Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Auf Schimanskis Spuren
Duisburg-Ruhrort hat es als Kulisse vieler Schimanski-„Tatorte“zu bundesweiter Bekanntheit gebracht. Gästeführerin Dagmar Dahmen sorgt dafür, dass das Andenken an den KultKommissar fortbesteht.
Das Haus, vor dem Horst Schimanski Fernsehgeschichte schrieb, kommt unauffällig daher. Geflieste Fassade, der obere Teil mit Schieferplatten verkleidet, kleine Fenster, zweiflügelige Haustüre. Darauf, dass dieses Gebäude an der Fürst-Bismarck-Straße im Duisburger Stadtteil Ruhrort Drehort des ersten Schimanski-„Tatorts“war, gibt es heute keinen Hinweis mehr. Es war Schauplatz der Folge „Duisburg-Ruhrort“– ausgestrahlt am 28. Juni 1981. Es war das Set für den ersten Auftritt des „Ruhrpott-Rambos“und Kulisse für den Auftakt einer „Tatort“-Institution, die mit Unterbrechungen mehr als 30 Jahre für Uneinigkeit in deutschen Wohnzimmern sorgen sollte. Es ist außerdem der Ort, an dem zum ersten Mal im Hauptprogramm der ARD ein Wort fiel, das in der Vor-Schimanski-Ära ein Skandal war und das durch ihn in die Normalität geführt wurde: „Scheiße.“
Dagmar Dahmen erinnert sich an diese Szene noch ganz genau. Die 55-Jährige hat die Figur „Schimmi“– verkörpert von Schauspieler Götz George – zu ihrem Beruf gemacht. Sie arbeitet als Gästeführerin in Ruhrort und führt regelmäßig Besuchergruppen zu den Schimanski-Hotspots im Stadtteil. Sie weiß viel über den leicht schmuddeligen Ruhrpott-Haudegen, dem die Frauen zu Füßen lagen. „Schimmi wollte damals in die Kneipe, als ihm auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein
Mann auffiel, der wild fluchend seine Möbel aus dem Fenster warf“, sagt Dahmen. „In dem Moment, als Schimmi dort vorbeiging, krachte ein Fernseher auf den Boden und zersprang in tausend Einzelteile. Und dann fiel der Satz, der in die Geschichte einging: ,Zottel, du Idiot, hör auf mit der Scheiße!’.“An dieser Szene lasse sich gut festmachen, was die Faszination Schimanski ausmache, sagt Dahmen. „Schimmi ist eine Figur, die in den Menschen etwas ausgelöst, die in der Gesellschaft Reibung erzeugt hat. Fragen Sie doch einmal herum! Jeder, der in den vergangenen 40 Jahren den ,Tatort‘ verfolgt hat, hat eine Meinung zu Schimanski.“
Dagmar Dahmen ist schon seit 2012 mit Besuchergruppen in Ruhrort unterwegs. Damals hatte sie die Idee, dem Phänomen Schimanski mit ihrer Tour in Duisburg eine Art Denkmal zu setzen. Rund 12.000 Gäste hat sie seitdem durch den Stadtteil geführt. Alleine davon leben kann sie aber nicht. Die gebürtige Alpenerin ist gelernte Journalistin und auch heute noch als solche tätig. Nach ihrem Studium arbeitete sie zunächst beim Düsseldorfer Lokalradio, dann beim Westdeutschen Rundfunk und später als Pressesprecherin des MSV Duisburg. Sich selbst bezeichnet sie ausdrücklich nicht als Schimanski-Fan. „Fan trifft es nicht. Mein Verhältnis zu Schimanski ist ambivalenter“, sagt Dahmen. „Ich finde die Figur faszinierend – vor allem ihre Streitbarkeit. Das ist es, was ich auf meinen Touren vermitteln will.“
Insgesamt 46 Schimanski-Fernseh- und zwei Kinofilme hat es gegeben. Zunächst als „Tatort“und später als eigenständige Filmreihe. Viele davon wurden ganz oder zumindest in Teilen in Duisburg-Ruhrort gedreht. Wenn Dahmen ihre Gäste durch den früher etwas verrufenen Stadtteil führt, sind viele überrascht.
