Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Erst Abbruch, dann Aufbruch
19 Jahre lang war der griechische Geisterflughafen Ellinikon ein Symbol des wirtschaftlichen Niedergangs des Landes. Nun startet dort das größte Entwicklungsprojekt Europas – mit einem Investitionsvolumen von acht Milliarden Euro.
Fast zwei Jahrzehnte lang wurde geplant und gestritten, jetzt wird gebaggert. Vor wenigen Tagen gab der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis in Athen den Startschuss für die lange erwartete Umgestaltung des früheren Flughafengeländes Ellinikon. Auf einer Fläche von 6,2 Quadratkilometern sollen hier in den nächsten Jahren Hotels, Wohnungen, Einkaufszentren, Büros, Freizeitanlagen, ein Spielkasino und der größte Park der griechischen Hauptstadt entstehen. Mit einem Investitionsvolumen von acht Milliarden Euro ist Ellinikon das größte urbane Entwicklungsprojekt Europas.
„Heute ist ein historischer Tag“, sagte Mitsotakis, als er um kurz nach acht Uhr morgens die Baustelle besichtigte. Im Hintergrund warteten drei große Bagger mit laufenden Motoren vor einem abbruchreifen Gebäude des 2001 stillgelegten Flughafens. „Dieses Projekt symbolisiert das neue Griechenland, wie wir es uns alle vorstellen“, so Mitsotakis.
Für das Land ist das Vorhaben tatsächlich von großer symbolischer, aber auch ökonomischer Bedeutung. Der Baubeginn soll signalisieren: Griechenland lässt die zehnjährige Finanzkrise und die Rezession hinter sich. Ellinikon steht für den Aufbruch in eine neue Ära.
Während des Baus sollen hier 10.000 Menschen Beschäftigung finden. Nach der Fertigstellung sollen in Ellinikon 80.000 neue Arbeitsplätze
entstehen. Wirtschaftsminister Adonis Georgiadis spricht von „einer Stadt in der Stadt“. Bis sie steht, werde wahrscheinlich ein Jahrzehnt vergehen, sagte Mitsotakis. Der Premier zitierte Konfuzius: „Auch der weiteste Weg beginnt mit einem ersten Schritt.“Dann traten die Abbruchbagger in Aktion.
Die Arbeiten beginnen mit dem Abriss von 970 Gebäuden auf dem ehemaligen Flughafengelände. Weichen muss auch das frühere West-Terminal, das viele Griechenland-Touristen noch als Ausgangspunkt ihrer Flüge nach Mykonos, Santorin oder Kreta in Erinnerung haben. Das neuere Gebäude des Ost-Terminals, erbaut in den 60er Jahren nach Plänen des finnischen Architekten Eero Saarinen, steht hingegen unter Denkmalschutz und wird in das Projekt integriert.
2001 ging der neue Athener Flughafen „Eleftherios Venizelos“in Betrieb.
Ellinikon, seit 1938 Hauptstadtflughafen, wurde geschlossen. 19 Jahre lang war der Geisterflughafen ein Symbol des politischen Stillstands und wirtschaftlichen Niedergangs Griechenlands. Während der Olympischen Spiele 2004 erwachten Teile des Geländes kurz zu neuem Leben: Kanuten kämpften in einem künstlich angelegten Wildwasser um Medaillen, in einem ehemaligen Flugzeughangar wurde Basketball gespielt. Dann kehrte wieder Ruhe ein.
Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 diente das Terminal als Notunterkunft. Wie die Olympioniken sind auch die Schutzsuchenden längst weitergezogen. Fast zwei Jahrzehnte nachdem hier das letzte Flugzeug gestartet ist, hängen noch die verrosteten Hinweisschilder über der Einfahrt: „Domestic Departures“, „International Arrivals“.
Erste Pläne zur Nutzung des Geländes
gehen zurück ins Jahr 1995, als der Neubau des Flughafens „Eleftherios Venizelos“beschlossen wurde. Es gab Überlegungen, das Gelände komplett in einen Park zu verwandeln. Aber mit dem Beginn der Finanzkrise 2008, die in Griechenland nahtlos in die Schuldenkrise überging, wuchs der Druck der internationalen Gläubiger, das Areal kommerziell zu nutzen. Die Privatisierung des ehemaligen Flughafengeländes gehörte zu den Auflagen, die Griechenland im Gegenzug zu den Hilfskrediten umsetzen musste.
Im Frühjahr 2014 bekam ein Investoren-Konsortium unter Führung des griechischen Immobilienentwicklers Lamda Development den Zuschlag. Das von 2015 bis 2019 regierende Linksbündnis Syriza verschleppte das Projekt aber immer wieder. Der seit einem Jahr regierende konservative Premier Mitsotakis hat Ellinikon zu einer seiner Prioritäten erklärt.
915 Millionen Euro lässt sich Lamda die auf 99 Jahre befristete Pacht des Geländes kosten. Mehr als sieben Milliarden Euro sollen verbaut werden. Ellinikon hat eine Lage, wie sie keine andere europäische Metropole zu bieten hat: 620 Hektar Land, eine Fläche von der dreifachen Größe Monacos, direkt an der Küste des Saronischen Golfs. Die Akropolis ist nur zehn Kilometer entfernt, in 20 Minuten ist man im Stadtzentrum.
Auf diesem Areal wollen die Investoren rund 8000 Eigentumswohnungen und mehrere Fünf-Sterne-Hotels bauen. Geplant ist einer der höchsten Wohntürme am Mittelmeer, 200 Meter soll er aufragen. Der Masterplan, entworfen von den Architekten Foster & Partners und dem Landschaftsgestalter Charles Anderson, sieht zwei Einkaufszentren, eine Marina, eines der größten Aquarien Europas vor. Mehr als ein Drittel der Fläche, 2,6 Quadratkilometer, entfallen auf Parks, Grünanlagen und Freizeiteinrichtungen.
In der ersten Bauphase wird die sechsspurige Küstenstraße in einem Tunnel verschwinden. Bis Ende 2023 sollen zwei Hotels und das Spielkasino entstehen. Als Favorit für die Spielbank-Konzession gilt der amerikanische Kasino-Konzern Mohegan Gaming and Entertainment. Das Unternehmen wird vom indigenen Volk der Mohikaner kontrolliert und betreibt in den USA acht große Kasino-Komplexe, unter anderem in Atlantic City und an den Niagarafällen. In Ellinikon plant der Konzern ein integriertes Resort mit dem größten Kasino Südeuropas, dem größten Hotel des Landes, Geschäften, einem Show-Theater und Kongress-Einrichtungen.
Lamda-Chef Odysseas Athanasiou erwartet, dass Ellinikon etwa eine Million zusätzliche Touristen pro Jahr anziehen und 1,5 Prozent zur Wirtschaftskraft des Landes beitragen wird. Gar nicht zu quantifizieren sei die Anziehungskraft auf internationale Investoren, meint Athanasiou: „Ellinikon wird einen größeren positiven Effekt für die griechische Wirtschaft haben als jede andere Investition bisher.“