Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
VIRUS-NACHWEIS
Harald Renz erklärt, warum ein einziger Corona-Test wenig Aussagekraft hat.
MARBURG Bayern bietet kostenlose Corona-Tests für alle Bürger an, anderswo werden Testkapazitäten abgebaut. Um die Tests, die molekulargenetisch das Virus per Abstrich in Nase und Rachen nachweisen, ist ein heftiger Streit entbrannt. Wie sinnvoll sind Tests überhaupt? Professor Harald Renz, Direktor des Instituts für Laboratoriumsmedizin am Universitätsklinikum Gießen/Marburg und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Laboratoriumsmedizin, ist Experte für dieses Thema. Wir sprachen mit ihm.
Lieber Herr Professor Renz, stellen wir uns einen Menschen vor, der mit dem Coronavirus infiziert wird. Ab dem wievielten Tag kann man diagnostisch präzise nachweisen, dass er infiziert ist?
RENZ Die Inkubationszeit – also die Zeit zwischen Infektion und ersten Symptomen – liegt ja im Schnitt bei vier bis sieben Tagen, manchmal auch länger. Und die PCR, also der klassische Corona-Test per Abstrich in Nasen- und Rachenraum, macht etwa zwei Tage vor dem Symptombeginn Sinn. Wenn jemand überhaupt Symptome bekommt.
Vorher nicht?
RENZ Nein.
Wer also heute glaubt, infiziert worden zu sein, sollte nicht morgen einen Abstrich machen lassen?
RENZ Nein, er wird in jedem Fall negativ ausfallen und den Probanden in trügerischer Sicherheit wiegen, denn er ist ja infiziert, nur schlägt der Test eben noch nicht an.
Und wie groß ist das Zeitfenster für einen brauchbaren PCR-Nachweis?
RENZ Es erstreckt sich ungefähr über die erste Symptomwoche.
Und danach?
Renz Dann wird der Nachweis einer Infektion per PCR schwierig. Sie taugt wirklich nur für die Akutphase.
Ein Virusnachweis im Nachhinein per Abstrich funktioniert also nicht?
RENZ Nein, das klappt nicht.
Das bedeutet doch, dass die Aussagekraft eines einzigen negativen Tests nur sehr gering ist.
RENZ So ist es, er sagt nur wenig aus. Man müsste jemanden an mehreren Tagen hintereinander testen, nur dann gewinnt man einigermaßen Sicherheit.
Gibt es Faktoren, die die Sicherheit der PCR beeinträchtigen?
RENZ Also, wenn der PCR-Test sagt, jemand ist positiv, dann ist er auch positiv. Das Problem sind die falsch-negativen Tests, also dass jemand infiziert ist, aber der Test das nicht anzeigt. Das kann, wie gesagt, am ungünstigen oder sogar sinnlosen Testzeitpunkt liegen, es kann aber auch an mangelnder Kompetenz beim Abstrich liegen.
Dass also der Abstreicher mit dem Wattestäbchen nicht überallhin vordringt, wohin er vordringen müsste?
Renz Genau. Wenn ich mir Fernsehbilder anschaue, wie manche Untersucher irgendwo rumfuhrwerken, dann ärgere ich mich sehr. Man muss im Nasen- und Rachenraum sehr genau und sehr tief abstreichen, sonst erwischt man womöglich nichts oder zu wenig Virus.
Kann man das statistisch genauer beziffern?
RENZ Kann man. Man sagt, dass von fünf Infizierten einer dem PCR-Test entgeht. Die Sicherheit liegt also bei 80 Prozent.
Ein präziser Abstrich in Nase und Rachen ist vermutlich deshalb so wichtig, weil sich dort die meisten Rezeptoren für Sars-CoV-2 befinden. Ist das so?
RENZ Genauso ist es. Und Menschen mit höherem Alter, Übergewicht, Diabetes oder Bluthochdruck haben in dieser Etage, wie wir sagen, besonders viele Rezeptoren, deshalb sind sie ja auch Risikogruppe – sie können leichter infiziert werden.
Ist dieses Phänomen andererseits auch der Grund dafür, dass Kinder so selten schwer erkranken?
RENZ Ja, sie haben vermutlich deutlich weniger Rezeptoren für SarsCoV-2 in diesem Bereich. Das untersucht die Wissenschaft noch.
Wie ist es mit den Antikörper-Tests – wie man hört, gibt es da auch Unsicherheiten?
RENZ Die gibt es. Es hängt schon davon ab, welchen Test man verwendet und welche Antikörper man nachweisen will.
Von Billigprodukten hört man ja nichts Gutes. Zu welchem Zeitpunkt wäre ein Antikörper-Test denn überhaupt sinnvoll?
RENZ Wichtig zu wissen ist, dass er nicht zum Nachweis einer akuten Infektion taugt, sondern nur eine abgelaufene Infektion nachweist.
Aber es gibt ja unterschiedliche Antikörper, die zeitlich gestaffelt in Erscheinung treten.
RENZ Das stimmt. Sie können die sogenannten IgA-Antikörper, also Immunglobulin A, schon früh im Krankheitsgeschehen nachweisen, etwa eine Woche nach der Infektion. Die IgG-Antikörper sind erst später bestimmbar.
Und wie sicher sind die Antikörper-Tests?
RENZ Nun ja, es gibt Antikörper-Tests, die weisen mehrere Coronaviren nach, auch solche, die ganz harmlos sind und nur Schnupfen machen. Ich zum Beispiel bin für das Coronavirus OC43 seropositiv, das aber macht in der Regel banale Erkältungssymptome. Es kann aber sein, dass ein Corona-Antikörper-Test genau auf dieses Virus OC43 reagiert – und dann haben Sie, wenn es um Sars-CoV-2 geht, ein falsch-positives Testergebnis. Deshalb müssen Tests viel genauer werden. Es gibt solche Untersuchungen bereits, aber das sind hochempfindliche Manöver – für einen Masseneinsatz sind nicht geeignet.
Und dann ist es offenbar auch so, dass das Zeitfenster für einen Antikörper-Nachweis auch nicht so groß ist, wie viele sich das erhofft haben.
RENZ Ja, es gibt Patienten, bei denen der Antikörper-Nachweis schon wenige Monate nach der Infektion keine Ergebnisse anzeigt. Dieser Sachverhalt ist aber sehr wichtig, wenn es um Fragen der späteren Immunität von Infizierten geht.
Wir ziehen aus alledem die unbefriedigende Bilanz: Verlässliche Sicherheit gewähren Tests derzeit nicht.
RENZ So ist es. Man muss sich klarmachen, dass sie ihre unbestreitbaren Vorteile, aber auch sehr deutliche Grenzen haben.