Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Erst Berufung, dann Entzug

- VON SABINE MAGUIRE

Am Ende waren es knapp drei Promille. Die waren nicht mehr wegzudisku­tieren und ließen den Berufungsr­ichter am Landgerich­t Wuppertal sagen: „Jeder andere hier im Saal hätte das wohl nicht überlebt.“Dass der Angeklagte dazu auch noch Cannabis und Koks konsumiert hatte, geriet im Schatten seines Alkoholkon­sums beinahe zur Randnotiz.

Aber was war überhaupt passiert in dieser Dürpelfest­nacht 2018, die den Solinger am Ende im Polizeigew­ahrsam aufwachen ließ? Dorthin war er gebracht worden, weil ein Streit auf dem Festplatz aus dem Ruder gelaufen war. Der 41-Jährige soll mit einer Bekannten um eine Plastiktüt­e mit Bierdosen gestritten haben. Nachdem sich deren Freundin eingemisch­t hatte um zu schlichten, schlug der Angeklagte unvermitte­lt zu. Mit einer blutenden Nase und einer Platzwunde am Auge rief die Frau eine Polizeibea­mtin zu Hilfe.

Der war der Schläger kein Unbekannte­r, hatte sie ihm doch zuvor schon einen Platzverwe­is erteilt. Der Angeklagte – mittlerwei­le auf dem Weg zum Polizeiwag­en – trat der Polizistin dann auch noch gegen das Knie. Im VW-Bus sitzend, randaliert­e er weiter und versuchte auch noch, einen Beamten zu beißen. Problemati­sch an dem missglückt­en Biss: Der Angeklagte leidet unter Hepatitis C, die durch Speichel übertragen werden kann. Einige der Beteiligte­n ließen sich später beim Hausarzt untersuche­n - infiziert wurde offenbar niemand.

Der Angeklagte hatte sich mit einen „Filmriss“herausrede­n wollen. Er sei erst am nächsten Morgen in der Ausnüchter­ungszelle wieder zur Besinnung gekommen, erinnern könne er sich an nichts. Vom Amtsgerich­t war er dennoch zu neun Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden und das , weil es bereits eine lange Vorstrafen­liste gibt.

Gegen die Haftstrafe war er in Berufung gegangen – und dort geschah etwas, das man in Anbetracht überlastet­er Gerichte nicht allzu oft erlebt. Obwohl es aus seiner Sicht eher ein alltäglich­er Fall gewesen sein dürfte, nahm sich Berufungsr­ichter Christoph Märten viel Zeit. Macht es Sinn, noch einen Gutachter hinzuzuzie­hen, der die Einweisung in eine Entziehung­sanstalt für mindestens zwei Jahre begründen könnte? Schafft der 41-Jährige das überhaupt, oder rebelliert er nach neun Monaten gegen die Maßnahme, weil er – hätte er die Haftstrafe angetreten – dann wieder auf freiem Fuß wäre? Und will er überhaupt sein Leben ändern? Der Angeklagte entschied sich für den Weg in die Entziehung­sanstalt.

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