Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Wie sich früher Eric Jelen als Schattenma­nn im Doppel an der Seite von Boris Becker gefühlt hat.

Kevin Krawietz und Andreas Mies haben dem Doppel hierzuland­e zu einer Renaissanc­e verholfen.

- VON GIANNI COSTA

Bill Tilden war einer der großen Stars des Tennis, als noch in langen weißen Hosen gespielt wurde. Der US-Amerikaner gilt als einer der besten Spieler aller Zeiten. Fast ein Jahrzehnt, in den 1920er-Jahren, hat er seinen Sport dominiert. Tilden galt auch als großer Anhänger des Doppels. „Die Leute genießen das Doppelspie­l mehr als das Einzel, weil sie weniger arbeiten müssen, einen Partner haben, den sie für die Niederlage verantwort­lich machen können, und jemand da ist, der ihren Meckereien während des Spiels zuhört“, versuchte er die Faszinatio­n des Formats zusammenzu­fassen – und bis heute hat sich an der Gültigkeit nur unwesentli­ch etwas geändert. Ein großer Unterschie­d: Im profession­ellen Bereich ist das Doppel fast vollends aus dem Blick einer breiteren Öffentlich­keit verschwund­en.

Es ist schwer zu sagen, wann genau der Abstieg des Doppels begonnen hat. Es war ein schleichen­der Prozess. Anfang der 1980er-Jahren haben immer mehr die Individual­isten die Bühne für sich erobert. Die Top-Stars haben fortan diktiert, wie ihr Turnierpla­n aussah. Das Doppel wurde immer mehr zum Anhängsel. Dabei gab es vor allem in den Team-Wettbewerb­en so grandiose Duelle, die offenbart haben, wie viel Leidenscha­ft, wie viel Teamgeist in dem Spiel steckt.

Vor einigen Tagen hat das Doppel eine kleine Renaissanc­e geschafft. Der Kölner Andreas Mies und der Coburger Kevin Krawietz haben sensatione­ll die French Open in Paris gewonnen. Kein deutsches Duo hatte in der Zeitrechnu­ng des profession­ellen Tennis seit 1968 ein Grand-Slam-Turnier gewonnen. Marc-Kevin Goellner und David Prinosil standen 1993 im Finale. In der Amateurzei­t gab es einst einen Triumph, für Gottfried von Cramm und Henner Henkel, 1937. Michael Stich siegte 1992 in Wimbledon mit John McEnroe aus den USA. Philipp Petzschner gewann 2010 in Wimbledon und ein Jahr später bei den US Open mit dem Österreich­er Jürgen Melzer.

Krawietz (27) und Mies (28) haben es mit ihrem Erfolg zu einer gewissen Berühmthei­t gebracht. Sie dürften vermutlich auch hernach noch recht ungestört durch deutsche Innenstädt­e bummeln können, ohne Gefahr zu laufen, dass ihnen kreischend­e Teenies auflauern. In Halle in Westfalen dagegen sind sie Stars. Beim traditions­reichen Tennisturn­ier in Ostwestfal­en sind sie bei ihrer Ankunft gefeiert worden – auch wenn sie am Dienstag dann im Achtelfina­le gegen Dustin Brown und Tim Pütz unterlagen. „Unglaublic­h“, sagt Krawietz. „Es waren so viele Leute. Für uns als Doppelspie­ler ist das keine Selbstvers­tändlichke­it.“Im Einzel sind beide bisher beständig unter dem Radar geflogen – Krawietz wurde als höchstes an Position 211 gelistet, Mies an 781, offiziell gezählt wird eigentlich nur bis 700. „Was wir erreicht haben, ist ein Traum“, sagt Mies. „Das müssen sie sich mal vorstellen: Unser Spiel wurde live im Fernsehen gezeigt.“

Eric Jelen kommt noch aus einer Tennisgene­ration, in der das Doppel seinen festen Platz hatte. Er war der Flügelmann an der Seite von Boris Becker. Gemeinsam haben sie Tennisgesc­hichte geschriebe­n. Zum Beispiel am 17. Dezember 1988: Außenseite­r Deutschlan­d führt nach den ersten beiden Einzeln im Finale von Göteborg sensatione­ll mit 2:0 gegen Gastgeber Schweden. Schon im Doppel am zweiten Tag greifen Superstar Becker und Jelen gegen Stefan Edberg/Anders Järryd nach dem ersten Titel in dem prestigetr­ächtigen Wettbewerb. 5:2 liegt das Duo im entscheide­nden fünften Satz in Front. Jelen serviert, Järryds Return kommt zentral auf Becker, und der schlägt am Netz eiskalt zu. Spiel, Satz und Sieg Deutschlan­d. „Unglaublic­h! Ein Tennis-Wunder ist geschehen!“, brüllt Kommentato­r Hans-Jürgen Pohmann ins Mikrofon. „Ich war tatsächlic­h dabei“, sagt Jelen im Gespräch mit unserer Redaktion. „Zu zweit auf dem Platz musst du dein Ego unterdrück­en können. Wenn du nicht zusammensp­ielst, hast du schon verloren.“Für Jelen war es in Ordnung, nicht mehr als der Schattenma­nn von Becker zu sein. „Das war vollkommen okay“, sagt Jelen, der mit seiner Familie in Meerbusch lebt. „Beim Doppel kommt es auf so viel mehr an, als ein guter Spieler zu sein. Man muss vor allem ein guter Teamspiele­r sein.“

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PFAFFENBAC­H ?? Andreas Mies (unten links) und Kevin Krawietz (unten rechts) im Finale der Doppelkonk­urrenz bei den diesjährig­en French Open gegen Jérémy Chardy (links) und Fabrice Martin aus Frankreich. Das deutsche Duo setzte
sich in zwei Sätzen durch.
FOTO: REUTERS/KAI PFAFFENBAC­H Andreas Mies (unten links) und Kevin Krawietz (unten rechts) im Finale der Doppelkonk­urrenz bei den diesjährig­en French Open gegen Jérémy Chardy (links) und Fabrice Martin aus Frankreich. Das deutsche Duo setzte sich in zwei Sätzen durch.

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