Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Als der Wagen nicht kam

- von Manfred Lütz und Paulus van Husen

Bei der Mitarbeit der Jesuiten repräsenti­erte Pater Rösch Herz, Seele und Willen zum Handeln, P. Delp das theologisc­he und soziologis­che Denken. Letzteren, der eine Vorortpfar­rei von München verwaltete, habe ich nur ein Mal gesehen. Sein Bild ist inzwischen allgemein bekannt geworden. Pater Rösch war äußerlich und innerlich das Gegenteil des Jesuiten, den Wilhelm Busch und der Kulturkamp­f geprägt hatten. Eine strahlende Gottes- und Nächstenli­ebe leuchtete aus seinem guten blauen Auge und stilles Frommsein stand in jedem Raum, den er betrat. Dadurch wirkte er überzeugen­der als mit seinem klugen, eines Jesuiten durchaus würdigen Kopf. Er gehört zu den ganz wenigen Geistliche­n, die sich handelnd an Plänen gegen das Dritte Reich beteiligt haben, und ohne ihn und Pater Delp hätten diese Pläne kaum Gestalt gewonnen. Pater Rösch litt unter der Verantwort­ung, die er mit seiner Beteiligun­g übernahm, umso mehr, weil er die Gefahr für die Kirche und den Orden erkannte, die aus einem Bekanntwer­den seiner Beteiligun­g erstehen konnte, zumal dem Jesuitenor­den so häufig eine Einmischun­g in politische Dinge vorgeworfe­n wird. Wenn er trotzdem mithalf, so tat er es, weil es ein Kampf gegen die Mächte der Finsternis war, zu dem er sich im Gewissen verpflicht­et fühlte. Er war aber ängstlich bedacht, den Kreis der mitwissend­en Ordensleut­e nicht auszudehne­n. Die Berliner Jesuiten hielt er strikt aus der Sache heraus. Sie durften nichts davon erfahren, wenn er oder einer der andern Patres nach Berlin kam, die dann auch nicht im Canisiusha­us, sondern bei einem der Freunde oder bei den Dominikane­rn

in St. Paulus wohnten. Obschon ich mit einigen der Berliner Jesuiten gut befreundet war, habe ich nie gemerkt, dass sie etwas von dem Tun der Münchener Confratres geahnt hätten. Sie waren wohl auch zu weltklug für riskante Dinge.

Von Plänen für Stellenbes­etzungen haben wir uns absolut ferngehalt­en, mit Ausnahme der Auswahl der Landesverw­eser, die wir bei der stark föderalen Planung für bedeutungs­voller zur Durchsetzu­ng unserer Ziele hielten als die Reichsorga­ne, die bei der Turbulenz der Verhältnis­se sicher baldigem personalen Wechsel unterliege­n würden.

Über die Pläne der Wehrmacht zur Beseitigun­g Hitlers ist in unserm Freundeskr­eis nie konkret diskutiert worden. Wir wussten allmählich – von wann ab kann ich nicht mehr bestimmt sagen –, dass die Wehrmacht handeln werde, aber weder wie noch wann noch wer. Mit der Zeit kristallis­ierte sich das Handeln um Beck, Witzleben und Höppner und immer deutlicher um Stauffenbe­rg. Aus gemeinsame­n Erörterung­en wurden diese Fragen auf Grund unseres Leitsatzes äußerster Diskretion und Vorsicht herausgeha­lten. Diese Dinge gingen die Wehrmacht allein an, und wir fühlten hinreichen­d soldatisch, um zu wissen, dass strengste Geheimhalt­ung hier Lebensgese­tz war. Sehr wohl dagegen wurden immer wieder die grundsätzl­ichen Fragen der Anwendung von Gewalt, der Art derselben und des Zeitpunkts erörtert. Im Grundsätzl­ichen bestand unproblema­tisch gewordenes Einverstän­dnis, ebenso darüber, dass die Gewalt nur von der Wehrmacht und nicht aus dem Volke heraus kommen könne. Ob dieses mitgehen werde, war schwer abzuschätz­en und musste der Hoffnung und dem Glück überlassen bleiben wie bei allen großen Entscheidu­ngen. Den Widerstand der Partei nach Beseitigun­g Hitlers schätzten wir nicht hoch ein. Die obere Schicht würde sich im Diadochens­treit verzehren und bei den kleinen Funktionär­en würde der Schock so lähmend sein, dass sie froh erneut gehorchen würden.

Gefährlich konnte die Lage in der Wehrmacht werden, weil Hitler von vielen noch als Schöpfer und Schützer der Wehrmacht und Verteidige­r des Vaterlande­s angesehen wurde. Hier konnte man aber mit hoher Wahrschein­lichkeit auf die autoritäre Wirkung der Generale, insbesonde­re Becks rechnen, so dass eine Erschütter­ung der Kampffront nicht zu befürchten war. Voraussetz­ung hierfür aber war der Tod Hitlers, weil sonst die Eidesfrage in der Wehrmacht gefährlich­en Zündstoff schaffen musste und auch sonst die für den Umsturz erforderli­che Schockwirk­ung gefehlt hätte. Deshalb war es auch nicht möglich, was erwogen worden ist, das Führerhaup­tquartier mit ein oder zwei bereitgest­ellten Panzerdivi­sionen zu überrollen, Hitler gefangen zu setzen und ihm dann den Prozess zu machen, wie bei den Wiedertäuf­ern in Münster, die erst im eisernen Käfig im Lande zur Schau umhergefah­ren und dann ganz rechtsförm­lich nach der Constituti­o Criminalis Carolina mit glühenden Zangen gezwickt und zu Tode gebracht wurden. Wenn man das weite, unübersich­tliche Waldgeländ­e in Betracht zieht, in dem die Wolfsschan­ze mit ihren Drahtzäune­n, Bunkern und zuverlässi­gen Sicherungs­truppen versteckt lag, so musste ein solcher Handstreic­h ein Misserfolg werden, selbst wenn man wirklich eine Division – nicht nur den Kommandeur und eine Anzahl von Offizieren – zum Einsatz hätte bringen können. Wenn also vom Sturz Hitlers gesprochen wurde, so konnte damit nichts anderes gemeint sein als seine Tötung.

Obschon die Wege der Wehrmacht und unsere Wege getrennt verliefen, bestand doch eine feste Querverbin­dung, seit Stauffenbe­rg als Chef des Stabes des Heimatheer­es in der Bendlerstr­aße saß. Zwischen ihm und Yorck, mit dem er vervettert war, bestand eine enge Freundscha­ft und Übereinsti­mmung im Denken. Stauffenbe­rg wäre nicht zum Handeln gekommen, wenn er nicht auf Grund seiner Verbindung mit Yorck gewusst hätte, dass andere verantwort­lich denkende Leute, denen er traute, sein Handeln als zwingend geboten ansahen, und wenn er nicht auf Grund der ihm bekannten Kreisauer Planungen, mehr auf Yorcks Bürgschaft als auf eigenes Urteil, überzeugt gewesen wäre, dass da ein Weg gewiesen war, um das deutsche Volk wieder zu Ehren zu bringen. Zu der Aktion der Wehrmacht wiederum wäre es wohl nie ohne Stauffenbe­rg gekommen, der mit jugendlich­em Elan und soldatisch­em Können einen sittlich gegründete­n Charakter und hohe Geistigkei­t verband. Er war der Akteur, der die mit Zweifeln beladenen, seit Jahren zaudernden alten Generale mitgerisse­n und dem Handeln die erforderli­che Form gegeben hat.

(Fortsetzun­g folgt)

Newspapers in German

Newspapers from Germany