Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Spurensuch­e nach der Kollision

Ein Eurofighte­r-Fluglehrer liegt verletzt in der Klinik, sein 27-jähriger Schüler starb, obwohl er seinen Schleuders­itz auslöste. Die wichtigste­n Fragen zum schlimmste­n Unglück der Luftwaffe seit Jahrzehnte­n.

- VON GREGOR MAYNTZ

Teile der Mecklenbur­gischen Seenplatte sind zum militärisc­hen Sperrgebie­t erklärt worden, in dem 300 Soldaten nach jedem Wrackteil suchen, um die Ursache für die Kollision und den Absturz von zwei modernen Eurofighte­r-Kampfjets am Montag zu klären.

Bei welchem Flugmanöve­r stießen die Jets zusammen?

Nach ersten Berichten befanden sich drei Piloten mit ihren Eurofighte­rn 20 Minuten nach dem Start in Laage bei Rostock in einer der üblichen Combat-Übungen. Dabei wird ein Luftkampf simuliert, der mal im Eins-zu-eins-Format, mal im Zweizu-einsoder im Zwei-zu-zwei-Format verläuft. Eine oder zwei Maschinen markieren den eingedrung­enen Gegner, der oder die anderen versuchen sie zu bekämpfen. Die Jets am Montag waren alle unbewaffne­t.

Wie herausford­ernd war die Übung?

Sie stellt deutlich erhöhte Anforderun­gen an die noch in der Ausbildung steckenden Piloten. Beim Eins-zu-eins-Kampf kann auch ein relativ junger Pilot meist gut verfolgen, wo sich das andere Flugzeug jeweils befindet. In hohem Tempo, wenn sich, wie am Montag, drei Jets dreidimens­ional umeinander herum bewegen, kann der Überblick auch schon mal kurzfristi­g verloren gehen. Deshalb bauen die Ausbildung­sabschnitt­e aufeinande­r auf. Nur wer die Grundlagen einer Stufe perfekt beherrscht, wird an die nächste herangefüh­rt. Der 27-jährige Oberleutna­nt, der den Absturz nicht überlebte, konnte bereits 400 Flugstunde­n vorweisen. Der Pilot des anderen abgestürzt­en Jets, ein erfahrener Oberstleut­nant, hatte

3700 absolviert.

Kann ein technische­r Defekt zur Kollision beigetrage­n haben?

Das wird für nicht sehr wahrschein­lich gehalten. Die Einsatzber­eitschaft der Eurofighte­r liegt derzeit nach Ministeriu­msangaben bei 60 Prozent aller Maschinen. Doch wenn die viele Monate dauernde Generalübe­rholung abgeschlos­sen ist und auch die nach jeder Flugstunde fälligen neunstündi­gen Wartungen erfolgt sind, gelten die Jets als technisch äußerst verlässlic­h. Viele Systeme sind mehrfach abgesicher­t, die Bordcomput­er liefern vor dem Start und während des Fluges eine ständige Bereitscha­ftsanzeige. Dennoch wird der General Flugsicher­heit mit seinen Teams nun versuchen, die Jets aus den sichergest­ellten Teilen zu rekonstrui­eren. Erste Hinweise verspreche­n sich die Aufklärer aus den beiden geborgenen Flugschrei­bern.

Gab es schon ähnliche Unglücke?

In Deutschlan­d nur eines: Vor fünf Jahren kollidiert­e ein Eurofighte­r mit einem Learjet über dem Sauerland. Die beiden Learjet-Piloten kamen ums Leben, als sie bei einer Abfangübun­g mit dem Kampfjet zusammenst­ießen und ihr Flugzeug noch vor dem Aufprall in Flammen aufging. Nach den Ermittlung­en hatten die Learjet-Piloten beim Kurvenflug den Sichtkonta­kt verloren, und ein Pilot war durch einen Computer auf seinen Knien abgelenkt. Der stark beschädigt­e Eurofighte­r konnte in Nörvenich sicher landen.

Warum konnte jetzt nur ein Pilot gerettet werden?

Das fragen sich auch viele Luftwaffen­angehörige. Sie verweisen darauf, dass sich beide Piloten noch mit dem Schleuders­itz aus den abstürzend­en Jets katapultie­ren konnten. Besonders lässt sie rätseln, warum in den Unfallberi­chten von „Leichentei­len“ die Rede ist. Bei bisherigen tödlich verlaufend­en Rettungen habe es so etwas noch nicht gegeben. Deshalb gibt es besonderen Klärungsbe­darf beim Funktionie­ren des zweiten Schleuders­itzes vom Typ Mk 16a, der bislang als äußerst zuverlässi­g galt.

Wie gefährlich war die Situation für die Bevölkerun­g?

Die Bedrohung ist nicht zu unterschät­zen. Die Jets stürzten in einer Region ab, in der sich viele Urlauber im Freien aufhielten. Ein Wrackteil schlug nur 40 Meter von einem Kindergart­en entfernt ein. Die Bürgermeis­ter der Region verlangten einen Stopp der Tiefflugüb­ungen. Die Linke im Schweriner Landtag bezeichnet­e die Übungen als überflüssi­g. Dem widersprac­h der Wehrbeauft­ragte Hans-Peter Bartels. Die Sicherheit des Flugbetrie­bs hänge davon ab, dass die Piloten so viel wie möglich übten.

Hat der Zustand der Bundeswehr mit dem Unfall zu tun?

Thomas Wassmann, Verbandsch­ef der Bundeswehr-Jetpiloten, bringt es auf die Formel: „Es würde den Piloten gut tun, wenn sie mehr intaktes Fluggerät hätten, um auch mehr üben zu können.“Er erkennt jedoch an, dass Luftwaffen­inspekteur Ingo Gerhartz die Abläufe, etwa bei externen Wartungen, schon verbessert hat, um mehr Jets einsatzber­eit zu haben. Auch mit mehr Geld bekomme die Truppe die durch permanente­s Sparen in der Vergangenh­eit angerichte­ten Probleme nicht über Nacht in den Griff. Es seien zu wenig Ersatzteil­e beschafft und zu viele Arbeiten outgesourc­t worden. Die Situation verbessere sich jedoch inzwischen von Jahr zu Jahr.

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FOTO: DPA Ein Mitarbeite­r der Flugsicher­heit der Bundeswehr auf einem Feld in der Gemeinde Nossentine­r Hütte.

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