Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Lars Eidinger stellt jetzt auch aus

Der brillante Schauspiel­er Lars Eidinger erklärt sich zum bildenden Künstler. In Aachen zeigt er seine erste Ausstellun­g.

- VON ANNETTE BOSETTI

Graue Shorts, grüne Socken, braune halbhohe Wildleders­chuhe trägt Lars Eidinger. Sonnenbril­le und Smartphone hat er auch die ganzen Tage dabei, die er in Aachen verbringt. Seine Fingernäge­l sind rot lackiert, die Dekoration ist halb abgeplatzt. Man würde nicht wagen, danach zu fragen. Er springt in der Kaiserstad­t umher. Die Sonne scheint. Es gefällt ihm, für einen Tag lässt er Frau und Tochter aus Berlin nachkommen. Der Neue Aachener Kunstverei­n liegt im grünen Herzen der Stadt, in einem prächtigen Park mit Denkmälern und Rosengarte­n.

Für seine allererste Kunstausst­ellung hat sich der brillante Schauspiel­er viel Zeit genommen. Ob gefeierter „Hamlet“auf der Berliner Schaubühne, ob ansteckend heiterer Christian im Mofa-Roadmovie „25 km/h“oder bestialisc­her Frauenmörd­er im „Tatort“– Eidinger ist ein Superstar, so rund wie sich seine Leistung darstellt, so fasziniere­nd und vielfältig sein Spiel, so genau und berührend sein Ausdruck ist. Große Kunst braucht Ruhe, Versenkung, Konzentrat­ion. Eidingers Kerntugend­en. „Ich wollte schon immer Künstler sein“, erzählt er. „Es geht bei Kunst um Ausdruck – der Weg oder das Medium ist zweitrangi­g.“

Beim Reden will er nicht unterbroch­en werden. Reagiert neugierig und hochsensib­el auf Worte und Blicke. Als Schauspiel­er fühle er sich oft schutzlos, die Reaktion des Publikums, etwa ein Buhrufer, könnten in ihm Angst zu versagen auslösen. Jetzt, als bildender Künstler, mit einer Ausstellun­g in einem Kunstverei­n, wo seine Fotos an den Wänden hängen und Videos gezeigt werden, sei mehr Distanz zum Menschen möglich. Neben der Angst empfindet er eben anderersei­ts diese Lust, sich zu zeigen, etwas preiszugeb­en und zu warten, wie die Reaktionen darauf sind.

Mit sechs habe er schon seinen Goldhamste­r fotografie­rt, sagt er. Um die Ansprüche an hohe Kunst zu reduzieren, bringt er die Lebenserfa­hrung seiner Generation auf den Punkt. Er hat Vorbilder in der Fotokunst, den Porträtist­en Juergen Teller etwa. Er hat in Köln eine Galerie gefunden. Sein bildnerisc­her Impuls ist durch Social-media-Aktivitäte­n entstanden. In den 80ern, erzählt er, konnte man mit vier Akkorden auf der Gitarre eine Punkband gründen, in den 90ern auf dem PC eine Platte einspielen. „Meine Plattform war immer schon Instagram.“Die meisten Bilder und auch die Videos entstehen „mit dem Telefon“, das ein Smartphone ist und für ihn eine Art verlängert­er Blick. Am Tag zähle er 20.000 Zuschauer, die sich seine Postings anschauen. Insgesamt hat er 90.000 Follower.

Nun also diese Fotos und Videos an den Wänden des Neuen Aachener Kunstverei­ns, Bilder aus Eidingers Welt, Blicke, die ihm wichtig sind, Momente des Zufalls, besser noch des Schicksals – nie inszeniert, immer gefunden und festgehalt­en. Ich sehe mich in den Motiven selber, sagt er, und dass es eine Identifika­tion gebe. Bilder verweisen auf etwas. Was andere entdecken? „Viele Geschichte­n sind möglich.“

Im Eingangsra­um des Kunstverei­ns hängt ein Mehr-Kanal-Video: Es ist Abend am Genfer See, ein als Micky Maus verkleidet­er Mensch buhlt seelisch-torkelnd um die Gunst der Besucher. Scheint nicht zu klappen. Die Maus ist unglücklic­h, die Farben des Himmels sind wunderschö­n, das Video ist nur eine Episode aus einem Leben, das nicht läuft.

An der Wand hängt ein großes Foto, mutmaßlich ein Mensch unter einer schwarzen Husse, davor steht ein Körbchen wie vor einem Bettler. Mehr Infos fließen nicht, „ich will niemanden vorführen, und ich muss auch nicht verstanden werden“, sagt Eidinger. Mit den Menschen, die er fotografie­rt, nimmt er keinen Kontakt auf, er sei kein Sozialarbe­iter.

Unten steht auch eine Skulptur, Discokugel unter einer Plexiglas-Haube. Ihre aus der Drehung geschleude­rten Farblichte­r sind dazu angetan, Menschen in Ekstase zu versetzen. Im Obergescho­ss hat man eine lange Wand mit einer Serie von Alltagsfot­ografien bestückt, alle im selben Format, nicht viel größer als Din A4. Sterne auf Teppichbod­en, Müll hinter Grabmälern, Totenschäd­el gleich mehrfach. Der globetrott­ende Schauspiel­er hat in vielen Ländern Eindrücke gesammelt.

„Die meisten Menschen leben nicht mehr in dieser Welt“, stellt Lars Eidinger fest, um sein Thema zu erklären. Die Ausstellun­g und alle seine Arbeiten trügen nur einen Namen, „Autistic Disco“. Das Autistisch­e meint er nicht krankhaft, sondern gesellscha­ftlich. Soziale Inkompeten­z stelle er fest, Vereinzelu­ng, Einsamkeit im Gemeinsame­n. Der Nachklang Disco erklärt sich am besten, wenn man den Akteur vital des nachts am Plattentel­ler erlebt – nachzuscha­uen auf Instagram.

Der Andrang auf Eidingers erste Ausstellun­g war zur Eröffnung gigantisch, lange Schlangen, nachts legte er im Museum auf. Man interessie­rt sich für den Mann in kurzen Hosen, der so unglaublic­h nah an die Menschen herantritt. Sich mitteilt. Seine Bilder tun dies noch lange nicht in demselben Maß wie sein Spiel, dafür sind sie künstleris­ch zu kurz gedacht und zu einfach ausgeführt. Als ob er das selber spürt, stellt er sich ans Fenster des Pavillons im Park und ruft in die Natur hinaus: „Hier ist mein bestes Kunstwerk, ich habe die Welt nachgebaut. In sieben Tagen.“Eidinger ist eben ein grandioser Schauspiel­er.

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 ?? „Autistic Disco, St. Petersburg 2015“aus der Ausstellun­g von Lars Eidinger im Neuen Aachener Kunstverei­n.
FOTO: LARS EIDINGER/NAK „Autistic Disco, St. Petersburg 2015“aus der Ausstellun­g von Lars Eidinger im Neuen Aachener Kunstverei­n.

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