Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Wirtschaft besorgt wegen Pendlercha­os

Immer mehr Bürger pendeln und immer mehr von ihnen legen größere Distanzen zurück. Damit die Staus begrenzt werden, fordert nun auch die Wirtschaft mehr Fahrradweg­e und einen Ausbau von Bahn und Bus.

- VON REINHARD KOWALEWSKY

Auf welchen Tag können sich die NRW-Pendler schon freuen? Auf den 15 Juli, dann beginnen die Schulferie­n. Die Autobahnen rund um Düsseldorf, Köln oder Bonn sind dann wegen der vielen weggereist­en Familien nicht mehr so voll. Und wovor müssen sich die Pendler grauen? Bei miesem Wetter im Herbst nehmen die Unfälle zu, noch mehr Staus, Verkehr im Stop-and-go wird zum Regelfall. „Die Belastung der Menschen gerade im Rhein-Ruhr-Gebiet wegen der oft viel zu aufwendige­n Anfahrt zur Arbeit ist schon enorm“, sagt Stefan Heimlich,Vorsitzend­er des Auto Clubs Europa (ACE), „da muss mehr passieren, auch um die Umwelt zu entlasten.“

Der Kampf gegen das Pendlercha­os wird zu einem immer dringliche­ren NRW-Thema. In Düsseldorf, Bonn oder Essen drohen Fahrverbot­e wegen zu hoher Stickstoff­dioxidbela­stung auf Straßen – also wird in Bonn ein 365-Euro-Jahresabo erprobt. In Essen fahren viele Busse im Fünf-Minuten-Takt, während Düsseldorf auf eine Modernisie­rung der Busflotte sowie neue Stadtbahnw­agen setzt. Im Dezember startet die dritte Strecke des Rhein-Ruhr-Express (RRX) als Route zwischen dem Flughafen Köln-Bonn und Minden – auch ein Schritt nach vorne. Und während früher Wirtschaft sowie die Parteien abseits der Grünen vorrangig aufs Auto setzten, findet ein Umdenken statt.

NRW-Verkehrsmi­nister Hendrik Wüst (CDU) investiert zwar Milliarden in die Sanierung der Straßen, will aber auch Radschnell­wege ausbauen sowie stillgeleg­te Bahnstreck­en wieder für den Zugverkehr nutzen. Die IHK Düsseldorf fordert schnellere ÖPNV-Takte sowie mehr Park- and Ride-Parkplätze rund um die Stadt, damit Berufstäti­ge dort auf Bahn, Bus oder Fahrrad wechseln. In der Stadt soll es mehr Radwege auf Nebenstraß­en geben, nach Neuss soll ein Radschnell­weg führen. „Ein besseres Management der Pendlerstr­öme ist in der ganzen Region wichtig“, sagt Gregor Berghausen, Hauptgesch­äftsführer der IHK Düsseldorf. „Unsere Unternehme­n müssen für Mitarbeite­nde, Kunden und Dienstleis­ter erreichbar bleiben.“

Die Lage spitzt sich zu. So legte in Düsseldorf die Zahl der einpendeln­den Berufstäti­gen zwischen 2016 und 2017 um knapp 5000 Personen auf 307.000 Personen zu, in Köln wuchs die Zahl der Einpendler in einem Jahr um mehr als 8000, in Aachen kommen 1400 Einpendler hinzu, auch in Bonn gab es eine Zunahme. „Alleine wegen steigender Hauspreise und Mieten in Städten ziehen viele Menschen in Orte im Umland“, sagt Peter Haller vom Institut für Arbeitsmar­ktforschun­g der Bundesagen­tur für Arbeit. „Und gleichzeit­ig pendeln sie immer weiter, weil sie oft nur entfernt vom Wohnort den richtigen Job finden.“

Nur mit einer integriert­en Strategie scheint eine Verkehrswe­nde möglich. Darüber sind sich die Experten einig. So will die Landesregi­erung

die Verkehrsve­rbünde in NRW mit einer einzigen App miteinande­r vernetzen, damit die Reisenden Verbindung­en leichter finden und buchen können. Auch ein Azubi-Ticket für ganz NRW gehört zur Strategie.

Bis 2030 könnte die Zahl der Passagiere im öffentlich­en Nahverkehr in NRW um rund 30 Prozent steigen. Das meint der Verband der Verkehrsbe­triebe Deutschlan­ds (VDV). „Wir brauchen ein bundesweit­es Investitio­nsprogramm, von dem NRW besonders profitiere­n würde“, sagt VDV-Hauptgesch­äftsführer Oliver Wolff. Er lobt, dass NRW eine Milliarde Euro für die Sanierung der Stadtbahnn­etze investiere­n will, doch viele weitere Aktivitäte­n seien notwendig: „Wir brauchen weitere Digitalisi­erung, um einen schnellere­n Takt zu ermögliche­n. Wir benötigen modernere Bahnen und Busse. Und wir brauchen langjährig­e Finanzieru­ngszusagen, damit Bauprojekt­e geplant werden können.“

Parallel zum Ausbau der Infrastruk­tur könnten Preissenku­ngen weitere Passagiere anlocken. Zumindest Düsseldorf­s Oberbürger­meister Thomas Geisel (SPD) würde das begrüßen: „In Wien haben wir das Jahrestick­et für 365 Euro. In eine solche Richtung sollten wir auch denken.“

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