Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Bloß nicht wieder Vizekusen

Im Pokalfinal­e spielt Bayer Leverkusen nicht nur gegen Bayern München, sondern auch gegen das vereinseig­ene Trauma.

- VON DORIAN AUDERSCH

Es läuft die 45. Minute. Im Finale der Champions League steht es zwischen Real Madrid und Bayer Leverkusen 1:1. Die Werkself ist auf Augenhöhe. Doch dann schreibt Zinedine Zidane Geschichte. Das Ballgenie nimmt eine bogenlampe­nartige Flanke von Roberto Carlos an der Strafraumk­ante volley mit links, der Ball fliegt mit überirdisc­h anmutender Flugbahn ins linke obere Eck. Bis heute ist es eines der schönsten Tore aller Zeiten. Gleichzeit­ig steht es wie kaum ein anderes für das Trauma von Bayer Leverkusen, das im Pokalfinal­e gegen den FC Bayern am Samstag mitspielt (20 Uhr).

Die Saison 2001/2002 hat den bereits durch die verpasste Meistersch­aft 2000 etablierte­n Begriff „Vizekusen“manifestie­rt. Bayer war in der Spielzeit kurz davor, das Triple zu gewinnen. Doch in der Liga ließ sich die Werkself auf den letzten Metern von Dortmund überholen, das Finale der Champions League ging verloren und das Endspiel um den DFB-Pokal endete mit einer Niederlage gegen den FC Schalke. Seitdem haftet Leverkusen das Image an, zu versagen, wenn es darauf ankommt. Die Niederlage im Pokalfinal­e 2009 gegen Bremen machte es nicht besser. Bei Bayer gefällt man sich in der Rolle, eine der besten Mannschaft­en des Landes zu stellen. Der Werksklub ist seit Jahrzehnte­n Stammgast auf der europäisch­en Fußballbüh­ne und wird in etwaigen Saisonvorb­ereitungen notorisch als Titelkandi­dat gehandelt. Doch die bislang letzte Trophäe, die sich Bayer auf den Vereinswim­pel drucken konnte, war der DFB-Pokal 1993. Fünf Jahre vorher gelang mit dem Uefa-CupSieg der größte Erfolg der Vereinsges­chichte. Damals stand die Berliner Mauer noch.

Am Samstag soll der erste Titel des Jahrtausen­ds gefeiert werden. Es wäre nicht nur ein Sieg gegen den übermächti­g erscheinen­den Rekordmeis­ter aus München, sondern auch einer gegen das Trauma. „Wir leiden noch immer unter den Vizemeiste­rschaften 2000 und 2002 sowie den im Anschluss daran verlorenen Endspielen“, sagte Leverkusen­s Sportgesch­äftsführer Rudi Völler unter der Woche.

Kurz nach der Jahrtausen­dwende habe Leverkusen die beste Mannschaft gestellt, die je unter dem Bayer-Kreuz gespielt hat, ist Völler überzeugt. „Wir waren nicht nur nah dran, sondern hätten in dieser Zeit einen Titel gewinnen müssen. Das tut noch immer weh.“

Um diesen Schmerz zu lindern, hilft nur ein Sieg im Pokalfinal­e. Doch das wird eine gigantisch­e Aufgabe. Der FC Bayern ist das Maß aller Dinge im deutschen Fußball. Allerdings: Das Hinspiel in der Liga gewann die Werkself. Ende November 2019, 2:1. Das Rückspiel am 6. Juni gewann München 4:2.

„Wir haben die Bayern geschlagen, aber seitdem haben sie sich nochmal extrem entwickelt“, sagt Bayers Pokal-Routinier Sven Bender, der das sechste Finale seiner Karriere erlebt und mit Dortmund zwei Mal den Titel gewann. „Aber wir haben Waffen, um ihnen weh zu tun“, betont der 31-Jährige und fügt hinzu: „Der Gegner ist groß und stark. Wir müssen mutig sein.“

Das ist auch ein guter Grundsatz für die Traumabewä­ltigung – nicht nur am Samstagabe­nd.

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