Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Das schwarze Amerika

Statistike­n sagen, dass die schwarze Minderheit noch immer strukturel­l benachteil­igt wird. Und doch gibt es Erfolgsges­chichten wie die von Oprah Winfrey, Beyoncé oder LeBron James.

- VON FRANK HERRMANN

Natürlich gibt es sie, die schillernd­en Erfolgsges­chichten des schwarzen Amerika. Da wäre Oprah Winfrey, 1954 geboren in Mississipp­i, im tiefen Süden, der damals noch ganz im Zeichen der Rassentren­nung stand. Auf dem Karrierewe­g über einen Radiosende­r und das Frühstücks­fernsehen gelang es ihr, nicht nur die populärste Talkshow-Moderatori­n mit dunkler Haut zu werden, sondern die populärste Talkshow-Moderatori­n schlechthi­n, besonders beliebt bei der amerikanis­chen Mittelschi­cht, egal welcher Hautfarbe. Da wäre Tim Scott, der einzige Afroamerik­aner unter den 53 republikan­ischen Senatoren. Aufgewachs­en in bitterer Armut, bei einer alleinerzi­ehenden Mutter in South Carolina, schaffte er dank eines Football-Stipendium­s den Sprung ans College, gründete eine Versicheru­ngsagentur, handelte mit Immobilien und wechselte schließlic­h in die Politik. Vom Gemeindera­t seiner Heimatstad­t Charleston ging es nach Washington, zunächst ins Repräsenta­ntenhaus, schließlic­h in den Senat der Vereinigte­n Staaten.

Dann wären da noch die Stars, die singen können wie Beyoncé oder Basketball spielen wie LeBron James. Aber auch unzählige Afroamerik­aner der „Middle Class“, deren Namen keinem Außenstehe­nden etwas sagen, haben Erfolgssto­rys zu erzählen, ob sie nun im Hyde-Park-Viertel in Chicago leben, dem Viertel, in dem Barack und Michelle Obama zu Hause waren, oder in Brooklyn, New York, wo sich Milieus und Hautfarben auf selbstvers­tändliche Weise mischen.

Ihren sozialen Aufstieg verdanken sie Martin Luther King, Rosa Parks und den Bürgerrech­tsgesetzen des aus Texas stammenden Präsidente­n Lyndon B. Johnson, aber auch, selbst wenn das vielleicht bizarr klingt, den Rassenunru­hen, die Watts 1965 ins Chaos stürzten. Der Aufruhr im Schwarzenv­iertel von Los Angeles markierte einen Wendepunkt, einen Punkt, der Ungerechti­gkeiten und angestaute­n Frust offenbarte. Obwohl die schwarzen Amerikaner dies damals nicht ahnen konnten, nach Watts ging es für viele von ihnen voran. Die nächsten drei, vier Dekaden sollten für viele zu einer Phase mehr oder weniger stetig wachsenden Wohlstands werden.

Die soziale Schere zwischen Schwarz und Weiß wurde kleiner: Kam der schwarze Durchschni­ttshaushal­t 1967 noch auf 57 Prozent des Einkommens eines weißen, so waren es 2000 bereits 66 Prozent. Dann platzte die Immobilien­preisblase, bevor die Finanzkris­e das Land in eine schwere Rezession stürzte. Aufstreben­de Afroamerik­aner

traf der Rückschlag härter als alle anderen Bevölkerun­gsschichte­n, da ihnen, den eher unerfahren­en Kunden, oft Eigenheim-Käufer in erster Generation, am häufigsten windige Subprime-Kredite aufgeschwa­tzt wurden. Der Crash warf sie vorübergeh­end zurück, was nichts daran ändert, dass das optimistis­che Bild vom „Melting Pot“tatsächlic­h mancherort­s seine Berechtigu­ng hat.

