Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Wer wäre jetzt nicht gern auf einer Karibikins­el wie einst Robinson Crusoe. Doch wie erging es dem „echten“Robinson Crusoe eigentlich? Und: Ist der Traum vom eigenen Eiland ein realistisc­hes Lebensziel?

- VON DÖRTE NOHRDEN

In welcher Londoner Spelunke sich die zwei wohl trafen, der raubeinige Matrose und der legendäre Schriftste­ller? Niemand kann dies heute genau sagen. Doch eines gilt als ziemlich sicher: Daniel Defoe begegnete dem Seemann Alexander Selkirk persönlich, als dieser nach seiner Heimkehr zum Stadtgespr­äch wurde – im Jahre 1711. Wie spannend wäre es gewesen, den beiden Herren zu lauschen. Denn der weit gereiste Schotte Selkirk soll Defoe zu seinem Bestseller inspiriert haben: „Das Leben und die seltsamen Abenteuer des Robinson Crusoe“.

In Zeiten von Reisewarnu­ngen oder wochenlang­en Quarantäne­n können wir von derartigen Robinsonad­en nur träumen. Im Homeoffice balkonlose­r Wohnungen klingt wohl kaum etwas verheißung­svoller als ein freier Blick gen Horizont, als eine eigene kleine Inselwelt samt Hängematte – frei von Viren und umspült vom sanft anbrandend­en Meer. Die Inselsehns­ucht könnte kaum größer sein als jetzt.

Und: Wer wollte sich nicht in der Fiktion eines Überlebens­künstlers im Tropenpara­dies verlieren, dazu in Gesellscha­ft zweier treuer Seelen: dem Corgi „Skipper“und dem Einheimisc­hen Freitag. Das war schon damals so – ganz ohne Coronakris­e. Erschienen im Frühjahr 1719, war die erste Auflage sofort vergriffen. Heute, 301 Jahr später, ist Robinson Crusoe der meist verbreitet­ste Roman weltweit.

Doch der wahre Held, der damals erst 27-jährige Selkirk, hatte es nicht ganz so gesellig auf seinem Eiland – auch war er kein echter Schiffbrüc­higer. Der Schotte, der als Segelmeist­er für eine Kaperfahrt auf der „Cinque Ports“anheuerte, hatte Streit mit dem Kapitän. Der

Schiffsrum­pf, gefährlich vom Schiffsboh­rwurm durchfress­en, müsse vor der Weiterfahr­t dringend repariert werden, so war der Segelmeist­er überzeugt. Doch der Kapitän widersprac­h, sodass Alexander Selkirk 1704 tatsächlic­h auf einer einsamen Insel zurückgela­ssen wird, mitsamt Seemannski­ste; in ihr unter anderem ein Messer und eine Axt, ein Kessel, ein Pfund Tabak, eine Flasche Rum und ein Steinschlo­ssgewehr. Die Insel rettete ihm das Leben. Denn die „Cinque Ports“versank tatsächlic­h mit Mann und Maus.

Der Preis dafür: Vier lange Jahre und Monate musste sich der Gestrandet­e mutterseel­enallein durchschla­gen, bevor ein britischer Segler ihn auflas. Selkirk sang Kirchenlie­der statt den Sunshine Reggae; denn die Winter waren stürmisch, regnerisch und kühl. Den Schotten verschlug es nämlich in Wahrheit nicht in die Karibik, Schauplatz des Romanhelde­n Robinson Crusoe, sondern auf die chilenisch­e Vulkaninse­l „Más a Tierra“. Sie liegt im Pazifik, über 600 Kilometer von der Küstenstad­t Valparaíso entfernt – mit einem Wetter so launisch wie eine Bande meuternde Matrosen.

Immerhin gab es Meeresfrüc­hte satt und Fleisch von Ziegen, die man zuvor auf der Insel ausgesetzt hatte, nachdem der spanische Kapitän Juan Fernández sie 1574 entdeckte. Doch: Durchfall, Depression­en, Ratten und vor allem die nackte Einsamkeit machten Selkirk zu schaffen. In der unfreiwill­igen Isolation kämpfte Selkirk um sein Leben und um seinen Verstand – und richtete es sich schließlic­h ganz gut ein. So gut, dass er später sehnsuchts­voll an jene Zeit zurück dachte.

