Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Ohne Smartphone ins Konzert
Die Toten Hosen lassen bei ihren Auftritten in der Tonhalle keine Handys zu. Mancher Fan wünscht sich das auch für andere Konzerte.
Das Konzert von Phil Collins am vergangenen Freitag im Kölner Rheinenergie-Stadion. Ein Pärchen steht auf der Tribüne, er mit Smartphone, sie mit Smartphone, beide filmen. Sie reden nicht, sie grooven nicht, sie jubeln und applaudieren nicht. Stattdessen heiliger Ernst, denn sie schneiden das Konzert mit. Warum tun die das? Was machen die mit den Filmchen? Müssen sich deren Freunde in den nächsten Tagen verstecken, weil sie sonst mit Echtzeit-Dokumentationen des Auftritts im Mäusekino-Format genervt werden? In den Reihen dahinter weicht die anfängliche Empörung über die beiden, die ja den Blick zur Bühne einschränken, bald der Belustigung. Immer wieder treten nämlich Bierverkäufer ins Bild, platzen Toilettengänger in die Aufnahme, tanzen Euphorisierte vor die Linse. Die Dokumentaristen schauen sich dann an. Aber nur dann.
Menschen mit Smartphones können ganz schön nerven in Konzerten. Die Sängerin Pink hat dazu mal etwas ziemlich Tolles gesagt. Sie regte sich darüber auf, dass manche Leute bloß ungerührt dastehen und nie die Hände frei haben zum Klatschen, obwohl sie als Künstlerin doch auf die Bühne gehe, um die Leute anzurühren, sie emotional zu packen und zu bewegen. „Manchmal“, so Pink weiter, „möchte ich ihnen das Smartphone aus der Hand reißen und sie umarmen.“Schöne Vorstellung, die Walter Benjamin auf seiner Wolke im Himmel vermutlich zum Kichern bringt: Das Kunstwerk holt sich im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit die Aura durch Überwältigung zurück.
Dass man nun noch einmal über dieses Thema spricht, liegt an den Toten Hosen. Die Band gibt ja am 13. und 14. Juli zwei Konzerte in der Düsseldorfer Tonhalle, und sie hat vor Beginn des Kartenvorverkaufs klargestellt, dass keine Smartphones zugelassen sind, dass sich also nur diejenigen um Karten bemühen mögen, die zwei Stunden aufs Handy verzichten können. Der Hintergrund: Die Gruppe zeichnet die Akustik-Konzerte für eine Live-Veröffentlichung auf, die voraussichtlich im Herbst erscheinen soll. Sie nimmt den Leuten, die dennoch mit Handy erscheinen, das Gerät aber auch nicht weg. Sondern lässt es von Mitarbeitern der Firma Yondr in kleinen schalldichten Taschen verschließen. Die Konzertbesucher nehmen die Taschen mit in den Saal. Sollten sie einen Anruf empfangen, etwa vom Kindermädchen, spüren sie das an der Vibration des Handys. Sie können dann mit dem Täschchen aus dem Saal huschen und in spezielle Räume gehen, wo die Taschen aufgeschlossen werden und man telefonieren kann. Raucherecken für Kommunikationsjunkies sozusagen.
Jack White und Alicia Keys arbeiten schon länger mit diesem patentierten System. Die Toten Hosen würden auf normalen Konzerten keine Handys verbieten, soll doch jeder das Konzert so genießen, wie er will. Man kann ja auch verstehen, dass Fans in den Sozialen Netzwerken mitteilen wollen, wo sie gerade sind. Oder jemandem am nächsten Tag zeigen möchten, wie es war. Zuneigung ist wie Wasser: Die bricht sich Bahn. Und für die meisten Künstler ist das ja auch schön: im Gespräch zu sein, öffentlich verehrt zu werden.
