Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Opfer des Apothekers gehen wohl leer aus
Zwei Jahre nach dem Urteil ist die Haftstrafe gegen den Bottroper Krebsmittel-Panscher Peter S. rechtskräftig. Doch aus den illegal erworbenen Millionen werden die Opfer kaum entschädigt – der Täter erklärt sich für insolvent.
Dass die Mühlen der Justiz langsam mahlen, ist eine Binsenweisheit, aber dieser Vorgang erstaunt dann doch: Wie erst jetzt bekannt wurde, ist das 2018 gefällte Urteil gegen Peter S. rechtskräftig. Einen Antrag der Verteidigung auf Revision verwarf der Bundesgerichtshof (BGH) als unbegründet. Damit bleibt es bei zwölf Jahren Haft und lebenslangem Berufsverbot für den Apotheker wegen Betrugs und Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz. S. hatte die Krebsmedikamente in seinem Labor offenbar aus Profitgier in Tausenden Fällen unterdosiert. Teilweise enthielten die Chemotherapien überhaupt keine der teuren Wirkstoffe. Diese stellte der Apotheker den Krankenkassen aber stets voll in Rechnung.
Für den Apotheker, der an allen
44 Prozesstagen schwieg, wollten seine vier Verteidiger bis zuletzt einen Freispruch erreichen. Dass sie damit gescheitert sind, ist allerdings weder beim Landgericht Essen noch bei der dortigen Staatsanwaltschaft angekommen. Der BGH habe sie noch nicht informiert, hieß es. Das Recherchenetzwerk „Correctiv“präsentiert derweil den Beschluss im Netz – mit Stempel und Siegel. Das Papier mit dem Aktenzeichen 4 StR
503/19 ist datiert auf den 10. Juni. Erleichtert reagiert der Whistleblower, der den Fall ins Rollen brachte. „Nach über vier Jahren ist das Kapitel endlich abgeschlossen“, sagt Martin Porwoll, der Anfang 2016 begonnen hatte, Beweise gegen seinen damaligen Chef zu sammeln. „Ein beispielloses, fast perfektes Verbrechen hat nun eine in meinen Augen hohe und gerechtfertigte Strafe bekommen.“
Die Opfer des Apothekers um Sprecherin Heike Benedetti und deren Hinterbliebene indes befürchten längst eine weitere Enttäuschung. Vor Gericht war S. trotz mehrerer hundert potenzieller Opfer kein einziger Fall von Körperverletzung konkret nachzuweisen, von Totschlag oder gar Mord ganz zu schweigen. Und der Antrag der Nebenkläger an den BGH, dass auch wegen solcher Straftaten gegen S. verhandelt werden müsse, scheiterte.
Weil damit alle strafrechtlichen Möglichkeiten ausgereizt sind, bleibt den oft vom Krebs gezeichneten Opfern nur noch, mühsam einzeln zivilrechtlich gegen S. vorzugehen. „Unser Kampf um Gerechtigkeit geht weiter“, sagt Heike Benedetti.
Erst kürzlich hatte sie bei einer Anhörung im Landtag noch einmal eindringlich für ihr Anliegen geworben.
Doch solche Forderungen nach Schmerzensgeld haben wohl wenig Aussicht auf Erfolg. Denn vom Vermögen von S., dessen Großapotheke mit knapp 90 Mitarbeitern bis zu 40 Millionen Euro Jahresumsatz machte, soll kaum noch etwas übrig sein. Und ohnehin ist das mit dem Geld so eine Sache. Teil des ursprünglichen Urteils vor zwei Jahren war eine Beschlagnahmung von rund 17 Millionen Euro. Nun befand der BGH, dass als Gewinn aus den Taten nur 13,6 Millionen Euro anzusetzen seien. Dass die Justiz dem Täter nun knapp 3,5 Millionen Euro zurückzahlen muss, gegebenenfalls verzinst, heißt das aber nicht.
Denn der Staatsanwaltschaft war es nie gelungen, Vermögenswerte in Höhe von 17 Millionen Euro zu beschlagnahmen, wie eine Sprecherin einräumt. „Vor allem wurden Sachund Kunstwerte gesichert“, erläutert sie. Darunter auch die exzentrische Villa des Täters mit Indoor-Wasserrutsche und Kunstsammlung. Wie viel all das wert sei, könne man nicht „auf Euro und Cent bestimmen“. Das sei Aufgabe des Insolvenzverwalters.
Kurz bevor im Juni 2019 der erste Zivilprozess um Schmerzensgeld begann, hatte S. Privatinsolvenz beantragt. Den Fall übernahm der Düsseldorfer Insolvenzverwalter Klaus Siemon. Die Opfer-Anwältin Sabrina Diehl berichtete damals: vom Eindruck, dass S. „bei der Aufstellung der Vermögenswerte nicht nur nicht mitwirkt, sondern sogar aktiv versucht, Siemon Steine in den Weg zu legen.“Das bestritt die Verteidigung.
Laut „Zeit Online“fordert eine Vielzahl von Gläubigern von S. insgesamt 120 Millionen Euro. Allein 72 Millionen Euro fordern demnach verschiedene Krankenkassen. Weitere 30 Millionen Euro verlangt die Mutter des Täters von ihm; weshalb auch immer, aber jedenfalls „ohne jeden Widerstand des Schuldners“, wie der Insolvenzverwalter in einer Klageschrift an die Mutter betont. An diese hatte S. aus dem Gefängnis heraus bereits die noch immer umsatzstarke Apotheke überschrieben – dem Recherchebüro „Correctiv“zufolge für null Euro. Inzwischen hat die Apotheke einen neuen Namen und eine andere Inhaberin.
Während im Insolvenzverfahren ermittelt und gerechnet wird, ruhen die Schadenersatz-Prozesse der Opfer und Hinterbliebenen. Und wenn das Insolvenzverfahren eines fernen Tages beendet ist, ist S. auf dem Papier höchstwahrscheinlich ein mittelloser Mann.