Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Land der Freien, Heimat der Tapferen

- VON MORITZ DÖBLER

Amerika – das starke, weite Land auf der anderen Seite des Atlantiks bleibt für viele Menschen hierzuland­e, quer durch alle Generation­en, ein Sehnsuchts­ort. Noch zieht es Jugendlich­e für Austauschj­ahre und Auslandsse­mester häufig in die USA und weniger nach China. „Ich war noch niemals in New York“, singt Udo Jürgens, und Udo Lindenberg hat ein ganzes Album über sein Amerika aufgenomme­n („Der Detektiv“). Musik und Kunst lassen sich immer neu vom Mythos und den Bezügen zur neuen Welt aufladen, die hiesige Wirtschaft lebt seit Langem von transatlan­tischen Beziehunge­n. Der urdeutsche Opel war, bis vor Kurzem jedenfalls, eigentlich ein amerikanis­ches Auto. Noch stärker bestimmt diese Verbindung die Politik. Enge Beziehunge­n zu Washington machten die Bonner Republik aus, aber auch die Politik von Gerhard Schröder und Angela Merkel. Weder der Golf-Krieg, an dem Deutschlan­d sich nicht beteiligte, noch Donald Trump änderten das. „Ich bin ein Berliner“, dieser legendäre Satz von John F. Kennedy hallt nach. Er war Deutscher, wir sind Amerikaner.

Das alles ist kein Zufall. Unter den Alliierten waren es die GIs, die den Westen Deutschlan­ds prägten, weil sie das große Wort von der Freiheit im Gepäck hatten. Diese Zeitung gründete sich mit einer Lizenz der britischen Militärreg­ierung, aber die Gesellscha­ft, auch im Rheinland, orientiert­e sich gen Westen. „Stimme des Westens“, der Titel dieser Seite und eines unserer Newsletter, dient nicht nur als geographis­che Ortsbestim­mung, weil Düsseldorf eben im Westen Deutschlan­ds liegt, sondern auch als weltanscha­uliche. Diese Redaktion steht für Freiheit, Vernunft, Aufklärung – und, natürlich, für transatlan­tische Freundscha­ft.

Die Amerikaner schenkten den Deutschen nach der Nazi-Barbarei nicht nur Care-Pakete, sondern einen neuen Wertekompa­ss. Vielleicht verordnete­n sie ihn zunächst auch nur. Aber das gesellscha­ftliche Gefüge orientiert­e sich schnell daran und tut es noch, mit dem paradoxen Effekt, dass diese Werte hier mehr Bestand zu haben scheinen als in ihrer Heimat. Das gesellscha­ftliche Fundament der Bundesrepu­blik ruht auf dem Grundgeset­z, aber mittelbar eben auch auf der Präambel der amerikanis­chen Unabhängig­keitserklä­rung, deren Unterzeich­nung am Samstag exakt 244 Jahre zurücklieg­t. Kein runder Geburtstag, kein Jubiläum – aber genug Anlass, sich in einer Zeit transatlan­tischer Missverstä­ndnisse und kalkuliert­er Affronts mit jenem Sehnsuchts­ort auseinande­rsetzen.

Die Bundesrepu­blik setzt, beseelt vom amerikanis­chen Vorbild, das erst mit Donald Trump verblasst, stets auf multilater­ale Bündnisse. Kein deutscher Kanzler und auch nicht die Kanzlerin haben sich auf nationale Alleingäng­e begeben. Das platte „America first“hat keine deutsche Entsprechu­ng, selbst wenn Berlin auch nationale Interessen verfolgt. Aber die Geschichte hat immer wieder gelehrt, dass denen am besten im europäisch­en Zusammenha­ng gedient ist. Seit den Wirtschaft­swunderjah­ren hat sich hier ein beispiello­ser Wohlstand angehäuft. Deutschlan­d, das große Land im Herzen Europas, lebt im Wortsinne von den Beziehunge­n zu seinen Nachbarn. Helmut Kohl strebte folgericht­ig nicht nur nach der deutschen, sondern vielleicht sogar noch mehr nach der europäisch­en Einheit.

Vor 244 Jahren erklärten 13 amerikanis­che Kolonien ihre Loslösung vom britischen Königreich und gründeten einen souveränen Staatenbun­d. Die Vereinigte­n Staaten von Amerika stiegen zum mächtigste­n Land der Welt auf, das 20. Jahrhunder­t gilt als die Ära Amerikas. Wer heute die Vereinigte­n Staaten von Europa als Ziel formuliert, stößt meist auf kategorisc­he Ablehnung und bestenfall­s auf den Einwand, es sei unrealisti­sch, daran auch nur denken. Und es stimmt ja, von einer politische­n Einheit ist der Kontinent weit entfernt. Aber wie groß könnte die Deutungsma­cht der Europäer sein, wenn der größte Wirtschaft­sraum der Welt auch politisch an einem Strang zöge? Bizarrerwe­ise wäre es dann der Ort, an dem die Werte der amerikanis­chen Unabhängig­keitserklä­rung mit neuem Leben erfüllt wurden. Europa, das Land der Freien, die Heimat der Tapferen – ein Sehnsuchts­ort.

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