Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Platonisch­e Liebe zu einer Marke

Der Marketing-Fachmann von der Uni Wuppertal zum Verbrauche­rverhalten in Corona-Zeiten.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE PHILIPP MÜLLER

Was unterschei­det eine Lieblingsm­arke von anderen?

Eine Lieblingsm­arke ist oft eine tatsächlic­h geliebte Marke. Daher haben wir uns in der Forschung die Frage gestellt: Können wir Menschen nur Menschen lieben? Oder entwickeln wir auch Liebe zu Objekten und Marken? Vor fünf Jahren haben wir das bei uns in Wuppertal untersucht. Dabei haben wir die romantisch­e Liebe und die kameradsch­aftliche Liebe, also die zum besten Freund, mit der Liebe zu Marken verglichen. Wir stellten fest, dass sich gegenüber Marken nicht nur eine starke Emotion entwickeln kann, sondern auch eine gewisse Verlustang­st. In der Spitze geht das so weit, dass sich manche gar nicht vorstellen können, wie ihr Leben ohne die Marke aussähe.

Von welcher Form der Liebe sprechen wir dabei?

Dazu haben wir in einer weiteren Studie untersucht, um welche Art von Emotionen es sich bei der Markenlieb­e handelt. Dazu wurden unter anderem der Hautwiders­tand und die Gesichtsmu­skelaktivi­tät gemessen. Dabei haben wir festgestel­lt, dass die romantisch­e Liebe hinsichtli­ch ihrer emotionale­n Intensität über allem steht. Gegenüber unseren Partnern entwickeln wir die stärksten Emotionen. Aber die Intensität der Gefühle in Bezug auf den besten Freund und die geliebte Marke sind gleich. Interessan­terweise gab es keinen Unterschie­d, wie positiv die Markenlieb­e und die romantisch­e Liebe erlebt werden. Beide Emotionen sind gleich angenehm und werden zugleich positiver erlebt als die kameradsch­aftliche Liebe. Jeweils weit abgeschlag­en landeten die nur gemochten Marken. Unter dem Strich liegt die Liebe zur Marke irgendwo zwischen romantisch­er und kameradsch­aftlicher Liebe.

Spielt die Qualität einer Marke keine Rolle?

Doch. Denn hinter jeder geliebten Marke steht in der Regel ein qualitativ hochwertig­es Produkt. Dies wird zur Lieblingsm­arke, weil es oft in emotionale­n Situatione­n konsumiert wird. Beispiel: Sie wachsen in einer Familie auf, in der es sonntags immer Golden Toast und Nutella gibt. Das geschieht in einer entspannte­n und schönen Atmosphäre. Denkt man später an seine Kindheit zurück, nehmen Nutella und Golden Toast eine ganz besondere Rolle ein. Keine andere Marke ist wie diese beiden in der Lage, die Geborgenhe­it der Kindheit zurückzuge­ben. Manche Konsumente­n entwickeln auch besonderen Bekehrungs­eifer und drängen ihre Freunde

förmlich dazu, ihre geliebten Marken zu kaufen. Das geht dann nach dem Muster: Kauf dir eine Harley, dann können wir endlich mal richtig Motorrad fahren.

Was passiert, wenn die Qualität der Marke plötzlich nicht mehr stimmt?

Wenn die Marke immer wieder qualitativ­e Schwächen zeigt, wird man sich auch irgendwann entlieben. Aber da sich alles auf einer hochemotio­nalen Ebene abspielt, verzeihen wir eine Zeit lang. Wenn es dann aber zum Bruch kommt, dann ist das Image einer Marke nachhaltig ramponiert. Es dauert dann unglaublic­h lange, neues Vertrauen aufzubauen. Etwa beim Dieselskan­dal der Autoherste­ller. Da hilft dann nur absolute Transparen­z, Ehrlichkei­t und, wie bei menschlich­en Beziehunge­n, Zeit. Damit es nicht zum Entlieben kommt, sind

das Qualitäts- und Beschwerde­management wichtig. Begeistert man beispielsw­eise den Kunden im Rahmen einer Fehlerbehe­bung, kann die Bindung zur Lieblingsm­arke sogar noch stärker werden.

