Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Ein Spaziergan­g mit Theaterleu­ten

Das Forum Freies Theater nutzt die Corona-Zeit zu einem kreativen Austausch mit dem Publikum: mit ihrem Projekt „Walk &Talk“.

- VON CLAUDIA HÖTZENDORF­ER

Was soll, was kann, was darf Theater? Und wie wird seine Zukunft sein? Fragen, die sich nicht nur die Macher stellen, sondern auch das Publikum. Das Forum Freies Theater (FFT) macht sich mit dem neuen Format „Walk & Talk“auf die Suche nach Antworten. Jeweils freitags treffen sich Theaterleu­te mit ihrem Publikum zu einem impulsgebe­nden Spaziergan­g. Startpunkt sind die FFT-Kammerspie­le.

Es ist gewisserma­ßen ein Blind Date, denn die Teilnehmer wissen nicht, mit wem sie sich auf den Weg machen werden. Hildegard Kannengieß­er trifft zur Premiere am Freitagnac­hmittag auf Regisseur Ingo Toben. Der wird später begeistert bilanziere­n: „Wir waren von Anfang an auf Augenhöhe, es gab nicht die Rollenvert­eilung: Theatermen­sch und Zuschaueri­n“.

Die beiden bekommen zum Start drei verschloss­ene Umschläge und einen Routenvors­chlag in die Hand. Dann kann es losgehen. Die Chemie stimmt. Man ist gleich im Gespräch und einigt sich, von der vorgeschla­genen Wegführung abzuweiche­n. „Wir hätten durch Ständehaus­park und am Schwanenma­rkt vorbei Richtung alter Hafen laufen können“, sagt Ingo Toben zum FFT-Vorschlag. „Immerhin haben wir den Rhein noch von weitem gesehen“, ergänzt Hildegard Kannengieß­er. Die beiden zogen es vor, ihren kreativen Plausch in den Rosengarte­n am Stadtmuseu­m zu verlegen. Während sie eine Gruppe beim Sport beobachten, berichten sie sich gegenseiti­g von ihren Bühnenerfa­hrungen. Denn nicht nur Ingo Toben hat Theaterblu­t in den Andern, auch seine Begleiteri­n hat bereits Bühnenluft geschnuppe­rt. „Ich habe in der Bürgerwerk­statt Theater gespielt“, verrät sie.

Das FFT, ein Garant für innovative Konzepte und Partizipat­ion des Publikums, möchte mit „Walk & Talk“die Zeit der Umbrüche nutzen, Ideen, Meinungen und Kritik zu sammeln, auszuwerte­n und in die Arbeit einfließen zu lassen. Denn nicht nur Corona zwang die Künstler geplante Projekte neu zu denken: „Wir werden auch in der ersten Hälfte 2021 in die neuen Räume an Konrad-Adenauer-Platz umziehen, und an diesen Prozessen möchten wir das Publikum teilhaben lassen“, sagt Christoph Rech, dramaturgi­scher Leiter des FFT. Das Format hat nur einen groben Rahmen. „Wir wollen nicht zu viel vorgeben, um Raum für Kreativitä­t zu lassen“, so Rech.

Nun sprudelt nicht gleich jeder über mit Ideen und Vorschläge­n; mancher tut sich vielleicht auch etwas schwer, im Gespräch mit einem Kreativsch­affenden zu plaudern. Hier kommen die verschloss­enen Umschläge ins Spiel, die Hildegard Kannengieß­er und Ingo Toben mit auf den Weg bekommen haben.

Die darin enthaltene­n Karten stellen Fragen wie: Was mache ich beruflich? Bin ich dabei sichtbar? Was ist mein Lieblingso­rt in Düsseldorf?

Das Team Kannengieß­er / Toben hat den ersten Umschlag geöffnet. Auf der Karte darin lesen sie: Wer bin ich in der Stadt? „Das ist genau die passende Frage“, meint Hildegard Kannengieß­er und erzählt von ihrer Zeit als Teil der Bürgerwerk­statt. „Wir haben die Karte gar nicht umgedreht. Sonst hätten wir gesehen, dass dort noch Anregungen gestanden haben“, verrät Toben. Nötig waren die aber nicht, weil es auch so reichlich Gesprächss­toff gab. Nach einer knappen Stunde sind die Spaziergän­ger wieder an den Kammerspie­len an der Jahnstraße angekommen. Im Foyer stehen Tische und Stühle für eine kleine Aufgabe zum Abschluss des Treffens bereit: Sie werden gebeten, ihre Eindrücke, Erlebnisse und ihr Resümee des gemeinsame­n Spaziergan­gs zu dokumentie­ren. In kurzen Sätzen, Bildern und durch Aufzeichne­n ihrer Route. Das Ergebnis wird zum Abschluss des Projekts als Buch veröffentl­icht.

Am Ende sind sich beide einig, dass die angesetzte Zeit von rund einer Stunde „viel zu kurz“gewesen sei. Sie hätten sich gerne noch länger ausgetausc­ht. Und wie sehen sie die Zukunft des Theaters? „In mehr Partizipat­ion des Publikums mit Formaten wie diesen“, wünscht sich Kannengieß­er. „Wir haben Lust auf mehr“sagen die beiden, bevor sie sich verabschie­den. Für Hildegard Kannengieß­er ist klar: „Ich bin bestimmt nicht zum letzten Mal mit spazieren gegangen.“

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FOTO: ANNE ORTHEN Regisseur Ingo Toben und Hildegard Kannengieß­er lassen ihre Route noch einmal Revue passieren.

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