Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Nation der Ungleichheit
Das soziale Gefälle in den USA hat ein Ausmaß angenommen, das die Gesellschaft zu sprengen droht. Nicht nur das Einkommen, sondern auch die Bildungschancen sind höchst ungleich verteilt. Ausgerechnet in dem Land, das den Kapitalismus groß gemacht hat, ste
Als Michelle Obama ein kleines Mädchen war, erlebte sie, was Ungleichheit heißt. In ihrem Viertel in Chicago zogen als erstes die Weißen weg, dann jeder, der es sich leisten konnte. „Den Niedergang spürt man kaum, wenn man mittendrin ist“, schreibt sie in ihrer Biografie. Ihre Familie besaß aber einen Buick, das Auto der Stolz des Vaters – „unser Schutz, unser Fenster zur Welt“, wie Obama schreibt. Mit dem Buick besuchten sie eine andere Familie, die es in einen weißen Vorort geschafft hatte. Als sie abends nach Hause fahren wollten, entdeckten sie einen langen, hässlichen Kratzer am Buick. Michelles Familie war auf der besseren Seite des Lebens nicht willkommen.
Auch 40 Jahre später ist die Ungleichheit zwischen Schwarz und Weiß nicht beseitigt, das zeigt sich an vielen Stellen. Das Nettovermögen eines schwarzen Haushaltes liegt im Schnitt bei zehn Prozent des Vermögens eines weißen. Die Finanzkrise 2008, die in der Pleite der Investmentbank Lehman gipfelte, hat alles schlimmer gemacht. Schwarze Haushalte hatten mangels Eigenkapital oft höhere Kredite aufgenommen als weiße. Als das Kartenhaus aus verschachtelten Hypotheken, die Banken geschnürt hatten, zusammenbrach und die daraus resultierende Krise die Welt erschütterte, traf es vor allem Schwarze.
Ökonomen messen die Verteilung in einem Land mit dem Gini-Koeffizienten. Je höher der Wert, desto größer die Ungleichheit. Liegt er bei
0, besitzen alle gleich viel Vermögen. Liegt er bei 1, hat einer alles und die anderen nichts. Die USA kommen auf ziemlich ungleiche 0,86. Nun ist auch in Deutschland die Vermögensverteilung ungleich (0,8). Anders sieht es beim Einkommen aus. Nach Umverteilung durch Steuern und Transfers liegt der Gini-Koeffizient der Einkommens-Verteilung bei
0,29. In den USA sind es 0,39 – nur wenige Industrieländer wie die Türkei sind noch ungleicher. Und die Ungleichheit in den USA nimmt zu. Wer hat, dem wird gegeben. So sind die Zuwächse der Haushaltseinkommen seit 1975 komplett an die reichsten 20 Prozent gegangen. Das sagt nicht Bernie Sanders, der vergeblich mit sozialistischen Ideen versucht hat, Präsidentschaftskandidat der Demokraten zu werden. Das schreiben die amtlichen Experten im CIA-Factbook. Trumps Steuerreform wird den Trend beschleunigen.
Spitzenreiter bei der Ungleichheit zu sein, passt nicht zu einem Land, das von sich gerne das Bild zeichnet, als könne jeder Tellerwäscher Millionär werden, wenn er nur genug arbeitet. Dabei sind die USA trotz der chinesischen Aufholjagd das ökonomisch stärkste Land: Sie sind die größte Volkswirtschaft der Welt und nach der Schweiz auch die wettbewerbsfähigste. Sie sind innovativ bei Digitalisierung, Pharma, Technologie. Sie haben zwar ihren „Rust Belt“, die Region des industriellen Niedergangs, wo viele Trump-Wähler sitzen. Aber die USA haben eben auch Apple, Amazon, Pfizer, Microsoft, Google, Netflix, Nike.
Viel problematischer als die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen ist die Ungleichheit der Bildungschancen. Ungleiche Resultate können liberale Ökonomen akzeptieren, ungleiche Chancen nicht. Sie verhindern den sozialen Aufstieg und drohen eine Gesellschaft zu sprengen.
Gewiss: Die Zahl der Schwarzen, die einen Highschool-Abschluss haben, stieg über die Jahre auf 88 Prozent. Doch bei den Weißen stieg sie eben auf 95 Prozent. Weiße Kinder leben tendenziell in besseren Vierteln, besuchen bessere Schulen, haben eine bessere ärztliche Versorgung.