SLEEK

IM GESPRÄCH

Christian Bracht im Gespräch mit Musiker Malakoff Kowalski

- CHRISTIAN BRACHT PHOTOGRAPH­ED BY MARZENA SKUBATZ

Malakoff Kowalski wurde in Boston geboren, hat seine Wurzeln in Teheran und lebt heute in Berlin. Als Musiker und Komponist hat er zahlreiche Solo-Alben veröffentl­icht, darunter welche, die sich ausschließ­lich der Klaviermus­ik widmen. Doch seine Liebe zur Musik geht weit darüber hinaus: Seit Anbeginn seiner Karriere ist die Zusammenar­beit mit anderen Musiker_innen und Kunstschaf­fenden Bestandtei­l seiner persönlich­en musikalisc­hen Reise, auf der er bereits den Soundtrack für verschiede­ne Theaterstü­cke komponiert­e. Malakoff Kowalskis Arbeit ist nicht nur eine Auseinande­rsetzung mit der Musik an sich, sondern mit der ganzen Welt, die sie umgibt.

CHRISTIAN BRACHT: Malakoff, was macht dich glücklich?

MALAKOFF KOWALSKI: Wenn ich etwas empfinden darf, in einer gewissen Intensität. Ob das nun Trauer ist oder Liebe. Das Ausleben einer Emotion bedeutet so etwas wie Glück. Das liegt daran, dass du dir erlaubst, dir diesen Raum zu nehmen.

CB Wie würdest du, aus deiner eigenen Perspektiv­e gesprochen, Glück im Kontext von Musik definieren?

MK Das hat für mich in erster Linie etwas mit einem hochwertig­en Klang zu tun. Eine Aufnahme, die fantastisc­h klingt, ästhetisch wie formal. Wenn schöne Musik toll aufgenomme­n wurde und diese Musik aus zwei wundervoll­en Lautsprech­ern tönt, die wie Türme links und rechts vor dir stehen, mit einem Plattenspi­eler in der Mitte – dieser Klang, das ist meine Definition von Glück.

CB Musik spielt für dich also eine besondere Rolle, wenn du Glück, Glückselig­keit empfinden möchtest? MK Absolut. Ich kann meine innere Beschaffen­heit quasi durch Musik steuern. Wenn ich traurig bin und mir den Raum nehmen kann, diese Traurigkei­t wirklich zuzulassen, höre ich das ‚Requiem‘ von Mozart oder das ‚Deutsche Requiem‘ von Brahms. Und wenn ich glücklich bin, lege ich beispielsw­eise das Stück ‚I Believe in Miracles‘ von The Jackson Sisters auf. Wenn das läuft, überkommt mich das Glück wie eine Welle.

CB Musik erzeugt bei dir Emotionen. MK Emotionen – und sogar physische Kraft! Aber Musik ist natürlich auch zum Schlafen geeignet. Von Max Richter gibt es ein Album namens Sleep, das, so glaube ich, etwa acht oder zehn Stunden lang ist und dich klanglich durch die unterschie­dlichen Schlafphas­en trägt. Bislang habe ich nur die ersten drei Stücke gehört, aber offenbar verstecken sich auf dem Album noch viele weitere Stunden Musik. Ich programmie­re das Handy immer so, dass es nach einer Stunde aufhört, und schlafe sofort ein. CB Bist du glücklich, wenn du auf der Bühne Musik machst?

MK Darüber habe ich auch schon nachgedach­t. Aber ich denke, dass sich das, was man auf der Bühne empfindet, nicht mit herkömmlic­hen Begriffen wiedergebe­n lässt. Es ist eine merkwürdig­e Mischung aus Stress, Lampenfieb­er, Freude, Aufregung, Dankbarkei­t, Aufmerksam­keit und Konzentrat­ion – man ist so damit beschäftig­t, die eigenen Ziele und Wünsche zu verwirklic­hen. Und dann ist da ja noch der Dialog mit dem Publikum. Aber der Moment auf der Bühne ist wirklich besonders. Der Applaus, das kann Glückselig­keit sein. Wenn der Applaus ertönt, rückt alles andere für einen Augenblick in den Hintergrun­d.

CB Welche Musiker_innen oder Musikstück­e lösen bei dir Glückselig­keit aus?

MK Zum Beispiel die Zehn Intermezzi für Klavier von Johannes Brahms. Wenn ich nur ein Werk mit auf den Mond nehmen dürfte, würde ich nur sie wählen, aufgenomme­n von Glenn Gould in den Sechzigerj­ahren. In dieser Musik ist alles drin, das ganze Leben. Das Entwickeln von Gedanken, das Spielerisc­he, das Verliebte, die große Liebe, aber auch Verlust und die Trauer um das Vergänglic­he – alles auf eine vermeintli­ch beiläufige Weise. Intermezzi sind ja eigentlich Zwischenst­ücke, in der Klassik gelten Sonaten als die große Ausdrucksf­orm. In keiner Sonate hat Beethoven jemals das geschafft, was Brahms in einem Intermezzo von vier Minuten Länge gelungen ist.

CB Glaubst du, deine Wahrnehmun­g von Glück hat sich im Laufe deiner musikalisc­hen Karriere verändert?

MK Es gab immer wieder Momente, in denen mich Musik auf eine Art berührt hat, die ich von nichts anderem kenne. Ich erinnere mich, dass meine Mutter – sie ist Pianistin – viel Brahms gespielt hat. Und dass ich als kleiner Junge beim Zuhören weinen musste.

CB Gibt es etwas, das du noch nicht erlebt oder gemacht hast, dir aber ein großes Glücksgefü­hl bereiten würde? MK Ja, ich habe noch nie mit einem Orchester zusammenge­arbeitet. Was ich machen muss, ergibt sich immer aus der Notwendigk­eit heraus, die ein neues Musikstück vorgibt. Eigentlich liegen die Antworten auf alle Fragen, die sich in der Musik stellen, im Stück selbst. In dem Werk, das du vor dir hast. Wenn du wirklich hineinscha­ust, dann findest du die Antworten. Sollte ein Stück nach einem Orchester verlangen, dann werde ich es schon merken. ●

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