Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Als der Wagen nicht kam
Bei der Mitarbeit der Jesuiten repräsentierte Pater Rösch Herz, Seele und Willen zum Handeln, P. Delp das theologische und soziologische Denken. Letzteren, der eine Vorortpfarrei von München verwaltete, habe ich nur ein Mal gesehen. Sein Bild ist inzwischen allgemein bekannt geworden. Pater Rösch war äußerlich und innerlich das Gegenteil des Jesuiten, den Wilhelm Busch und der Kulturkampf geprägt hatten. Eine strahlende Gottes- und Nächstenliebe leuchtete aus seinem guten blauen Auge und stilles Frommsein stand in jedem Raum, den er betrat. Dadurch wirkte er überzeugender als mit seinem klugen, eines Jesuiten durchaus würdigen Kopf. Er gehört zu den ganz wenigen Geistlichen, die sich handelnd an Plänen gegen das Dritte Reich beteiligt haben, und ohne ihn und Pater Delp hätten diese Pläne kaum Gestalt gewonnen. Pater Rösch litt unter der Verantwortung, die er mit seiner Beteiligung übernahm, umso mehr, weil er die Gefahr für die Kirche und den Orden erkannte, die aus einem Bekanntwerden seiner Beteiligung erstehen konnte, zumal dem Jesuitenorden so häufig eine Einmischung in politische Dinge vorgeworfen wird. Wenn er trotzdem mithalf, so tat er es, weil es ein Kampf gegen die Mächte der Finsternis war, zu dem er sich im Gewissen verpflichtet fühlte. Er war aber ängstlich bedacht, den Kreis der mitwissenden Ordensleute nicht auszudehnen. Die Berliner Jesuiten hielt er strikt aus der Sache heraus. Sie durften nichts davon erfahren, wenn er oder einer der andern Patres nach Berlin kam, die dann auch nicht im Canisiushaus, sondern bei einem der Freunde oder bei den Dominikanern
in St. Paulus wohnten. Obschon ich mit einigen der Berliner Jesuiten gut befreundet war, habe ich nie gemerkt, dass sie etwas von dem Tun der Münchener Confratres geahnt hätten. Sie waren wohl auch zu weltklug für riskante Dinge.
Von Plänen für Stellenbesetzungen haben wir uns absolut ferngehalten, mit Ausnahme der Auswahl der Landesverweser, die wir bei der stark föderalen Planung für bedeutungsvoller zur Durchsetzung unserer Ziele hielten als die Reichsorgane, die bei der Turbulenz der Verhältnisse sicher baldigem personalen Wechsel unterliegen würden.
Über die Pläne der Wehrmacht zur Beseitigung Hitlers ist in unserm Freundeskreis nie konkret diskutiert worden. Wir wussten allmählich – von wann ab kann ich nicht mehr bestimmt sagen –, dass die Wehrmacht handeln werde, aber weder wie noch wann noch wer. Mit der Zeit kristallisierte sich das Handeln um Beck, Witzleben und Höppner und immer deutlicher um Stauffenberg. Aus gemeinsamen Erörterungen wurden diese Fragen auf Grund unseres Leitsatzes äußerster Diskretion und Vorsicht herausgehalten. Diese Dinge gingen die Wehrmacht allein an, und wir fühlten hinreichend soldatisch, um zu wissen, dass strengste Geheimhaltung hier Lebensgesetz war. Sehr wohl dagegen wurden immer wieder die grundsätzlichen Fragen der Anwendung von Gewalt, der Art derselben und des Zeitpunkts erörtert. Im Grundsätzlichen bestand unproblematisch gewordenes Einverständnis, ebenso darüber, dass die Gewalt nur von der Wehrmacht und nicht aus dem Volke heraus kommen könne. Ob dieses mitgehen werde, war schwer abzuschätzen und musste der Hoffnung und dem Glück überlassen bleiben wie bei allen großen Entscheidungen. Den Widerstand der Partei nach Beseitigung Hitlers schätzten wir nicht hoch ein. Die obere Schicht würde sich im Diadochenstreit verzehren und bei den kleinen Funktionären würde der Schock so lähmend sein, dass sie froh erneut gehorchen würden.
Gefährlich konnte die Lage in der Wehrmacht werden, weil Hitler von vielen noch als Schöpfer und Schützer der Wehrmacht und Verteidiger des Vaterlandes angesehen wurde. Hier konnte man aber mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die autoritäre Wirkung der Generale, insbesondere Becks rechnen, so dass eine Erschütterung der Kampffront nicht zu befürchten war. Voraussetzung hierfür aber war der Tod Hitlers, weil sonst die Eidesfrage in der Wehrmacht gefährlichen Zündstoff schaffen musste und auch sonst die für den Umsturz erforderliche Schockwirkung gefehlt hätte. Deshalb war es auch nicht möglich, was erwogen worden ist, das Führerhauptquartier mit ein oder zwei bereitgestellten Panzerdivisionen zu überrollen, Hitler gefangen zu setzen und ihm dann den Prozess zu machen, wie bei den Wiedertäufern in Münster, die erst im eisernen Käfig im Lande zur Schau umhergefahren und dann ganz rechtsförmlich nach der Constitutio Criminalis Carolina mit glühenden Zangen gezwickt und zu Tode gebracht wurden. Wenn man das weite, unübersichtliche Waldgelände in Betracht zieht, in dem die Wolfsschanze mit ihren Drahtzäunen, Bunkern und zuverlässigen Sicherungstruppen versteckt lag, so musste ein solcher Handstreich ein Misserfolg werden, selbst wenn man wirklich eine Division – nicht nur den Kommandeur und eine Anzahl von Offizieren – zum Einsatz hätte bringen können. Wenn also vom Sturz Hitlers gesprochen wurde, so konnte damit nichts anderes gemeint sein als seine Tötung.
Obschon die Wege der Wehrmacht und unsere Wege getrennt verliefen, bestand doch eine feste Querverbindung, seit Stauffenberg als Chef des Stabes des Heimatheeres in der Bendlerstraße saß. Zwischen ihm und Yorck, mit dem er vervettert war, bestand eine enge Freundschaft und Übereinstimmung im Denken. Stauffenberg wäre nicht zum Handeln gekommen, wenn er nicht auf Grund seiner Verbindung mit Yorck gewusst hätte, dass andere verantwortlich denkende Leute, denen er traute, sein Handeln als zwingend geboten ansahen, und wenn er nicht auf Grund der ihm bekannten Kreisauer Planungen, mehr auf Yorcks Bürgschaft als auf eigenes Urteil, überzeugt gewesen wäre, dass da ein Weg gewiesen war, um das deutsche Volk wieder zu Ehren zu bringen. Zu der Aktion der Wehrmacht wiederum wäre es wohl nie ohne Stauffenberg gekommen, der mit jugendlichem Elan und soldatischem Können einen sittlich gegründeten Charakter und hohe Geistigkeit verband. Er war der Akteur, der die mit Zweifeln beladenen, seit Jahren zaudernden alten Generale mitgerissen und dem Handeln die erforderliche Form gegeben hat.
(Fortsetzung folgt)