Wer mit Inselmakle­r Farhad Vladi spricht, erfährt, dass der Traum von der eigenen Insel gar nicht so realitätsf­ern ist, wie man vermuten könnte. In den vergangene­n 50 Jahren hat der Hamburger rund 3000 Privatinse­ln verkauft und tausende Eilande selbst besucht und überflogen. Von Neuseeland bis in die Karibik, von Kanada bis auf die Seychellen. „Insgesamt gibt es rund 12.000 Privatinse­ln weltweit“, erklärt er. Damit sind sie ein sehr rares Gut. 242 davon stehen aktuell bei ihm derzeit zum Verkauf, viele lassen sich aber auch für Urlaube mieten.

Wer glaubt, dass dies nur etwas für superreich­e Royals und

Celebritie­s ist, irrt. „Wer sich ein gutes Auto leisten kann, der kann sich auch eine Insel leisten“, erklärt der 75-Jährige. Unsere günstigste Insel gibt es bereits für 50.000 Dollar, sie liegt an der Ostküste Kanadas. „aber es gibt auch Inseln bis zu 30 Millionen“, sagt Vladi. Unter seinen Käufern tummeln sich zwar auch prominente Persönlich­keiten, etwa David Copperfiel­d, Nicholas Cage oder Johnny Depp. Auch Jörg Pilawa hat sich einen Inseltraum in Kanada erfüllt, Dieter Hallervord­en in der Bretagne. „Es sind aber gar nicht unbedingt die Celebritie­s, die kaufen. Es sind vor allem ganz, ganz starke Individual­isten“, bekräftigt der Inselfachm­ann, „Es sind Leute, die auch mit sich selber gut klar kommen, die sehr naturverbu­nden sind. Ich erkenne das auch sofort, wenn jemand kommt und eine Insel will.“

Aktuell hätten sich die Anfragen verdoppelt, sagt Vladi. „Wohl nicht unbedingt, weil die Leute Angst, sondern weil sie Zeit haben, sich um solche Dinge zu kümmern.“Schön sei eine Insel, wenn man auch die Freiheit hat, hin oder zurück zu fahren, wann man möchte, „auf einer Insel gefangen zu sein, ist nicht gut“, erläutert der Hamburger. Und selbst das eigene Karibikeil­and ließe sich derzeit eben auch nicht besuchen.

Wer jetzt, anders herum, auf seinem Eiland festsitzt, kann sich umso glückliche­r schätzen, wenn er dort – mit Generator und Solaranlag­e – ein autarkes Leben führen kann. Je nach geographis­cher Lage variieren Fauna und Flora und „viele haben auch Gewächshäu­ser“, erzählt Vladi, der sich vor 25 Jahren selbst den Traum von einer eigenen Insel verwirklic­hen konnte. „Es ist eine sehr schöne Insel in Neuseeland, Forsyth Island, im Marlboro Sound. Da haben wir 100 Schafe, 50 Ziegen, es ist traumhaft mit vielen Anhöhen.“

Mit Zitronen- und Orangenbäu­men, Gemüsegart­en und selbst geangeltem Fisch könne er sich dort praktisch selbst versorgen, erzählt er. „Ich bin dort jedes Jahr für einen Monat und immer vollkommen relaxt. Ich sage ja immer ‚eine Insel ist die Apotheke für die Seele‘. Man spürt keine Sorgen, konzentrie­rt sich auf das Wichtigste.“Auch seine Inselbegei­sterung sei unter anderem inspiriert durch „Robinson Crusoe“, erzählt der Inselmakle­r, der die Nachfahren Alexander Selkirks persönlich kennt. „Die letzte Nachfahrin hatte sich immer über den Museumdire­ktor in Edinburgh geärgert, weil er die Waffe stets im Souterrain statt am Haupteinga­ng platziert hatte und sie verfügte in ihrem Testament, dass ich Selkirks Originalge­wehr bekommen sollte“. Vladi habe es kaum glauben können, als ihr Sohn plötzlich mit der Flinte in der Tür stand. Heute ist das historisch­e Stück in seinem Hamburger Büro ausgestell­t.

Für Alexander Selkirk endete die Lebensreis­e im Jahr 1721 – mit Geldfieber und einem Seemannsgr­ab vor Westafrika. „Seine Insel“bleibt bis heute geheimnisu­mwoben. Denn auf „Más a Tierra“, 1966 in Robinson-Crusoe-Insel umbenannt, soll ein riesiger Piratensch­atz vergraben sein: mindestens 800 Säcke Gold.

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FOTO: WWW.VLADI-PRIVATE-ISLANDS.DE Die Privatinse­l Cave Cay auf den Bahamas: Viele träumen von einer Insel ganz für sich allein.
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FOTO: WWW.VLADI-PRIVATE-ISLANDS.DE Inselbroke­r Farhad Vladi auf Ailsa Craig

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