Wenn man eine Liebe zu einer Marke entwickelt, dann ist das Wertverspr­echen wie „ein Solinger Messer ist scharf“doch auch wichtig?

Richtig. Das ist ein wichtiger Punkt. Ich komme mit dem Produkt regelmäßig in Kontakt und langsam entwickelt sich die Liebe. Als Beispiel das Solinger Messer: Sie kochen sehr gerne und haben dabei ein Messer, das exzellent schneidet. Darüber hinaus gefällt ihnen das Design ganz besonders und die Messermark­e gehört plötzlich fest zu ihrem Leben dazu. Basis der Markenlieb­e ist eigentlich immer eine herausrage­nde Qualität.

Gibt es eine Strategie für Hersteller zum Aufbau von Markenlieb­e?

Zunächst muss die Marke ihre Hausaufgab­en machen: Sie muss eine hervorrage­nde und möglichst einzigarti­ge Qualität sicherstel­len. Dann muss die besondere

Qualität der Marke auf emotionale Weise kommunizie­rt werden. So muss das Messer in eine Erlebniswe­lt und einen Lebensstil eingebette­t werden, die die Kunden ansprechen. Zugleich sollte die besondere Geschichte hinter dem Messer erklärt werden, dass es beispielsw­eise in über 100 Arbeitssch­ritten seit Generation­en in einem Familienbe­trieb in Handarbeit hergestell­t wird. Wenn die Emotionen, aber auch die Ratio der Käufer treffsiche­r angesproch­en werden, dann kann Markenlieb­e entstehen. Meist entsteht diese über einen längeren Nutzungsze­itraum.

Binden wir uns durch Corona gerade stärker an unsere Lieblingsm­arken?

Was wir beobachten, ist, dass die Menschen stärker auf regionale Marken zurückgrei­fen, wenn sie eine Krise erleben. Sie suchen gezielt Sicherheit. Die Krise führt aber auch dazu, dass wir unsere Lieblingsm­arken häufiger nutzen, um uns mit dem Konsum zu belohnen. Marken werden gezielt zur Stimmungsa­ufhellung eingesetzt, das haben wir jetzt verstärkt beobachtet.

Es gibt auch in Remscheid und Solingen einen Trend, alles zu Marken machen zu wollen. So sollen Museen zu Kultur-Marken werden, die Region zur Radtourism­us-Marke, die Citys zu Erlebnisma­rken mit Aufenthalt­squalität . . .

Grundsätzl­ich gilt: Wer in der Öffentlich­keit agiert, wird irgendwann zur Marke, ob er will oder nicht. Was sind überhaupt Marken? Vereinfach­t gesagt, sind Marken Gedächtnis­strukturen. Ob wir eine Marke mögen und kaufen, hängt davon ab, wie positiv die Assoziatio­nen sind, die wir mit ihr verbinden. Museen oder Kulturvera­nstaltunge­n werden automatisc­h zur Marke, wenn sie Bekannthei­t erzielen. Menschen bauen dann automatisc­h Assoziatio­nen zu ihnen auf. Diesen Assoziatio­nsaufbau sollte man als Verantwort­licher nicht dem Zufall überlassen, sondern gezielt steuern. Dazu muss sich die Marke fragen: Was will ich anbieten? Was ist es, das ich besonders gut kann? Warum soll man mich konsumiere­n? Wen will ich erreichen? Die Antworten auf diese Fragen müssen dann gut verständli­ch an die Zielgruppe­n kommunizie­rt werden. Wenn mein kulturelle­s Angebot die Zielgruppe­n hinreichen­d berührt, dann werde ich mich früher oder später auch zu einer starken Marke entwickeln. Doch ohne Qualität geht das auf keinen Fall.

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für Betriebswi­rtschaftsl­ehre, insbesonde­re Marketing an der Schumpeter School of Business and Economics, an der Bergischen Universitä­t Wuppertal. Er forscht zum Thema, wie Marken entstehen und genutzt
werden.
FOTO: UNI WUPPERTAL Tobias Langner ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswi­rtschaftsl­ehre, insbesonde­re Marketing an der Schumpeter School of Business and Economics, an der Bergischen Universitä­t Wuppertal. Er forscht zum Thema, wie Marken entstehen und genutzt werden.

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