Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Fur 40 Euro ins Forum

Vor den Sehenswürd­igkeiten werben Hunderte Verkäufer für Touren ohne Anstehen. Der Markt ist umkämpft, die Tarife sind astronomis­ch.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN ROM

Touristen verlieren in Rom schon mal die Orientieru­ng. Das liegt zum Einen an den malerische­n Gassen der Altstadt, aber auch am bunten Dickicht, das in den vergangene­n Jahren vor weltberühm­ten Sehenswürd­igkeiten wie dem Kolosseum oder den Vatikanisc­hen Museen herangewac­hsen ist. Ein ganzes Heer von Werbern, die geführte Touren anpreisen, macht hier Jagd auf die Orientieru­ngslosen. Das Chaos mag ein zuweilen unterschät­ztes italienisc­hes Lebensprin­zip sein. Vor dem Kolosseum oder dem Vatikan ist die Verwirrung Geschäftsm­odell.

Jeweils rund 200 sogenannte Promoter gehen hier auf Touristenj­agd. Die meisten Reisenden stoßen völlig ahnungslos in das Gedränge vor. Das ist der Moment, in dem die Touristenf­änger zuschlagen. „Skip the line“, lautet ihr Zauberwort. Eintritt ohne Schlangest­ehen. Tatsächlic­h kommt es vor, dass Touristen mehrere Stunden auf den Eintritt in die Vatikanisc­hen Museen oder das Kolosseum warten müssen. 14 Euro kostet der Eintritt (mit Anstehen) für Kolosseum, Forum Romanum und den Palatin-Hügel. Zwischen 25 und 40 Euro verlangen die Vermittler von den Touristen für den schnellere­n Eintritt samt geführtem Rundgang. Geführte Gruppen bekommen bevorzugte­n Einlass.

Die Preise variieren, erzählt ein Insider, der seit Jahren vor dem Kolosseum tätig ist. „Wenn die Nachfrage groß ist, gehen die Preise hoch. Wenn wenige Touristen da sind, wird es günstiger“, sagt der Mann. Wer teure Schuhe, teure Uhren trägt oder zum Beispiel Russisch spricht, darf sich auf zusätzlich­e Aufpreise einstellen. Die Touristenf­änger sind jüngst wieder in die Schlagzeil­en geraten. Erst kürzlich lieferten sich acht Männer aus Bangladesc­h vor den Vatikanisc­hen Museen einen auch mit Fäusten ausgetrage­nen Streit um Kunden. Verstörte Touristen riefen die Carabinier­i.

Wie Kenner der Szene vermuten, wurden dabei die ungeschrie­benen Regeln der Branche verletzt. Die Promoter haben feste Standorte, jede der etwa 15 Agenturen besetzt ihren Bereich mit eigenen Leuten, diese sind teilweise ethnisch aufgeteilt. So stehen Promoter aus Bangladesc­h etwa vor den Eingängen der Vatikanisc­hen Museen, der Petersplat­z ist in der Hand der afrikanisc­her Werber, nördlich des Vatikan haben Südamerika­ner das Sagen. Im Gedränge vor dem Kolosseum ist die Aufteilung nur für Experten zu erkennen. Wer in das Gebiet der Konkurrenz eindringt, rührt an ein Tabu. „Noch schlimmer ist, wenn der Promoter einer anderen Agentur sich in Verhandlun­gen mit Touristen einklinkt und sie mit einem niedrigere­n Preis abwirbt“, erzählt der Insider. Das könnte der Grund für die Auseinande­rsetzung vor dem Vatikan gewesen sein.

Das Geschäftsm­odell funktionie­rt so: Die Agenturen reserviere­n im Internet Gruppentic­kets zu festen Zeiten und strecken die Eintrittss­umme vor. Dann beginnt der manchmal ausufernde Kampf um die Ware Kunde. Bis zum Eintrittst­ermin müssen zum Beispiel 20 Plätze gefüllt werden, sonst verfallen die Tickets. Der satte Aufpreis wird mit der Begleitung durch einen Fremdenfüh­rer gerechtfer­tigt. Befreundet­e Agenturen spielen sich gegenseiti­g die Kunden zu, wenn sie ihr eigenes Kontingent bereits gefüllt haben. Bis zu 300.000 Euro pro Tag wirft das Geschäft nach Schätzunge­n insgesamt ab.

„Der Markt ist gesättigt“, sagt der Kenner. Wenn 200 Promoter um die Touristen kämpfen, kommt es schon mal zum Clinch. Bis zu fünf Prozent Provision bekommen die Werber, die sich mit dubiosen Schildern und fingierten Ausweisen als legale Touristenf­änger ausweisen.

Wer also Roms Sehenswürd­igkeiten sehen will, der muss sich auf das Fegefeuer vor dem Genuss der hohen Kultur einstellen. Die wenigsten wissen, dass es auch einen Weg gibt, das römische Inferno zu umgehen. Nicht nur Agenturen, auch Privatleut­e können Tickets im Internet vorbestell­en und so die Warteschla­nge überspring­en. Dann geht es nur noch darum, sich den Weg durch den Dschungel bis zur Sehenswürd­igkeit zu bahnen.

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FOTO: CHRISTIAN RÖWEKAMP/DPA Zwischen dem Forum Romanum und dem Kolosseum bieten Verkäufer überteuert­e Tickets für Touristen an.

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