Manche sehen die Sache allerdings enger, zumindest wenn es um das Konzerterlebnis geht. Bob Dylan etwa. Der möchte Unmittelbarkeit pur. Seit Jahren untersagt er Besuchern zu filmen, zu fotografieren und mitzuschneiden. Wer das Handy dennoch herausholt, wird von Sicherheitsleuten erst mit Taschenlampen angestrahlt und dann robust ermahnt. Neulich durchbrachen bei Dylans Auftritt in Wien einige Fans die Sicherheitsabsperrung und filmten vor der Bühne, wie er „Blowin’ In The Wind“sang. Dylan unterbrach das Stück nach Strophe eins und sagte: „We can either play or we can pose. Okay?“Ziemlich sauer rauschte er dann bald davon, die Band spielte noch ein Instrumental, und dann war das Konzert aus. Dylan, König der Konsequenz.
Henning May von der Kölner Band Annenmaykantereit hat mal gesagt, dass es einfach kein schönes Gefühl sei, während eines Liebeslieds die ganze Zeit mit dem Smartphone gefilmt zu werden. Nun kann man natürlich sagen: Henning, das gehört zum Jobprofil des Popstars. Aber dass auch größere Helden menschliche Regungen in dieser Sache zeigen, belegt das Beispiel Adele. Von ihr gibt es eine schöne Szene aus einem Konzert in Verona, da weist sie eine Besucherin zurecht: „Können Sie bitte aufhören, mich mit der Videokamera zu filmen, denn ich stehe hier im echten Leben vor Ihnen?“Das Paradoxe ist nun allerdings, dass man die Szene bei Youtube nur deshalb sehen und Adeles Unmut genießen kann, weil sie jemand gefilmt und hochgeladen hat.
Andere Künstler umarmen die Digitalisierung und bauen die Smartphones als tragendes Element in ihre Shows ein. Coldplay und Ed Sheeran sind nur zwei Beispiele für Musiker, die ihre Fans bei bestimmten Songs bitten, die Handykamera einzuschalten und über ihren Köpfen zu schwenken. Der Effekt ist gerade in Arenen eindrucksvoll: ein Sternenhimmel voller Konzertbesucher.
Die Ankündigung der Toten Hosen wurde in den sozialen Netzwerken jedenfalls viel kommentiert. Ziemlich konstruktiv, muss man sagen, arglos und ehrlich. Irgendwann führte das Gespräch weg vom eigentlichen Anlass, der ja ein
spezieller ist: Es wurde grundsätzlich. Man brauche kein Handy im Konzert, schrieb jemand, und zwar bei keinem Konzert. Er bekam viel Zustimmung. Man solle sie doch auch in Clubs und Discos weglassen, wünschte sich jemand. Super auch die Einlassung einer Kommentatorin, die man gerne bei jedem künftigen Konzert in der Nähe wissen möchte: „Ich klatsche und tanze und springe gerne zur Musik. Da hab ich keine Zeit zum Filmen.“Eine Umfrage der Firma Eventbrite unter 1000 Musikfans, die in den vergangen zwölf Monaten ein Konzert besucht haben, ergab, dass sich
70 Prozent wünschen, auf Konzerten solle weniger gefilmt werden.
40 Prozent möchten, dass gar keine Aufnahmen gemacht werden. Nur
16 Prozent sind indes für ein striktes Handy-Verbot.
Man könnte also sagen, die Toten Hosen haben die Diskussion über einen Knigge für die Benutzung des Smartphones im Konzert angestoßen. Was könnte drinstehen? Vielleicht dieses: Nicht egoistisch sein und den Hintermännern die Sicht rauben. Bedenken, dass jedes Smartphone eine zusätzliche Lichtquelle ist und vom Geschehen auf der Bühne ablenkt. Und: Applaus und andere Reaktionen sind nicht nur für den Künstler wichtig, sondern auch für die Atmosphäre im Konzert. Live gesehen ist fast immer eindrucksvoller als live gefilmt.
Im Jugendzentrum Karo in Wesel trat neulich eine amerikanische Band vor 50 Zuschauern auf, von denen keiner filmte. Irgendwann machte die Band dem Publikum ein Kompliment: „Es ist klasse, dass ihr einfach nur zuhört“, das erlebe man nicht oft. Gibt kein Video davon, war aber trotzdem total toll.
„Können Sie bitte aufhören, mich zu filmen, denn ich stehe im echten Leben vor Ihnen?“Adele (Popstar)