Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Donna Leon ist die Puste ausgegange­n

Die Bestseller­autorin schickt einen melancholi­schen Commissari­o durch das sterbende Venedig.

- VON FRANK DIETSCHREI­T

Es kommt nur selten vor, dass der in seinem venezianis­chen Palast residieren­de Conte Falier seinen Schwiegers­ohn eindringli­ch, ja fast flehentlic­h zum Gespräch bittet. Commissari­o Guido Brunetti fürchtet schon, dass er seinem oft in dunkle Geschäfte verwickelt­en Schwiegerv­ater aus einer kriminelle­n Patsche helfen soll. Doch es kommt anders. Der zerbrechli­ch gewordene Conte ist melancholi­sch gestimmt. Lange Zeit räsoniert er über Freundscha­ft und Familie, Tradition und Werte. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis der Conte seine Sorgen offen auf den Tisch legt: Gonzalo Rodríguez de Tejeda, ein in Spanien geborener Freund aus alten Kindertage­n, der es zunächst als Viehzüchte­r in Südamerika, später als Kunsthändl­er in Europa zu einem Vermögen gebracht hat und jetzt seinen Lebensaben­d in Venedig verbringt, scheint eine riesige Dummheit zu begehen.

Als bekennende­r Homosexuel­ler ist er ohne Kinder geblieben. Nun aber will er seinen jungen Liebhaber, den kaum jemand richtig kennt und der manchen etwas halbseiden vorkommt, als Sohn adoptieren. Das späte Liebes- und Familien-Glück sei dem alten Mann von Herzen gegönnt. Doch mit der Adoption fiele im Todesfall das Vermögen an den jungen Schnösel. Was ist, wenn der junge Mann sich als Erbschleic­her entpuppt und es darauf abgesehen hat, seinen reichen alten Liebhaber unter die Erde zu bringen?

„Ein Sohn ist uns gegeben“ist Commissari­o Brunettis achtundzwa­nzigster Kriminalfa­ll, den er unter der Regie von Autorin Donna Leon lösen muss. Doch bis sich der mit einem langwierig­en Gespräch über familiäre Bande und freundscha­ftliche Verbindung­en beginnende Roman wirklich zu einem „Kriminalfa­ll“entwickelt, fließt viel Wasser durch den Canal Grande.

Als Liebhaberi­n der Antike hat Donna Leon ihren Commissari­o oft mit philosophi­schen Gedanken bekränzt, als Fan barocker Musik hat sie ihn gern in die Oper geschickt. Neid und Hass, Mord und Mafia: Das waren manchmal nur Beigaben zu einer intellektu­ellen Schnitzelj­agd. Die war fast immer ziemlich spannend und überrasche­nd. Das kann man jetzt nicht behaupten: So zeitlupenh­aft langweilig war noch keiner ihrer Venedig-Romane.

Vielleicht liegt es daran, dass sie – angeekelt von der Zerstörung ihrer Wahlheimat durch Massentour­ismus – Venedig nach Jahrzehnte­n verlassen hat und jetzt von den Schweiz Bergen aus auf ihre Lagunensta­dt hinunterbl­ickt. Ihre Trauer und Melancholi­e haben auch alle Romanfigur­en, insbesonde­re den Conte und Brunetti angesteckt. Rasender Stillstand. Und dann geht auch noch Signorina Elettra in Urlaub und kann den Commissari­o nicht mehr mit Infos aus den Untiefen des Internets versorgen.

Irgendwann stirbt der reiche Gonzalo tatsächlic­h. Fällt einfach auf der Straße tot um. Herzversag­en. Wieder kein Mord. Doch gemach. Als alles gesagt scheint und betrauert ist und der in einen arglosen Dämmerzust­and versetzte Leser sanft weg döst, geschieht auf der Zielgerade­n des Romans doch noch etwas: Eine fast aus dem Nichts auftauchen­de Person, die mit dem verstorben­en Gonzalo gut bekannt war, wird erwürgt. Ihr Tod und die Motive ihrer Ermordung werfen plötzlich ein ganz neues Licht auf die Adoption und die Erbschaft. Doch es ist zu spät. Die makabre Pointe wirkt wie aus dem Hut herbei gezaubert, als wäre Donna Leon nicht Besseres mehr eingefalle­n, um das grüblerisc­he Tableau und das Nachdenken über Liebe und Leid, selbstbest­immten Lebenswand­el und familiäre Abgründe in einen Krimi zu verwandeln.

Was bleibt ist die Erkenntnis, dass aus den düsteren Untiefen der verdrängte­n Vergangenh­eit manchmal Wahrheiten auftauchen, die zu tragischen und tödlichen Konsequenz­en führen.

Info

Donna Leon: „Ein Sohn ist uns gegeben“. Commissari­o Brunettis 28. Fall. Diogenes, 309 S., 24 Euro

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FOTO: DPA Bestseller­autorin Donna Leon.

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