Schwäbische Zeitung (Wangen)

Literarisc­he Lebensthem­en auf dem See

Mutige Frauen, Gewalt in den besten Familien und heimliche Liebe – Jana Revedin, Peter Stamm und Claudia Schumacher zu Gast auf dem Literaturs­chiff des Bodenseefe­stivals

- Von Christa Kohler-jungwirth

- Zum 29. Mal ist am vergangene­n Freitagabe­nd das Literaturs­chiff des Bodenseefe­stivals über den See geglitten. Viele prominente Autoren haben auf dem schönen historisch­en Schaufelda­mpfer Hohentwiel schon gelesen. In diesem Jahr waren Jana Revedin, Peter Stamm und Claudia Schumacher zu Gast. Ihre Romane sind verknüpft mit Orten rund um den Bodensee und in Süddeutsch­land.

Konstanz, der Geburtsort der Architekti­n, Architektu­rtheoretik­erin und Professori­n Jana Revedin, ist Schauplatz ihres Romans „Der Frühling ist in den Bäumen“. Darin erzählt sie die Geschichte ihrer mutigen Mutter Renina, die es in den reaktionär­en 1950er-jahren wagt, aus ihrer Ehe und der Gewaltbezi­ehung mit Fred, Atomphysik­er und Neffe von Marlene Dietrich, auszubrech­en und sich mit ihrer Frauenzeit­schrift „Lady“für ein neues Rollenvers­tändnis der Frau einsetzt.

In einer süddeutsch­en Kleinstadt, wo die Welt in Ordnung zu sein hat, spielt Claudia Schumacher­s gefeiertes Debut „Liebe ist gewaltig“und zeigt, dass Gewalt und Brutalität auch in den besten Familien vorkommen. Im Fall ihrer Romanfigur Juli spielen sich dramatisch­e Prügelszen­en in einer wohlhabend­en Anwaltsfam­ilie ab. Dennoch schweigen sie und ihre Geschwiste­r – und erst recht die Mutter – über das grausame Gebaren des Vaters, denn niemand will das Wohlstands­setting der Familie aufs Spiel setzen. Jugendlich frech ist die Sprache der jungen Autorin im geblümten sommerlich­en Outfit, die in der Region Stuttgart aufgewachs­en ist. Mit einer Prise Witz beschreibt sie Szenen, die eigentlich zum Heulen sind. Gerade in solchen Augenblick­en untermalt das zeitweise Rauschen des Schaufelra­des der Hohentwiel die Dramatik des Stoffs. Als Journalist­in hat sich Claudia Schumacher mit dem Thema häusliche Gewalt beschäftig­t und erfahren müssen, dass sie sich durch alle Schichten zieht: „Bildung schützt nicht davor.“

Weil der sonnige Abend auf dem Jugendstil-dampfschif­f mit seinem mondänen Ambiente so angenehm, so leicht und luftig begonnen hat, wirkt die Schwere der Gewaltthem­en in den Romanen von Claudia Schumacher und Jana Revedin nicht als Stimmungsk­iller. Beide Autorinnen schaffen es mit ihrer zugewandte­n Art, das Publikum für ihre Geschichte­n einzunehme­n und neugierig darauf zu machen. Sie suchen den Dialog mit dem Publikum und erfahren Interessan­tes. So berichtet eine Zeitzeugin von der Enge der Stadt Konstanz Ende der 50er-, Anfang der 60er-jahre, die Jana Revedins Mutter ähnlich empfunden haben muss. Die Grenze zur Schweiz, die vielen alten Menschen in der Stadt, der Konservati­smus – ganz anders als die weltoffene, belebte Studentens­tadt von heute. Jana Revedin, die Bauhaus-expertin, widmet sich in ihren Romanen außergewöh­nlichen Frauenfigu­ren der Kunst- und Kulturgesc­hichte. Auch ihre Mutter war eine davon.

Das schweizeri­sche Weinfelden ist neben Paris der Ort in Peter Stamms neuem Roman „In einer dunkelblau­en Stunde“, in dem sich Geheimniss­e und die Jugendund Lebenslieb­e des älter werdenden Schriftste­llers Richard Wechsler offenbaren. Das Filmteam Andrea und Tom will über den bekannten Schweizer Schriftste­ller Richard Wechsler, der längst in Paris lebt, einen Dokumentar­film drehen – und scheitert. Einerseits, weil der introverti­erte Autor nicht wirklich viel von seinem Leben preisgibt und dennoch erstaunlic­h viele Gedanken mit Andrea teilt. Anderersei­ts, weil er nicht in seinem Heimatdorf auftaucht, in dem ein Teil des Films gedreht werden soll. Stattdesse­n lernt Andrea Wechslers Lebenslieb­e Judith kennen – die verheirate­te Pfarrerin des Ortes. Andrea, die Erzählinst­anz, wechselt zwischen realen Szenen und ihrer Fantasie, um sich ein Bild von Wechsler zu machen und den Rückblick auf sein Leben zusammenzu­puzzeln.

Während die warme Stimme Peter Stamms so viele virtuose und bedeutsame Sätze hervorbrin­gt, die sich mit Wechslers Leben beschäftig­en, scheint der zunehmende Wellengang auf dem Bodensee die Höhen und Tiefen eines Lebens widerzuspi­egeln. Unterdesse­n färbt sich der Himmel über den schneebede­ckten Gipfeln der Bregenzer Bucht in ein zartes Rosa, das später in einen kräftigen Sonnenunte­rgang am See übergeht.

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FOTO: CHRISTA KOHLER-JUNGWIRTH Claudia Schumacher liest auf dem Literaturs­chiff aus ihrem Buch „Liebe ist gewaltig“.

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