieses tolle Projekt nicht.“Für Bruno Scherrer nur folgericht­ig, dass Deutsche und Schweizer zusammenhe­lfen, um das Flugschiff in der Schweiz wieder entstehen zu lassen.

Vor einem halben Jahr hat Norbert Waltmann aus Nürnberg begonnen, Cad-modelle für die Instrument­ierung der Do X zu erstellen. Der pensionier­te Werkzeugma­cher ist übers Internet auf den Freundes- und Förderkrei­s Do X aufmerksam geworden. Dank Cnc-bearbeitun­g und 3 D-drucker hat er mittlerwei­le die komplette Instrument­ierung geschaffen. Als Nächstes macht sich Waltmann an den Nachbau des Cockpits. „Eine tolle Aufgabe“, schwärmt er, und seine Augen leuchten.

2026 werden der Flughafen Altenrhein und die Do-werke Altenrhein 100 Jahre alt. Bis dahin soll das Vorschiff im Museum fertig sein. Genau 570 Tage reine Bauzeit sind für die Original-do-x dokumentie­rt. Für den Bau und die Fertigstel­lung der kompletten Do X mag weder Bruno Scherrer noch Peter Kielhorn einen Zeitpunkt nennen. 58 Spante hat das Flugschiff, das Geld für den Nachbau soll über Crowd Funding sowie den deutschen und den Schweizer Do-x-verein gesammelt werden. Die Kosten dafür werden auf bis zu neun Millionen Euro geschätzt. Peter Kielhorn sagt: „Ich meine, dass es diese Maschine Wert ist, wieder von den Menschen bewundert zu werden.“Bruno Scherrer fügt an: „Die gesamte Konstrukti­on wird schlichtwe­g gigantisch.“

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FOTO: AIRBUS CORPORATE HERITAGE Die Mannschaft der Do X posiert für den Fotografen.
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FOTOS: HILDEGARD NAGLER Die Do-x-liebhaber haben den Mittelläng­sträger (links) des Do-x-vorschiffe­s montiert. Darauf setzen sie Spant 44.
 ?? FOTO: AIRBUS CORPORATE HERITAGE ?? Noch heute beeindruck­t die Ästhetik der Do X, die ihren offizielle­n Erstflug am 15. Juli 1929 hatte, die Menschen.
FOTO: AIRBUS CORPORATE HERITAGE Noch heute beeindruck­t die Ästhetik der Do X, die ihren offizielle­n Erstflug am 15. Juli 1929 hatte, die Menschen.
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Norbert Waltmann hat die Instrument­ierung der Do X nachgebaut.

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