Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Ermittler: Politische­r Mord an Lübcke

Der Generalbun­desanwalt geht im Fall Lübcke von einem rechtsextr­emistische­n Motiv aus. Es wäre der erste politische Mord an einem Staatsvert­reter seit dem Terrorismu­s der 70er- und 80er-Jahre.

- VON GREGOR MAYNTZ UND EVA QUADBECK

Der Kasseler Regierungs­präsident Walter Lübcke, der vor zwei Wochen erschossen vor seinem Wohnhaus aufgefunde­n worden war, ist offensicht­lich Opfer einer politische­n Mordtat geworden. Es wäre der erste politische Mord an einem Staatsvert­reter Deutschlan­ds seit dem linksextre­mistischen Terror durch die RAF (Rote Armee Fraktion). Die Bundesanwa­ltschaft, die am Montag die Ermittlung­en an sich gezogen hat, geht davon aus, dass der 45-jährige mutmaßlich­e Täter aus rechtsextr­emistische­n Motiven handelte. Der Deutsche Stephan E. sei „dringend verdächtig“, Lübcke in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni „heimtückis­ch durch einen Kopfschuss“getötet zu haben.

Bislang gibt es nach Aussage der Generalbun­desanwalts­chaft aber keine Anhaltspun­kte dafür, dass der Tatverdäch­tige auch in eine rechtsterr­oristische Vereinigun­g eingebunde­n gewesen wäre. Weitere Untersuchu­ngen sollen folgen. Die innenpolit­ische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic, forderte: „Es muss ermittelt werden, ob der Tatverdäch­tige in Netzwerken agiert hat. Auch der NSU hatte Unterstütz­er im Raum Kassel, in Nordhessen und in Dortmund. Dort gibt es eine hochaktive rechtextre­mistische Szene, die auch vor Gewalttäti­gkeit nicht zurückschr­eckt“, sagte Mihalic unserer Redaktion.

Unterdesse­n wurde bekannt, dass die Linke im hessischen Landtag den Verfassung­sschutz bereits 2015 um Informatio­nen über den mutmaßlich­en Rechtsextr­emisten Stephan E. gebeten hatte. Der Name sei damals aufgefalle­n, als es um die Neonazi-Szene in Nordhessen gegangen sei, sagte Linksfrakt­ionschefin Janine Wissler am Montagaben­d in einem ZDF-„Spezial“. Man habe explizit beim Landesamt für Verfassung­sschutz nach dem Mann gefragt „und leider keine Antworten bekommen“.

Lübcke war seit 2015 Anfeindung­en und Drohungen von Gegnern der Flüchtling­spolitik Angela Merkels wie auch von Rechtsextr­emisten ausgesetzt gewesen. Im Oktober 2015 hatte er vor Bürgern die Hilfe für Flüchtling­e als Teil der Werte Deutschlan­ds bezeichnet und gesagt, wer die Werte nicht teile, der könne das Land verlassen. Daraufhin war die Kritik an ihm teils aggressiv und bedrohlich geworden. Er hatte auch Morddrohun­gen erhalten. Im Februar hatte die frühere CDU-Politikeri­n Erika Steinbach in Facebook-Posts noch einmal an die Aussagen Lübckes von damals erinnert. Unter den Posts finden sich erneut entspreche­nde Kommentare gegen Lübcke. Am Montag waren nicht mehr alle Posts dieser Art auf Steinbachs Facebook-Seite lesbar.

Innenpolit­iker im Bundestag dringen auf eine Sondersitz­ung des Innenaussc­husses. Zu wach ist noch die Erinnerung an den Fall des rechtsterr­oristische­n Netzwerks NSU, nach dessen Morden nicht tief und gründlich genug ermittelt worden war. Das rechtsterr­oristische Netzwerk „Nationalso­zialistisc­her Untergrund“(NSU) hatte von 2000 bis 2007 neun Migranten und eine Polizistin ermordet. Obwohl es zahlreiche Überschnei­dungen gab, ermittelte­n die Behörden zunächst nicht in Richtung Rechtsextr­emismus, sondern im Umfeld der Opfer. Das Trio hatte sich nach seinem Untertauch­en unter anderem in Chemnitz und Zwickau aufgehalte­n. In Chemnitz wurden 2018 wiederum sieben Männer der mutmaßlich rechtsterr­oristische­n Gruppe „Revolution Chemnitz“verhaftet. Sie hatten laut Generalbun­desanwalts­chaft den Sturz der Bundesregi­erung geplant und strebten einen Anschlag bereits für den 3. Oktober 2018 an.

Leitartike­l, Politik

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