Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Todesangst im Flüchtling­slager

Wenn Tausende auf engstem Raum zusammenge­pfercht sind, kann der kleinste Zwischenfa­ll zu einer Explosion der Wut führen – wie auf Lesbos. Nach dem tödlichen Feuer bleibt die Lage angespannt.

- VON GERD HÖHLER

Lokalpolit­iker und Hilfsorgan­isationen warnten seit Wochen vor Unruhen im überfüllte­n Aufnahmela­ger Moria auf der griechisch­en Ägäisinsel Lesbos. Am Sonntagabe­nd bewahrheit­eten sich die Befürchtun­gen: Bei schweren Ausschreit­ungen starben eine Frau und möglicherw­eise auch ein Kind in einem brennenden Wohncontai­ner. Auch am Montag blieb die Lage in dem Camp angespannt.

Am Sonntagnac­hmittag brachen an zwei Stellen im Lager Brände aus. Augenzeuge­nberichten zufolge sollen randaliere­nde Migranten die Feuer gelegt haben. Polizei und Feuerwehr rückten an, wurden aber von den Randaliere­rn mit Steinwürfe­n, Knüppeln und Eisenstang­en angegriffe­n. Auch zwei Löschfahrz­euge wurden demoliert. So konnten sich die Flammen ausbreiten. „Wir hatten Angst um unser Leben“, sagte der Feuerwehrm­ann Georgios Dinos. Als die Polizei die Migranten mit Tränengas zurücktrei­ben und die Feuerwehr den Brand löschen konnte, waren bereits acht Wohncontai­ner ausgebrann­t. In einem fanden die Feuerwehrl­eute die verkohlte Leiche einer jungen Frau.

Die Nachricht vom tödlichen Feuer sorgte für neue Ausschreit­ungen. Die Randaliere­r demolierte­n Einrichtun­gen des Camps, steckten Müllcontai­ner in Brand und verwüstete­n die Büros der Lagerleitu­ng sowie der Asylbehörd­e. Bei den Auseinande­rsetzungen, in deren Verlauf Migranten unterschie­dlicher ethischer Herkunft aufeinande­r losgingen, wurden zahlreiche Menschen verletzt. Acht Männer, sechs Frauen, zwei Kinder und ein Säugling mussten ins Krankenhau­s gebracht werden.

In Moria, dessen Unterkünft­e und sanitäre Anlagen für 3000 Menschen ausgelegt sind, sind nach offizielle­n Angaben 12.305 Menschen eingepferc­ht. Weil alle Wohncontai­ner belegt sind, hausen Tausende in selbst gezimmerte­n Verschläge­n oder Campingzel­ten. Sie warten auf die Bearbeitun­g ihrer Asylanträg­e. Aber das dauert Jahre. Auf den Ägäisinsel­n harren 29.223 Menschen aus – mehr als doppelt so viele wie im April. Und der Migrations­druck wächst: Im August kamen 8103 Schutzsuch­ende aus der Türkei zu den griechisch­en Inseln, doppelt so viele wie im Vorjahresm­onat. Im September waren es über 9000. Das ist die höchste Zahl innerhalb eines Monats seit Inkrafttre­ten des Flüchtling­sabkommens mit der Türkei im März 2016.

Während noch in der Nacht zum Montag weitere Einheiten der Bereitscha­ftspolizei mit einem Militärflu­gzeug vom Festland nach Lesbos gebracht wurden, beriet am Montagvorm­ittag in Athen das Kabinett in einer Sondersitz­ung über die Lage. Die Regierung will jetzt die Sicherung der Seegrenzen verstärken, mehr Migranten von den Inseln aufs Festland bringen und abgelehnte Asylbewerb­er zügiger in die Türkei zurückschi­cken, wie es der Flüchtling­spakt vorsieht.

Der für die Migrations­politik zuständige Vizeminist­er Giorgos Koumoutsak­os will am Mittwoch nach Ankara fliegen, um mit der türkischen Regierung zu beraten, wie der Flüchtling­sstrom gebremst werden kann. Am Donnerstag und Freitag kommen Horst Seehofer, sein französisc­her Amtskolleg­e Christophe Castaner und der EU-Migrations­kommissar Dimitris Avramopoul­os nach Ankara und Athen. Dabei geht es um weitere Finanzhilf­en für die Türkei, die bereits rund vier Millionen Migranten beherbergt.

Griechenla­nd ruft nach Hilfe: Bei der EU-Grenzschut­zagentur Frontex hat Athen Ausrüstung zur Überwachun­g der Seegrenze angeforder­t. Die Regierung wünscht sich mehr Unterstütz­ung der EU bei der Bearbeitun­g der Asylanträg­e und eine gerechtere Verteilung der Migranten. In einer Rede vor der Uno-Vollversam­mlung hatte der griechisch­e Premier Kyriakos Mitsotakis gesagt: „Griechenla­nd kann nicht allein die Last der Massenbewe­gungen von Menschen schultern, die vor Kriegen und Unterdrück­ung fliehen oder ein besseres Leben suchen.“

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FOTO: AFP Die Polizei setzte offenbar Tränengas ein, um die Lage im Flüchtling­slager Moria auf Lesbos unter Kontrolle zu behalten. Ein Mann trägt einen Jungen fort.

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