Karneval auf Sizilien
Die Kochbuchautorin, Fotografin und Künstlerin Cettina Vicenzino hat ihre liebsten Gerichte zusammengestellt und weiß dazu auch noch eine passende Geschichte zu erzählen
ls meine Familie Anfang der 1970er-Jahre nach Deutschland zog, war unsere neue Heimat die Karnevalshochburg Köln. Karneval kannten meine Eltern zwar, aber nicht so! Ich war neugierig zu erfahren, wie damals
Carnevale in Sicilia in unserem Dorf in Militello war. Ich habe meine Mutter gefragt, und ihre Erinnerungen fangen mit dem Karnevalsdonnerstag, „u joviri di cumari“, an. Sie erzählte mir den Ursprung dieser Karnevalstradition, die, wie kann es anders sein, mit den hungernden Bauern beginnt, weil es mal wieder nichts zu essen gab. Wie immer wieder in ganz Süditalien. Die hungernden Bauern verkleideten sich, gingen zu den Häusern der Reichen, erschraken sie zu Tode, bis diese ihre Häuser verließen, und dann drangen die Bauern in deren Häuser ein, „e facevano una grande abbuffata“, schlugen sich die Bäuche voll und feierten ein großes Fest. Daraus wurde Karneval. Zumindest wurde dieser Ursprung meiner Mutter so erzählt und gilt für den „mezzogiorno“, dem armen Italien.
Aus diesem Grund wird auch zu Karneval viel und gut aufgetischt. Der Donnerstag, „u joviri di cumari“, fing damit an, dass die Frau sich den restlichen Tag freinahm, nachdem sie Mann und Kind versorgt hatte. Vorher aber wurde viel und gut gegessen mit reichlich gutem Wein. So viel Wein, dass die Männer einschliefen, die Frauen sich dann beklagen konnten, weil die Männer zu viel getrunken hatten und sie allein gelassen hatten, und so einen Anlass hatten, aus dem Haus zu gehen – allein, ohne Mann. Und so traf
man sich mit den anderen Frauen, den „cumari“(Patentanten) und den „vicini“(Nachbarn) für eine „cumarella“.
Sie nahmen sich die Freiheit, sich durch das Dorf frei und verkleidet zu bewegen, ohne Männer und nicht betrunken – das taten ja nur die Frauen aus dem Norden. In den Häusern, in denen man dann Musik hörte, war man willkommen. Die Musik war ein Zeichen, ein Lockmittel für Fremde, für Verkleidete. Die Türen standen offen, die Musik war laut, und man ging ins Haus und tanzte in diesen fremden Häusern. Man fragte vorher: „Dürfen wir tanzen?“Ja war dann die Antwort des Spiels, aber vorher musste einer aus der Gruppe der Maskierten seine Maske absetzen, sich zu erkennen geben. Es wurde ein Tanz getanzt, immer zwei Frauen zusammen, man erkannte jedoch kein Geschlecht unter der Verkleidung, die entweder beim Kostümhändler ausgeliehen oder selbst genäht war. Die Hausbesitzer boten den fremden Tanzenden am Ende ihres Tanzes dann „dolci“(Süßes) und „liquore“(Likör) an. Und dann verabschiedete man sich. Raus aus einem fremden Haus ins nächste, zum nächsten Tanz („ballare di casa in casa“). Und bevor es dunkel wurde, ging man – erschöpfter als die betrunkenen Männer – nach Hause.
Die Männer, dann eifersüchtig – gespielte Eifersucht, weil alles nur ein Spiel war –, als sie bemerkten, dass ihre Frauen ohne sie Spaß hatten, entschieden, ihre Frauen am Abend noch einmal auszuführen. Nun aber mit ihnen. Das war früher so. Da war meine Mutter Maria 17 Jahre alt und schon verheiratet. Mit der Zeit ist diese Tradition verschwunden und stattdessen gibt es jetzt die „carri allegorici“, die fröhlichen Festwagen, und Tanz auf der Piazza. Die Piazza ist dann voller bunter Papierkonfettis und Luftschlangen, so voll, dass man kaum noch laufen kann.