Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Schwarzes Gold gegen Rheuma
Seit fast 200 Jahren wird Moor vor allem in der Rheuma-Therapie eingesetzt, weil es die Selbstheilung anregt.
Matthias hat Schulter. Der gebürtige Ostdeutsche mit Wohnsitz in Bayern hat große Hoffnung, dass seine Beschwerden bald der Vergangenheit angehören. Dafür hat er sich ins 42 Grad warme Moorbad gelegt und ist dabei von Kopf bis Fuß von einer pechschwarzen, breiigen Flüssigkeit eingehüllt. Das erste Bad ist noch etwas ungewohnt, aber im Laufe der Kur in Bad Aibling soll Matthias noch häufiger in dieser Wanne aus Edelstahl liegen. „Drei bis vier Bäder pro Woche werden empfohlen”, sagt der Internist und Rheumatologe Christian Tomiak von der Wendelstein-Klinik in Bayerns ältestem Moorheilbad. Bei einer Reha-Dauer von drei Wochen sei dann schon eine eindeutige Besserung der Beschwerden zu erkennen.
Matthias ist nicht der einzige, der hier in der Wanne liegt. 40 bis 50 Wannen werden pro Tag zwischen 6.30 und 12 Uhr eingelassen. Immer mit einer großen Ladung an pechschwarzem Brei, der nur aus Moor und Wasser besteht. Aus einem Kubikmeter Moor werden drei Kubikmeter Schlamm, in den die Patienten gelegt werden. Zwölf bis maximal 20 Minuten sollen sie in der Wanne bleiben, danach ist Ruhe angesagt. Tomiak erklärt das Procedere: „Das Moor ist 42 Grad heiß, das heißt, dass der Körper sich als Reaktion darauf erwärmt und mit Heilfieber reagiert.” Der Patient spürt das als erhöhte Temperatur.
Hauptindikation des Moores: muskuläre Rückenschmerzen. Egal, woher sie kommen. „Auch Stress kann die Muskeln verspannen”, so Tomiak. Vor allem bei Rheuma habe sich die Moor-Therapie bewährt, aber auch bei Hautproblemen wie Neurodermitis und Psoriasis. Tomiak: „Moor schafft ein saures Umfeld, das ist sehr gut für die Haut.“Für die Patienten mit Haut-Problemen werde nicht immer ein Wannenbad eingelassen, sondern Moor auch als Packung verwendet.
Die Moorladungen aus dem Abbaugebiet im benachbarten Bad Feilnbach werden mit Lkw transportiert, dann mit dem eigens gekauften Klinik-Bagger in Kessel und Trichter geladen, gereinigt und mit Wasser versetzt, bevor sie über eigene Leitungen direkt in die Wannen fließen. Auch die Wannen sind etwas Besonderes, erklärt Birgit Dänner, Leiterin der Bäderabteilung der Klinik: „Sie stammen aus den 60er Jahren, sind also mehr als 55 Jahre alt – für uns aber die besten, weil sie pflegeleicht und groß sind, so dass auch übergewichtige Patienten bei uns baden können.”
Sie und ihre 14 Kollegen gucken regelmäßig nach allen Patienten, die in den Wannen liegen und tupfen auch schon mal den Schweiß von der Stirn. Aber sonst müssen sie eigentlich nichts tun, weil es den Patienten in der Wanne offenbar einfach nur gut geht. Tomiak: „Man schwebt ja regelrecht in dem Wannenbad und berührt mit dem Popo niemals den Wannenboden.” Und weil sich in dem Bad die Muskeln total entspannen, werden Moorbäder auch bei Burn-out angewendet. „Da kann das Gehirn dann mal totale Pause machen”, so der Internist. Oft reiche bei Burn-out-Patienten schon ein einziges Bad, um diesen Effekt zu erreichen.
Von lang anhaltenden Erfolgen würden aber auch Patienten berichten, die unter Morbus Bechterew leiden, also einer chronisch entzündlich rheumatischen Erkrankung, bei der sich die Gelenke versteifen. Ein Patient käme seit Jahren regelmäßig nach Bad Aibling, um sich einmal im Jahr als Kur in die Moorbäder zu legen. „Er verlässt dann immer schmerzfrei die Klinik und muss mindestens ein halbes Jahr keine Medikamente nehmen”, so Kurdirektor Thomas Jahn.
Und noch eine Indikation steht in den Geschichtsbüchern des Heilbades: der Kinderwunsch. Auch bei Frauen, die sich sehnlichst ein Kind wünschen, seien schon vor Jahrzehnten mit Moor behandelt worden. Kurdirektor Thomas Jahn erzählt eine Geschichte von einem früheren Frauenarzt: „Von 21 behandelten Frauen wurden 17 nach der Therapie schwanger – allein durch die Behandlung mit Moor.” Christian Tomiak erklärt das mit der gestiegenen Durchblutung des ganzen Körpers. „Die Blutzirkulation und der Stoffwechsel werden durch die Moorbäder angeregt”, sagt der Arzt.
Und wer sich nicht komplett ins Bad mit dem „schwarzen Gold” legen will – Herzprobleme, Blutdruck, offene Wunden oder Platzangst gelten als Kontra-Indikationen – kann sich auch einfach nur eine kleine Plastikwanne mit einem schwarzen Brei nehmen und darin mit den Händen kneten. Fühlt sich an wie ein Brotteig, riecht nur anders. Nach torfiger Erde, verwesten Pflanzen und irgendwie nach Eiszeit. Das gleiche gilt übrigens für Raps: Viele Patienten mit Arthose in den Fingergelenken sitzen in der Klinik mit kleinen Wannen vor sich und kneten Rapssamen, die Linolensäure enthalten und die Schmerzen lindern sollen.
Desiderius Beck gilt als Begründer der Moor-Therapie in Bad Aibling. Er kam 1838 auf die Idee, das Moor, das in der Region entstanden ist, als therapeutisches Mittel anzuwenden. 1845 wurde dann das Ludwigsbad als „Schlamm-Badeanstalt” eröffnet. Dieses 175-jährige Bestehen als Moor-Heilbad soll im nächsten Jahr gefeiert werden.
In Aibling gibt es 15 Hektar Moor-Gebiet, die seit der Eiszeit entstanden sind. 3500 Kubikmeter werden pro Jahr abgebaut. Das gebrauchte Moor wird wieder zurück in die Landschaft gekippt, das Wasser wird abgeleitet, so dass sich die Landschaft renaturieren kann.
Aus diesen Renaturierungsflächen wird danach nie mehr Moor abgestochen, so dass sich in aller Ruhe eine große Pflanzen- und Tierwelt entwickeln kann. Schwarzstörche, Baumfalken, Rauchschwalben, Graureiher und der Schwarzmilan haben sich in der „Sterntaler Filze”, dem Moorgebiet in Feilnbach, niedergelassen und bilden ein wunderschönes Naturschauspiel, das übers ganze Jahr viele Hobbyfotografen und Spaziergänger anlockt.