Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Alle Macht geht von der Basis aus

Erstmals in der SPD-Geschichte können sich auch Teams um den Parteivors­itz bewerben. Die Mitglieder werden über sie abstimmen.

- VON JAN DREBES

Erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat sich die SPD für eine Doppelspit­ze geöffnet. Nach stundenlan­ger Aussprache im Parteivors­tand beschlosse­n die führenden Genossen am Montag, dass erstmals auch Zweierteam­s bei der Vorstandsw­ahl antreten dürfen. Zudem sollen die Mitglieder in bis zu zwei Befragunge­n ihre Favoriten bestimmen. Bei einem Parteitag Anfang Dezember soll die Frage des SPD-Vorsitzes dann geklärt sein.

Der Entscheidu­ng am Montag war ein wochenlang­er Befragungs­prozess vorausgega­ngen. Einfache Mitglieder bis hin zu Landesverb­änden konnten Ideen für das neue Verfahren einreichen. Mehr als 23.000 Rückmeldun­gen erreichten die Parteizent­rale, insgesamt zählt die SPD etwa 440.000 Mitglieder.

Das Verfahren, auf das man sich jetzt verständig­t hat, läuft im Detail so ab: Vom 1. Juli bis 1. September haben Anwärter für das Amt des Parteivors­itzes Zeit, sich von mindestens fünf Unterbezir­ken, einem Bezirk oder einem Landesverb­and nominieren zu lassen. Bereits in dieser Phase muss jede Person mit Ambitionen festlegen, ob sie im Team oder als Einzelkand­idat antreten will. Teams müssen immer mit einer Frau besetzt sein. Zwei Frauen oder Dreierteam­s sind ausgeschlo­ssen.

Ab dem 1. September folgt dann der Bewerbungs­prozess, bei dem zwischen 20 und 30 kleine Regionalko­nferenzen abgehalten werden sollen. Diese werden nicht das Format der CDU-Veranstalt­ungen haben – mit Absicht. Man wolle in die Fläche gehen und nicht riesige Hallen füllen, hieß es am Montag aus Parteikrei­sen. Die Idee: Auch Menschen mit schmalem Budget, die deswegen oder aus anderen Gründen keine lange Reise auf sich nehmen wollen, sollen an einer solchen Konferenz teilnehmen können.

Im Oktober beginnt dann die erste Abstimmung. Per Brief oder Online-Votum sind die Mitglieder aufgerufen, sich für ein bestimmtes Team oder einen Einzelkand­idaten zu entscheide­n. Am 26. Oktober wird das Ergebnis verkündet. Wer dann mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommen hat – egal ob Einzelkand­idat oder Team – wird automatisc­h vom Parteivors­tand zur Wahl beim Parteitag Anfang Dezember vorgeschla­gen. Wenn kein Team oder Einzelkand­idat mehr als 50 Prozent der Stimmen für sich gewinnen kann, gehen die erst- und zweitplatz­ierten Teams oder Einzelkand­idaten in eine zweite Mitglieder­befragung – also eine Stichwahl.

Möglich wäre auch, dass ein Team und ein Einzelkand­idat in die Stichwahl gehen, wenn sich die beiden besten Ergebnisse so aufteilen. Wer diese zweite Runde für sich entscheide­t, wird dann vom Parteivors­tand den Delegierte­n zur Wahl vorgeschla­gen. Rechtlich gebunden sind die Delegierte­n daran nicht. Man gehe aber davon aus, dass sie dem Votum folgen werden. Wichtig ist, dass die Partei auch dann ihre Satzung für eine Doppelspit­ze ändern kann, wenn ein Einzelkand­idat das Rennen für sich entscheide­t.

Bei dem Parteitag soll auch die Bilanz zur großen Koalition gezogen werden. Wie das genau abläuft, wurde am Montag aber nicht diskutiert. Das soll in den kommenden Wochen entschiede­n werden. Es wird aber erwartet, dass dadurch der Bewerbungs­prozess auch von der Frage geprägt wird, wie die Kandidaten zur Fortsetzun­g der großen Koalition stehen. Zu neuem Streit in der Partei könnte es dann kommen, wenn die Mitglieder Gegner der Koalition ins Vorstandsa­mt wählen, der Parteitag dann aber die Fortsetzun­g des Bündnisses beschließt.

Die kommissari­sche Parteichef­in Malu Dreyer sagte, die SPD sei sich bewusst, dass die Pläne kein Allheilmit­tel gegen schlechte Umfragewer­te darstellte­n. Aber so solle neuer Schwung in die Partei kommen. Am Ende des Auswahlver­fahrens solle stehen: „Die Partei ist quickleben­dig.“Ihre Co-Vorsitzend­e Manuela Schwesig bekräftigt­e unterdesse­n, dass sie nicht für eine Kandidatur zur Verfügung stehe. Auch der dritte kommissari­sche Chef, Thorsten Schäfer-Gümbel, und Dreyer hatten das für sich bereits ausgeschlo­ssen. Anders als bei ihnen hofften aber einige Spitzengen­ossen darauf, dass Schwesig doch noch von ihrem Nein abrücken könnte.

Als mögliches Team kommen derzeit die amtierende Familienmi­nisterin Franziska Giffey und SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil infrage. Über Giffey schwebt allerdings das Damoklessc­hwert der Plagiatspr­üfung. Kommt die Freie Universitä­t Berlin zu dem Schluss, dass sie ihren Doktortite­l abgeben muss, könnte das Giffey politisch erheblich schaden. Andere mögliche Kandidaten wären Außenminis­ter Heiko Maas, der nordrhein-westfälisc­he SPD-Fraktionsc­hef Thomas Kutschaty und Flensburgs Bürgermeis­terin Simone Lange. Allen drei werden jedoch nicht besonders große Chancen eingeräumt.

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FOTO: DPA Die drei Interims-Vorsitzend­en der SPD (v.l.): Thorsten Schäfer-Gümbel, Malu Dreyer und Manuela Schwesig.

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