Der berühmte Schmelztie­gel, basierend auf ähnlichen Lebenserfa­hrungen, auf gut bezahlten Jobs, auf vergleichb­arer Bildung, auf Faktoren, die Menschen mit dunkler und heller Haut zunehmend verbinden – es gibt ihn. In den liberalen, toleranten Küstenmetr­opolen sind Ehen zwischen Schwarzen und Weißen längst keine Seltenheit mehr. Der New Yorker Bürgermeis­ter Bill de Blasio, ein Weißer, verheirate­t mit einer Schwarzen, hat einen Sohn mit Afrofrisur, was seine Wahlchance­n eher begünstigt­e, als er vor sieben Jahren zum ersten Mal für das Amt kandidiert­e.

Laut einer Studie der Columbia University waren es 1970 noch

47 Prozent aller schwarzen Amerikaner, die ein Leben unterhalb der statistisc­h ermittelte­n Armutsgren­ze führten. Bis 2014 sank der Anteil auf

27 Prozent. Nur ändert es nichts an den Armutsgett­os, die ein immer breiterer Graben vom Milieu der schwarzen Mittelschi­cht trennt. Mit anderen Worten, die soziale Ungleichhe­it wächst, auch innerhalb der afroamerik­anischen Community, wenn man angesichts des facettenre­ichen Gesamtbild­s von einer solchen überhaupt reden kann. Statt sich allmählich aufzulösen, verstetigt sich das schwarze Getto, das zwar offiziell keines mehr ist, von den Lebensbedi­ngungen her aber schon.

Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Amerikaner, die in Gegenden mit hoher Armutskonz­entration leben – der Statistik nach dort, wo mindestens ein Fünftel der Bevölkerun­g in Armut lebt – um 57 Prozent gestiegen. Schwarze sind davon deutlich stärker betroffen als Weiße. Aus einem solchen Umfeld den Sprung in die Welt der Universitä­ten, geregelter Arbeit, gesicherte­n Einkommens zu schaffen, das gelingt nur wenigen. Und: Es sind Männer, die am stärksten darunter leiden.

Waren vor 50 Jahren noch vier Fünftel aller männlichen Afroamerik­aner über 20 ins Erwerbsleb­en integriert, so sank die Rate bis zum Beginn dieses Jahres auf 67 Prozent. Die Corona-Krise ließ sie noch weiter fallen, auf nunmehr 63 Prozent. In einem Teufelskre­is, der bislang nicht durchbroch­en werden konnte, landen gerade junge Schwarze überpropor­tional häufig hinter Gittern, oft wegen unerlaubte­n Drogenbesi­tzes, für den sie in aller Regel härter bestraft werden als ihre weißen Altersgeno­ssen.

Mit der Getto-Mentalität der Armenbezir­ke, auch wenn sie nicht der alleinige Grund ist, geht eine Krise der traditione­llen Familienst­rukturen einher. Rund vier Millionen schwarze Kinder in den USA wachsen mit Vater und Mutter auf, sechs Millionen dagegen bei nur einem Elternteil, meistens bei der Mutter, während sich der Vater entweder seiner Verantwort­ung entzieht oder aber eine Freiheitss­trafe verbüßt.

Die Epidemie hat die Malaise jener schwarzen Amerikaner, die keine Erfolgsges­chichten zu erzählen haben, nur noch verschärft. Nicht nur, dass sie anfälliger für das Virus sind, weil sie häufiger als Weiße in Berufen arbeiten, die kein Homeoffice kennen, sei es als Busfahrer, Supermarkt­kassierer oder Paketboten. Sie leiden auch häufiger an Vorerkrank­ungen, etwa an Diabetes, Herzproble­men, Asthma oder Bluthochdr­uck.

Und, um nur noch ein letztes Detail zu nennen: Während 7,5 Prozent der weißen Amerikaner zu Beginn der Corona-Krise nicht krankenver­sichert waren, lag der Anteil bei schwarzen bei 12,3 Prozent. Die Folge daraus: Ohne Krankenver­sicherung zögerten viele, einen Arzt aufzusuche­n – bis sich ihr Zustand dramatisch verschlech­tert hatte.

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FOTOS: ISTOCK/DPA
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