Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Merkel stoppt Söders Kohlepläne

Bayerns Ministerpr­äsident will schon 2030 aus der Kohle aussteigen. Die Bilanz des Tagebau-Sturms: verletzte Polizisten, Anzeigen wegen Brandstift­ung, verärgerte Bauern.

- VON ANTJE HÖNING

Nach dem heißen Wochenende im Tagebau Garzweiler ist die Debatte um einen früheren Kohleausst­ieg voll entbrannt. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder bekräftigt­e am Montag seine Forderung, dass Deutschlan­d bereits bis 2030 aus der Kohle-Verstromun­g aussteigen solle. Dies wäre das „wirksamste Signal“für das Erreichen der Klimaziele. Kanzlerin Angela Merkel winkte ab. Für die Bundesregi­erung gehe es um Verlässlic­hkeit, und das bedeute, die Empfehlung­en der Kohle-Kommission umzusetzen, sagte Regierungs­sprecher Steffen Seibert. Die Kommission hatte im Januar Empfehlung­en vorgelegt, wonach Deutschlan­d bis 2038 aus der Kohle aussteigt. „Das bringt einen gesamtgese­llschaftli­chen Kompromiss zum Ausdruck“, so Seibert. Ob der Ausstieg bis 2035 möglich sei, werde zum vorgeschla­genen Zeitpunkt entschiede­n. Die Kommission schlägt vor, 2032 zu prüfen, ob ein Ausstieg 2035 mit Blick auf Versorgung­ssicherhei­t und Klima möglich ist.

Andere Mitglieder der Kommission stellten sich nun gegen Söder: „Wir sind gut beraten, den in der Kommission mit viel Mühe erreichten gesamtgese­llschaftli­chen Kompromiss umzusetzen statt ihn leichtsinn­ig zu gefährden“, sagte Steffen Kapferer, Chef des Branchenve­rbands BDEW, unserer Redaktion. Es sei Bayern auch acht Jahre nach dem Beschluss zum Atomaussti­eg nicht gelungen, die Versorgung­ssicherhei­t durch den Neubau von CO2-armen Kraftwerke­n zu gewährleis­ten.

Eric Schweitzer, der als Präsident des Industrie- und Handelskam­mertags (DIHK) in der Kommission saß, warnte: „Die Empfehlung­en sind das Ergebnis eines intensiven Abwägungsp­rozesses, in dem Klimaschut­zbelange ebenso Berücksich­tigung finden wie Strukturen­twicklung, Versorgung­ssicherhei­t und Wettbewerb­sfähigkeit der Wirtschaft. Es ist daher kein Zufall, dass die Kommission 2038 als mögliches Enddatum ermittelt hat.“Es sollte erst auf Kohlestrom verzichtet werden, wenn der Aufbau einer alternativ­en Stromverso­rgung gelungen sei, davon sei man noch weit entfernt.

NRW-Wirtschaft­sminister Andreas Pinkwart (FDP) fordert: „Die Bundesregi­erung muss nun die Ärmel hochkrempe­ln und die in der Koalition verabredet­en Gesetze zu den Strukturhi­lfen und zum Kohleausst­ieg schnell vorlegen.“Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) lässt die Gespäche mit den Versorgern schleifen. Er wolle vor den Wahlen in Ostdeutsch­land keine Fakten schaffen, mutmaßen Versorger.

Auch Martin Kaiser (Greenpeace) und Antje Grothus (Klima-Allianz) saßen mit in der Kohle-Kommission. Das hat ihre Organisati­onen aber nicht davon abgehalten, am Wochenende für einen Ausstieg 2030 zu demonstrie­ren. Michael Vassiliadi­s, Chef der Gewerkscha­ft IG BCE, kritisiert­e die Doppelmora­l: „Hallo Herr Kaiser, hallo Frau Grothus! Erinnern Sie sich an unseren Beschluss in der Kohlekommi­ssion? Nur eine Gegenstimm­e! Aber nicht Ihre! Lassen sie uns gemeinsam Söder widersprec­hen!“Vassiliadi­s kritisiert­e weiter: „Söder simuliert den Klimaaktiv­isten, wie immer Vorschläge zu Lasten Dritter.“Dabei sei es Bayern, das zu wenig Kraftwerke habe und keine Leitungen für Ökostrom.

Auch vor Ort geht der Streit weiter. Am Montag besetzten Aktivisten erneut einen Braunkohle-Bagger, im Tagebau Hambach. Bei Twitter posteten die Aktivisten ein Foto mit dem Spruch: „Bagger und Macker wegboxen“. Von Freitag bis Sonntag waren nach Angaben der Initiative „Ende Gelände“rund 6000 Menschen an den Blockaden des Tagebaus Garzweiler und von Bahnlinien zu zwei Kraftwerke­n beteiligt. Seit Sonntag fahren die Bahnen wieder. Die Polizei war 48 Stunden im Einsatz und hat die Personalie­n von Hunderten Personen festgestel­lt. RWE kündigte an, Rechtsbrüc­he straf- und zivilrecht­lich zu verfolgen: „Infrage kommende Straftatbe­stände sind insbesonde­re Hausfriede­nsbruch, Sachbeschä­digung und Nötigung.“Zudem sei es zu Brandansch­lägen auf eine Pumpstatio­n, Schaltkäst­en und zwei Fahrzeuge gekommen, hier werde man Anzeige wegen Brandstift­ung erstatten. Bei den Einsätzen wurden laut Polizei mindestens ein Dutzend Beamte verletzt.

Ortsansäss­ige Bauern wandten sich an die Polizei und klagten, ihre Felder seien von Demonstran­ten zertrampel­t worden. „Ende Gelände“schrieb bei Twitter, dass man mögliche Ernteausfä­lle erstatten würde. Die Inititaive wiederum erhob Vorwürfe gegen die Polizei: Diese hätte unverhältn­ismäßig hart eingegriff­en, erklärte das Bündnis am Montag. Die Polizei Aachen kündigte an, Anschuldig­ungen zu prüfen.

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FOTO: DPA Umweltakti­visten stürmten den Tagebau Garzweiler, nachdem sie die Polizeispe­rre durchbroch­en hatten.

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