War Ruhrort bis in die 60er, 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts noch ein belebtes Arbeiter-, Schifferund Hafenviertel mit etlichen Spelunken und einem bisweilen wilden Nachtleben, präsentiert es sich heute eher als ruhiges Wohnquartier. Polizeieinsätze, Schlägereien oder gar Schwerverbrechen gibt es hier im Vergleich mit anderen Duisburger Stadtteilen eher selten. Dahmen führt ihre Gäste durch Straßen und enge Gassen, vorbei an Bäumen und einigen der wenigen Altbauten, die in Duisburg den Zweiten Weltkrieg überstanden haben.
Ausgangspunkt der meisten Schimanski-Touren ist die legendäre Kneipe „Zum Anker“, die zwischenzeitlich einmal anders hieß. Hier kehrte der umstrittene Kommissar mit seiner beigefarbenen Schmuddeljacke mit Vorliebe ein, um vor, nach und/oder während des Dienstes ein, zwei, drei Absacker zu trinken. Kneipenwirtin Lilo war dann auch die Erste, mit der der Frauenschwarm vor der Kamera im Bett landete. „Nach Götz Georges Tod meldete sich die damalige Schauspielerin von Lilo zu Wort“, sagt Dahmen. „Ihre Rolle war wohl zunächst so angelegt, dass sie immer wieder als Freundin von Schimanski in Erscheinung treten sollte.“Daraus sei allerdings nichts geworden. „Hintergrund ist einer der Umstände, die maßgeblich zum Erfolg der Serie beigetragen haben. Götz George hat sich immer das Recht ausbedungen, die Entwicklung seiner Figur mit zu beeinflussen. Und er entschied damals gegen den Willen der Drehbuchautoren, dass zu Schimmi wechselnde Frauengeschichten deutlich besser passen würden.“
Vom „Anker“aus führt Dahmen ihre Gruppen zu diversen weiteren für die Filmreihe bedeutenden Orten. So geht es vorbei an Frau Poppingas Haus – jetzt ein gläserner Neubau des Haniel-Firmenkonglomerats –, vorbei an der Kneipe „Alt-Ruhrort“und dem „Ruhrorter Hof“, die als Drehorte für einen Alkohol-Exzess beziehungsweise eine Festnahme herhalten mussten, und vorbei am Ort von Schimanskis erster Currywurst: Die gab es „Bei Gina“. Außerdem geht es zur Friedrich-Ebert-Brücke mit ihren alten Türmen, zur Wohnung an der Dammstraße, in der Schimmi die erste heiße Nacht mit Lilo verbrachte, zur Schifferbörse, zur alten Schiffswerft „Lünnemanns Loch“und zum Fundort der ersten Leiche am Rheinufer.
Zum Ende ihrer Rundgänge hält Dahmen besonders gerne an der Horst-Schimanski-Gasse an. Sie ist für die Gästeführerin ein Symbol dafür, wie viel die „Tatort“-Figur der Stadt Duisburg und den Duisburgern bedeutet. „Die Entscheidung, eine Straße nach Schimanski zu benennen, ist insofern besonders, als dass in Duisburg Straßen grundsätzlich nicht nach fiktiven Figuren benannt werden. Bei Schimanski hat man aber eine Ausnahme gemacht.“Die Figur sei Teil des Lebens vieler Duisburger und identitätsstiftend für gleich mehrere Generationen.
Von Götz Georges Tod im Juni 2016 erfuhr Dahmen übrigens am Telefon – spät abends, Kneipenzeit. Journalisten wollten von ihr als Schimanski-Expertin einen Kommentar. „Ich war total verwirrt und habe es nicht glauben können“, sagt Dahmen. Und ihr erster Gedanke? Der sei im Nachhinein irgendwie passend gewesen: „Ach du Scheiße.“