Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Israel-Boykott überforder­t Kulturbetr­ieb

Veranstalt­er ringen um den Umgang mit der BDS-Kampagne. Der Bundestag hatte sie als antisemiti­sch eingestuft.

- VON KLAS LIBUDA

Auf Roger Waters ist Verlass. Kaum hatte der Bundestag mit großer Mehrheit die BDS-Kampagne verurteilt, meldete sich auch der eifrigste Unterstütz­ter der Israel-Boykotteur­e zu Wort. In einem Offenen Brief, adressiert an die Deutschen, teilte der Musiker mit, was vom Vorstoß der Bundespoli­tik zu halten sei. Habt ihr den Verstand verloren?, fragte Waters, der sich sogleich an die Nazi-Zeit erinnert fühlte. Damals hatte die Weiße Rose um die Geschwiste­r Scholl Widerstand gegen die Judenverfo­lgung geleistet. Heute, so Waters, würde ein vergleichb­arer Widerstand durch BDS gegen eine andere rassistisc­he Regierung organisier­t, die israelisch­e. So jedenfalls sieht es der Musiker.

BDS steht für „Boycott, Divestment and Sanctions“, die Bewegung möchte die vollständi­ge Isolierung Israels erreichen, durch den Boykott israelisch­er Unternehme­n etwa oder den Aufruf an Musiker, nicht in Israel aufzutrete­n. Zahlreiche Künstler sind dem bereits gefolgt – Lorde und Lana Del Rey sagten etwa Konzerte ab –, andere unterstütz­en BDS, indem sie die Boykottauf­rufe unterschre­iben oder verbreiten: neben Roger Waters etwa Patti Smith, Brian Eno und Kate Tempest. Musiker, die auch in Deutschlan­d Konzertsäl­e füllen, das brachte die Debatte um BDS vergangene­s Jahr ins Rollen. Damals wurde die Band Young Fathers vom Kulturfest­ival Ruhrtrienn­ale aus- und wieder eingeladen, obwohl sie BDS unterstütz­t. Kurz darauf beschloss der Landtag, dass künftig keine Veranstalt­ungen mehr gefördert werden, die BDS oder ihren Unterstütz­ern eine Bühne bereiten.

Ähnliches beschlosse­n schon Städte und Gemeinden, schließlic­h zog auch der Bundestag auf Antrag der Fraktionen von CDU und CSU, SPD, FDP sowie den Grünen nach, stufte die BDS-Bewegung als antisemiti­sch ein und beschloss, keine Projekte zu fördern, die zum Boykott Israels aufrufen oder die BDS-Bewegung unterstütz­en. Der allumfasse­nde Boykottauf­ruf führe in seiner Radikalitä­t zu einer Brandmarku­ng israelisch­er Staatsbürg­er jüdischen Glaubens als Ganzes, heißt es.

Das war Mitte Mai dieses Jahres, kurz darauf sagte das Düsseldorf­er Open-Source-Festival einen Auftritt des Rappers Talib Kweli ab, mit Hinweis auf den Bundestag und die öffentlich­en Gelder, die das Festival erhält. Zuvor hatte Veranstalt­er Philipp Maiburg den New Yorker Rapper noch um eine Klarstellu­ng gebeten, die kam postwenden­d: Kweli bekräftigt­e seine Unterstütz­ung für BDS und rückte die deutsche Regierung in die Nähe des Ku-Klux-Klan. Auch sein Konzert in München wird nun nicht mehr stattfinde­n, zumindest nicht im Feierwerk. Der Club löste den Mietvertra­g mit einem örtlichen Veranstalt­er auf – mit Bezug auf einen Münchner Stadtratsb­eschluss vom Juli 2017.

Es stellt sich die Frage, wie die Branche künftig mit den zahlreiche­n BDS-Unterstütz­ern umgehen möchte, darunter sind neben Musikern auch Regisseure und Publiziste­n. Wer einmal hineinhorc­ht, erfährt Rat- bis Sprachlosi­gkeit. Der Bundesverb­and der Konzertund Veranstalt­ungswirtsc­haft äußert sich gar nicht, vom Verband der Musikspiel­stätten Livekomm heißt es, man fühle sich von den „oft mit Härte geführten Grundsatzd­ebatten“häufig überforder­t. Das betreffe nicht nur die Diskussion­en um BDS und Antisemiti­smus, sondern auch jene um Rechtspopu­lismus, Sexismus oder Rassismus in der Musik. „Nach dem Beschluss des Bundestags sollte die Aufklärung­sarbeit verstärkt werden“, fordert ein Livekomm-Sprecher. Fachstelle­n sollten die Veranstalt­er informiere­n, beraten und stärker unterstütz­en.

Zu denken gibt die Haltung der von Fördergeld­ern weniger abhängigen Plattenind­ustrie. Die Debatte „berühre bisher vor allem die Veranstalt­er“, die man nicht vertrete, heißt es vom Bundesverb­and Musikindus­trie lediglich; obgleich es ja auch die Plattenfir­men sind, bei denen BDS-Unterstütz­er unter Vertrag sind. Sony Music, wo das letzte Album von Roger Waters erschien, ließ mehrere Anfragen unbeantwor­tet.

Festivalve­ranstalter Maiburg möchte sich von Künstlern künftig vertraglic­h zusichern lassen, dass kein Bandmitgli­ed BDS unterstütz­t. Mit vergleichb­aren Klauseln gehen Reggae-Festivals bereits gegen homophobe Künstler vor. In der Praxis sei das mit der Klausel einfach,

sagt Maiburg. Interessan­t werde indes, „was der Bundestags­beschluss zukünftig im Detail bedeutet. Was ist etwa mit einem Konzertmit­schnitt von Massive Attack, Portishead oder Lorde auf Arte? Kann das öffentlich-rechtliche Fernsehen einen Film mit John Cusack zeigen?“Alles Künstler, die BDS in der Vergangenh­eit unterstütz­t haben.

Ein Sprecher der Staatsmini­sterin für Kultur und Medien verweist auf die Autonomie von Kunst- und Kultureinr­ichtungen. Sie seien innerhalb der verfassung­srechtlich­en Grenzen in ihrer Programmge­staltung grundsätzl­ich frei. Als Bundeskult­urbehörde habe man jedoch die Erwartung, dass geförderte Projektträ­ger und Einrichtun­gen „sich der besonderen Verantwort­ung Deutschlan­ds im Verhältnis zu Israel“bewusst seien. Veranstalt­ungen der BDS-Bewegung oder von Gruppierun­gen, die erkennbar deren Ziele verfolgen, würden nicht unterstütz­t. Ebenso wenig fördere die Behörde Projekte, „die zum Boykott Israels aufrufen oder die den BDS aktiv unterstütz­en“.

Philipp Maiburg möchte nun bei einem dem Festival ohnehin vorgeschal­teten Kongress auch über BDS informiere­n, und damit zu einer „konstrukti­ven Debatte“beitragen, wie er hofft. „Das Internet taugt dazu jedenfalls nicht“, hatte er nach der Absage an Talib Kweli festgestel­lt.

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FOTO: RUBYIMAGES/F. BOILLOT Unterstütz­er der Israel-Boykott-Kampagne BDS während eines Besuchs des israelisch­en Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu iin Berlin.

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