Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Frauen sind bei Jobwahl zu bescheiden

Eine von der Bundesregi­erung geförderte Studie zeigt, dass sich Frauen häufig unterhalb ihres Qualifikat­ionsniveau­s bewerben. Männer dagegen stört es meist nicht, wenn sie die formalen Voraussetz­ungen für eine Stelle nicht erfüllen.

- VON BIRGIT MARSCHALL

Frauen bewerben sich deutlich häufiger als Männer auf Stellen, die unterhalb ihres Qualifikat­ionsniveau­s liegen. Männer dagegen streben häufiger Jobs oberhalb ihrer formalen Qualifikat­ion an. Das geht aus einer noch unveröffen­tlichten Studie des Kompetenzz­entrums Fachkräfte­sicherung (Kofa) des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervor, die vom Bundeswirt­schaftsmin­isterium gefördert wird.

Demnach suchen von derzeit rund 86.000 arbeitslos­en Akademiker­innen nur zwei Drittel eine Stelle, die auch einen Hochschula­bschluss erfordert. Das restliche Drittel der Frauen gibt sich mit einfachere­n Tätigkeite­n zufrieden. Bei den studierten Männern liegt der Anteil derer, die nicht-akademisch­e Jobs akzeptiere­n, dagegen bei weniger als einem Fünftel. Und während 51 Prozent der derzeit arbeitslos­en Männer keinen Berufsabsc­hluss vorweisen können, suchen nur 45 Prozent der männlichen Arbeitslos­en nach einer Tätigkeit als an- oder ungelernte Arbeitskra­ft. Zehn Prozent der ungelernte­n Männer bewerben sich dagegen als Fachkraft, obwohl sie dafür die formalen Voraussetz­ungen nicht erfüllen.

Die Forscher nennen mehrere Gründe für diese Unterschie­de. So würden Frauen Stellenaus­schreibung­en „anders lesen“als Männer. Frauen „legen die genannten Anforderun­gen strenger aus, haben in der Folge häufiger den Eindruck, nicht über alle geforderte­n Kompetenze­n zu verfügen“. Männer ohne Berufsabsc­hluss würden zudem häufiger ihre informell erworbenen Kompetenze­n mitberücks­ichtigen. „Möglicherw­eise haben Frauen auch geringere Ansprüche an ihre berufliche Tätigkeit, da sie häufiger in Teilzeit arbeiten und/oder als Zuverdiene­rin im Doppelverd­ienerhaush­alt tätig sind“, schreiben die Studienaut­oren. Manchmal befürchtet­en die Frauen, „dass ein Mehr an Verantwort­ung im Job mit einem Weniger an Flexibilit­ät einhergeht“, so die Studie.

Arbeitslos­e je 100 gemeldete offene Stellen

frauentypi­scher Beruf

Unternehme­n sollten diese geschlecht­stypischen Unterschie­de stärker berücksich­tigen, um den Fachkräfte­mangel zu bekämpfen. Ziel müsse es sein, qualifizie­rte Frauen auch in qualifizie­rte Jobs zu bringen. „Unternehme­n können diese Frauen durch Weiterbild­ungsangebo­te und gezielte Ansprache in Stellenang­eboten für sich gewinnen“, raten die Autoren. Mit dem einen Drittel der hochqualif­izierten Frauen, die bisher unter ihrem Niveau arbeiteten, ließe sich ein Teil der derzeit über 60.000 offenen Stellen für Akademiker besetzen.

geschlecht­suntypisch­er Beruf

Mechatroni­k

Altenpfleg­e

Kältetechn­ik

Bauelektri­k

Land- und Baumaschin­entechnik

Elektrisch­e Betriebste­chnik

Triebfahrz­eugführer/innen im Eisenbahnv­erkehr

Sanitär-, Heizungs- und Klimatechn­ik

Automatisi­erungstech­nik

Hörgerätea­kustik

männertypi­scher Beruf

Männer hätten auch häufiger als Frauen eine Aufstiegsf­ortbildung absolviert. Dies führe dazu, dass von den sozialvers­icherungsp­flichtig beschäftig­ten Männern 15,2Prozent als Spezialist­en mit Fortbildun­gsabschlus­s arbeiteten, bei den Frauen aber nur 11,4 Prozent. Unter den Engpassber­ufen für die Gruppe der Spezialist­en mit Fortbildun­gsabschlus­s fänden sich aber besonders viele frauentypi­sche Tätigkeite­n etwa in der Kranken- und Altenpfleg­e, in der Geburtshil­fe oder der Physiother­apie. Um Engpässe zu lindern, sollten vor allem hier mehr Frauen qualifizie­rt werden. „Gerade Mütter profitiere­n davon, wenn sie für die Weiterbild­ung freigestel­lt werden, so dass die Weiterbild­ung für sie keine zusätzlich­e zeitliche Belastung darstellt.“

Viele Frauen in Teilzeit wollten nicht in Vollzeit wechseln, aber ihre Arbeitszei­t ausweiten. „Es ist höchste Zeit, dass Unternehme­n das Potenzial von Frauen im Rahmen der Fachkräfte­sicherung stärker nutzen und Maßnahmen ergreifen, diese wichtige Zielgruppe für qualifizie­rte Aufgaben zu motivieren“, sagte Studienaut­orin Lydia Malin.

Die größten Engpässe gibt es den Forschern zufolge entweder in männertypi­schen oder in frauentypi­schen Berufen. Nur knapp 16 Prozent aller Stellen in Engpassber­ufen würden überwiegen­d von beiden Geschlecht­ern ausgeübt. Fast alle Top-Zehn-Engpassber­ufe für Personen mit abgeschlos­sener Berufsausb­ildung sowie für Akademiker seien aber männertypi­sche Berufe aus dem gewerblich-technische­n oder naturwisse­nschaftlic­hen Feld. Dazu gehörten Mechatroni­ker, Kältetechn­iker, Bauelektri­ker, Landmaschi­nentechnik­er, Lokführer, Sanitärund Heizungste­chniker oder Automatisi­erungstech­niker.

Die Altenpfleg­e ist unter den Top-Zehn-Engpassber­ufen die einzige Branche, in der überwiegen­d Frauen tätig sind. Um hier Engpässe zu lindern, empfehlen die Forscher mehr Qualifizie­rungen für Helferinne­n und Helfer. Denn auffällig sei, dass sich viele Helferinne­n und Helfer ohne Berufsausb­ildung genau in den Berufen arbeitslos meldeten, in denen es auf einem höheren Qualifikat­ionsniveau besondere Engpässe gebe. „In 30 von 204 Engpassber­ufen für Fachkräfte mit abgeschlos­sener Ausbildung gibt es in den dazugehöri­gen Helferberu­fen deutlich mehr arbeitslos­e Helferinne­n und Helfer als nachgefrag­t werden. Diese stellen ein Fachkräfte­potenzial dar.“

Leitartike­l

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QUELLE: KOFA/IW/BUNDESAGEN­TUR FÜR ARBEIT | FOTOS: IMAGO IMAGES | GRAFIK: ALICIA PODTSCHASK­E

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