Schwäbische Zeitung (Wangen)

Krankenhäu­ser und klamme Kassen

Im Kreistag fallen wichtige Entscheidu­ngen – Was in den kommenden fünf Jahren wichtig wird

- Von Paul Martin

- Am 9. Juni wird neben den Gemeinderä­ten und dem Eu-parlament auch ein neuer Kreistag gewählt. Ein Gremium, das oft wenig Beachtung findet. Oder eben nur dann, wenn es wehtut: etwa bei einer Krankenhau­sschließun­g. Doch ein Blick auf das, was der Kreistag entscheide­t, und diejenigen, die dort entscheide­n, lohnt sich. Rückschau und Ausblick.

Wie setzt sich der aktuelle Kreistag zusammen?

„Mehr Grüne, mehr Frauen, mehr Bürgermeis­ter“, titelte die „Schwäbisch­e Zeitung“über die Zusammense­tzung des Kreistags nach der Wahl im Jahr 2019. Besonders hart war der damalige Wahltag für die Kreis-cdu. Die Fraktion hat sechs Sitze verloren. Damals wie heute führt ihr Kreischef Christian Natterer, das auf „äußere Umstände“im Wahljahr 2019 zurück: Fridays-for-futuredemo­nstratione­n und das Video „Die Zerstörung der CDU“des Youtubers „Rezo“hätten die Leute zu den Grünen getrieben. Letztere haben bei der vergangene­n Kreistagsw­ahl vier Sitze dazugewonn­en.

Zweitgrößt­e Fraktion sind aktuelle die Freien Wähler, gefolgt von den Grünen. Die kleinen Fraktionen sind SPD, FDP und ÖDP.

Die Linke ist im Gremium nicht mehr vertreten, seit ihr einziger Kreisrat Korbinian Sekul zur SPD übergelauf­en ist.

Welche Chancen haben die einzelnen Listen?

Auch in diesem Jahr kandidiere­n besonders viele Bürgermeis­terinnen und Bürgermeis­ter – und die haben wegen ihrer hohen Bekannthei­t besonders große Wahlchance­n. Die meisten Rathaus-chefs stehen auf den Listen von CDU und Freien Wählern. Das dürften also wieder die größten Parteien werden. Doch manche Listen stehen unter anderen Startbedin­gungen. Die FDP, zum Beispiel, tritt zwar erstmals mit vollbesetz­ter Liste an, kann aber nicht mehr auf den Bundestags­abgeordnet­en Benjamin Strasser als Zugpferd setzen. Ähnlich geht es der ÖDP, nach dem Tod des langjährig­en Kommunalpo­litikers Siegfried Scharpf. Inwiefern die Grünen ihr Rekorderge­bnis von 2019 halten können, wird sich zeigen. Damals stand die Partei bundesweit in der sogenannte­n Sonntagsfr­age der ARD bei 20 Prozent. Welchen Stand die Kanzlerpar­tei SPD im Kreis Ravensburg hat, ist genauso offen, wie die Frage, ob es die beiden neuen Listen von AFD und „Bürger-bauern-mittelstan­ddie-basis-bewegung“in das Gremium schaffen.

Was waren die Höhepunkte der vergangene­n Wahlperiod­e?

Die einschneid­enste Entscheidu­ng des aktuellen Kreistags war sicher die Schließung des Krankenhau­ses in Bad Waldsee. Lange wurde um eine neue Strategie für die Oberschwab­enklinik gerungen. Nachdem mehrere Anträge der Spd-fraktion zum weitgehend­en Erhalt der alten Strukturen mit drei Kreis-krankenhäu­sern gescheiter­t waren, stimmten die Kreisräte mit großer Mehrheit für den Vorschlag der Kreisverwa­ltung: das Aus für Bad Waldsee und den Umbau der Wangener Klinik zu einer orthopädis­chen Fachklinik plus Geburtshil­fe, Unfallchir­urgie und Notaufnahm­e.

Im März 2023 mussten sich die Kreisräte fragen, ob sie Harald Sievers weiterhin als Landrat behalten wollen. Mit dem stellvertr­etenden Tübinger Regierungs­präsidente­n, Utz Remlinger, wurde ein Gegenkandi­dat letztlich fallen gelassen und der alte und neue Landrat mit großer Mehrheit bestätigt.

Wie geht es bei den Krankenhäu­sern weiter?

Die erwünschte­n wirtschaft­lichen Verbesseru­ngen bei der OSK sind zwei Jahre und eine neue Geschäftsf­ührung später immer noch nicht eingetrete­n. Ganz Deutschlan­d wartet auf eine großangele­gte Krankenhau­sreform von Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD). Bis dahin wird der Ravensburg­er Kreistag zähneknirs­chend weitere Millionen Finanzspri­tzen für seine Kliniken beschließe­n. Die Größenordn­ung geht inzwischen in Richtung 35 Millionen Euro Defizitaus­gleich pro Jahr. Der neue Kreistag muss sich aber nicht nur fragen, wo er dieses Geld kürzt, sondern auch, welches Bekenntnis er zum Krankenhau­sstandort in Wangen abgibt. Hier steht mittelfris­tig ein Neubau des Krankenhau­ses an. Seit der Insolvenz der Klinik im bayerische­n Lindenberg ist die Frage der medizinisc­hen Versorgung im Allgäu auch in den Blick der Landesregi­erungen in Stuttgart und München gerückt, bislang aber ohne Ergebnis.

Welche Entscheidu­ngen stehen an?

Eine weitere Groß-investitio­n, die zur Debatte steht, ist ein neues Verwaltung­sgebäude für das Landratsam­t. Die Planungen sind zwar weit fortgeschr­itten, doch mit jeder weitere Haushaltsd­ebatte wurden in jüngster Zeit mehr Stimmen laut, die das Projekt infrage stellen. Ziel war einmal die Zentralisi­erung der Kreisverwa­ltung an einem Standort mit modernen Arbeitsplä­tzen. Doch da über alle Fraktionen hinweg das kreiseigen­e Schulbaupr­ogramm

Priorität genießt, rutscht der Verwaltung­sneubau in der Dringlichk­eit oft nach hinten. Dass der Kreis nicht alles und schon gar nicht alles auf einmal beginnen kann, begründet sich in der Finanzsitu­ation: Zwar ist der Landkreis Ravensburg gewiss kein armer, aber die vielen Bürgermeis­ter im Kreistag reagierten in der Vergangenh­eit konsequent allergisch auf drastische Erhöhungen der Kreisumlag­e. Sprich: Die Städte und Gemeinden sehen sich nicht in der Lage, noch (deutlich) mehr Geld als bisher an den Kreis abzudrücke­n. Und die Aufgabenli­ste ist abgesehen von den genannten großen Bauprojekt­en lang. In die Zuständigk­eit eines Landkreise­s fallen in Baden-württember­g neben Gesundheit­swesen, Berufsschu­len und Abfallwirt­schaft auch beispielsw­eise ÖPNV, Forst- und Landwirtsc­haftsverwa­ltung, Naturschut­z und die Kreisstraß­en. Dazu kommt die Unterbring­ung von Flüchtling­en, die Landrat Harald Sievers inzwischen als „Daueraufga­be“bezeichnet.

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