Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Vermehrung im Verborgenen
Ein Forschungsprojekt der Universitätsklinik Ulm beschäftigt sich mit den Mechanismen, mit denen Viren die Immunantwort umgehen.
In Sicherheit wiegen sollte sich niemand allzu leichtfertig vor
Sars-Cov-2. Dies ist eine der wenigen gesicherten Erkenntnisse, seit das Virus um den Erdball zieht. Alter, Vorerkrankungen, die Blutgruppe und gewiss unzählige weitere noch unentdeckte Faktoren spielen eine Rolle für den Verlauf einer
Covid-19-Infektion. Dabei bestätigt die Ausnahme die Regel. Weder können sich Jüngere in Sicherheit vor dem Virus wiegen noch Kerngesunde. Umgekehrt widerum muss nicht zwangsläufig jeder Bluthochdruckpatient oder jeder Mensch über 60 schlimm erkranken. Aber warum nimmt die Infektion so unterschiedliche Verläufe? Warum erleben manche Menschen Covid-19 als unspektakuläre Erkältung, andere dagegen kämpfen plötzlich mit lebensbedrohenden Entzündungreaktionen.
Mediziner beobachten vor allem zwei Phasen des Krankheitsverlaufs: Eine meist mildere Anfangsphase, die bei der Mehrheit nach ein bis zwei Wochen ausgestanden ist. Allgemeine Erkältungssymptome wie Husten, Halsschmerz und Fieber gehören dazu. Erst nachdem diese ersten Anzeichen abgeklungen sind, nimmt die Infektion bei manchen Patienten einen schweren Verlauf. Es treten dann entzündliche Herde in den Organen auf, die vor allem die Lunge schädigen.
Letztlich muss das Virus immer eine entscheidende Hürde überwinden: Es muss unsere Immunabwehr irgendwie austricksen. Nur dann kann sich ein Erreger im Körper erfolgreich vermehren. Dies gilt auch für die unterschiedlichen Arten von Coronaviren. Je besser und früher das Immunsystem agiert, umso harmloser der Verlauf. Gefährlicher ist es, wenn es den Coronaviren zunächst gelingt, die menschliche Abwehr so zu umgehen, dass sie sich ungestört vermehren können. Dann kann die Viruslast plötzlich enorm hoch werden, und es kommt zu einer überschießenden Abwehrreaktion
des Immunsystems. Dies führt dann zu den schweren und mitunter tödlichen Krankheitverläufen.
Am Institut für Molekulare Virologie an der Ulmer Universitätsmedizin untersucht man dieses Phänomen näher. Dort beschäftigt sich ein Team von Wissenschaftlern um Professor
Frank Kirchhoff mit den Ursachen für die unterschiedliche Pathogenität der Viren. Sie liegen nach Ansicht der Forscher wahrscheinlich sowohl in der körpereigenen Immunantwort des Menschen als auch in den viralen Eigenschaften selber. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
um Kirchhoff wollen daher zunächst untersuchen, welche molekularen Eigenschaften es dem Virus ermöglichen, die Immunantwort des Wirtes zu umgehen. Im Zentrum des Projektes „RestrictSars-CoV-2“stehen neben SarsCoV-2 auch das Mers-Coronavirus, der Sars-Erreger sowie einige andere relativ harmlose Coronaviren. Durch einen Vergleich der unterschiedlichen Virusarten wollen die Forscher die biologischen Grundlagen besser verstehen und die Mechanismen identifizieren, die einige dieser Viren für den Menschen so gefährlich machen. Sie suchen aber auch nach Möglichkeiten, unser Immunsystem so zu modulieren, dass sich schwere Krankheitsverläufe zukünftig vermeiden lassen.
Die Wissenschaftler haben dabei zunächst die angeborene Immunantwort des Menschen im Blick. Sie arbeitet bei einem gesunden Menschen schnell und effektiv: Alles was der Körper als fremd erkennt – Bakterien, Viren, Pilze, Partikel wird von
Fress- oder Killerzellen angegriffen und vernichtet. Dies geschieht innerhalb weniger Stunden oder Tage. Auch die Aktivierung von Entzündungsreaktionen ist Teil der angeborenen Immunantwort und trägt dazu bei, Krankheitserreger wirkungsvoll zu bekämpfen.
In Zellkulturen analysieren die Ulmer Forschenden, wie verschiedene Viruskomponenten die unterschiedlichen Faktoren der angeborenen Immunantwort manipulieren, um sich in den Wirtszellen zu vermehren. Darüber hinaus gehen sie der Frage nach, inwieweit sich Sars-CoV-2 während der bestehenden Pandemie an den Menschen anpasst und somit möglicherweise seine Ausbreitung beschleunigt.
Die Ergebnisse der Ulmer Wissenschaftler könnten künftig dazu beitragen, den krankmachenden Mechanismus der Viren besser zu verstehen. Außerdem könnten sie die Entwicklung von Immuntherapien gegen Sars-CoV-2 unterstützen.